Publikation International / Transnational - Krieg / Frieden - Westasien - Libanon / Syrien / Irak - Türkei - Westasien im Fokus Die Invasion von Afrin bedeutet das Ende der Einheit Syriens

Die «Operation Olivenzweig» und die syrisch-kurdischen Spannungen

Information

Reihe

Online-Publ.

Autorin

Loubna Mrie,

Erschienen

Februar 2018

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YPG/YPJ and FSA form Joint Operations Command (Rojava 2014)
2014 sah es noch anders aus: Die kurdischen Volksverteidigungseinheiten YPG/YPJ bildeten einen «Joint Operations Command» mit der Freien Syrischen Armee (FSA) und anderen bewaffneten syrischen Oppositionsgruppen in der Euphrat-Region um sich gemeinsam gegen den IS zu verteidigen. rojavareport.wordpress.com

Am 20. Januar 2018 verkündete der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan den Beginn einer militärischen Offensive gegen die kurdisch geführte Miliz der Volksverteidigungseinheiten (YPG) in der nordsyrischen Stadt Afrin.

Die Offensive trägt den Namen «Operation Olivenzweig». Der türkische Premierminister Binali Yıldırım erklärte die Namensgebung folgendermaßen: «Die Militäroperation trägt die Bezeichnung ‹Olivenzweig›. Sie hat das Ziel, Frieden, Stabilität und Ruhe zu schaffen.» Tatsächlich impliziert der Name nicht nur, dass eine militärische Offensive ein Akt des Friedens sein kann. Er bezieht sich auch auf die Hauptressource der Stadt Afrin: Oliven. Fast alle Syrer*innen kennen Olivenöl aus Afrin.

Ein Teil der Freien Syrischen Armee (FSA), ursprünglich gegründet, um Baschar al-Assads Armee zu bekämpfen, unterstützt das türkische Militär bei seiner Offensive. Unter dem Schutz der türkischen Luftwaffe stehen die Kämpfer der FSA an vorderster Front. In den sozialen Medien kursieren Videos von hunderten Angehörigen der FSA, die ihre Loyalität zum türkischen Staat bekunden. Sie skandieren auch den Namen des früheren  irakischen Präsidenten Saddam Hussein, der ein Massaker an mindestens 50000 kurdischen Zivilist*innen verüben ließ, um die Autonomiebestrebungen der Kurd*innen im Irak zu unterdrücken

Viele Anhänger der FSA sind davon überzeugt, dass die syrischen Kurd*innen Baschar al-Assad unterstützen. Die Wirklichkeit ist jedoch sehr viel komplizierter. Ähnlich wie in anderen kurdischen Städten wurde auch in Afrin im Jahre 2011 gegen das syrische Regime demonstriert. Die syrische Unabhängigkeitsflagge, Symbol der Revolution, wurde neben der kurdischen Flagge gezeigt. Kurd*innen in Afrin organisierten Solidaritätsdemonstrationen zur Unterstützung für belagerte oppositionelle Gebiete wie Daraa und gedachten der getöteten, gefolterten und gekidnappten Aktivist*innen der Revolution. Ihre Botschaften der Solidarität und Unterstützung wurden vor allem online verbreitet. Umgekehrt galt dies auch für arabische Aktivist*innen: Kurdische Slogans und Lieder wurden in arabischen Städten und Dörfern gerufen und gesungen.

Gründe für die  Spannungen

Wie konnte es angesichts dieser Fakten dazu kommen, dass syrische oppositionelle Kämpfer*innen – viele von ihnen aus Protest gegen Angriffe auf die Zivilbevölkerung aus der syrischen Armee desertiert – sich jetzt zum Werkzeug des türkischen Staates machen?

Die Spaltung zwischen sunnitisch-arabischen und kurdischen Kämpfer*innen hat in erster Linie mit Geld und Ressourcen zu tun. Die Türkei hat die FSA schon seit langem unterstützt und ist noch immer der einzige Durchgangsweg, auf dem sich die bewaffnete syrische Opposition Waffen und materielle Ressourcen beschaffen kann. Aufgrund ihrer Abhängigkeit von der logistischen Unterstützung durch die Türkei wurde die syrische Opposition immer stärker zum Spielball von Interessen der türkischen Regierung. Dies widerspricht den Interessen des syrischen Volkes – Kurd*innen und Araber*innen gleichermaßen.

Unter türkischem Druck traf die syrische Opposition 2013 die fatale Entscheidung, die kurdische Opposition aus dem Syrischen Nationalrat auszuschließen. Damit waren die Kurden trotz ihrer Stärke und entgegen ihren Bestrebungen, dem Nationalrat weiterhin anzugehören, in der politischen Opposition nicht mehr vertreten. Die Entscheidung hatte auch damit zu tun, dass der einzige Ort, an dem sich die syrische Opposition in einem geschützten Raum treffen konnte, die Türkei war. Zum Erhalt dieses Raums distanzierte sich die syrische arabische Opposition vom kurdischen Kampf. Das syrische Regime hingegen zerstörte Städte in der Hand der syrischen arabischen Opposition, während befreite kurdische Städte wie Qamischli und Amude verschont blieben. Dies hatte die Verschärfung von Verdächtigungen und Feindseligkeiten zwischen der kurdischen und der arabischen Opposition zur Folge.

Die Operation «Olivenzweig» ist nicht die erste Konfrontation zwischen Milizen der FSA und der YPG, insbesondere im Norden Syrien gab es schon früher zahlreiche bewaffnete Kämpfe. Die erste und wahrscheinlich folgenschwerste dieser Auseinandersetzungen fand im Herbst 2013 statt, als Milizen der YPG Dutzende Dörfer der Rebellengruppen angriffen. Die nach der Einnahme von der YPG veröffentlichten Bilder und Berichte kursierten in lokalen und internationalen Medien: Sie zeigen von der FSA geplünderte Häuser und verursachte Schäden. Die syrische Opposition, Sprecher der FSA und des syrischen Nationalrates in Istanbul, haben die Brutalität des Vorgehens nicht verurteilt – nicht zuletzt wahrscheinlich aus Angst, die Türkei als ihren wichtigsten Verbündeten zu verlieren.

Welche Positionen vertreten Syrer*innen heute?

Arabische Syrer*innen reagieren unterschiedlich auf die Operation «Olivenzweig». Die Milizen der YPG haben eine wichtige Rolle im siegreichen Kampf gegen den IS gespielt, sie haben aber auch tausende Araber*innen vertrieben und zahlreiche Aktivist*innen inhaftiert. Diese Taten haben dazu beigetragen, dass ein Teil der Syrer*innen die türkische Operation unterstützt.

Andere Syrer*innen betrachten die Operation «Olivenzweig» als eine weitere gegen Syrien gerichtete Invasion. Sie sind der Ansicht, dass die FSA einen Stellvertreterkrieg führt, und verstehen nicht, warum syrische Rebellen Krieg für die Türkei führen, während im belagerten Ost-Ghouta Menschen verhungern und hunderte Familien in Idlib von der syrischen Armee vertrieben werden.

Viele Kurd*innen, die einst die syrische Revolution und ihren bewaffneten Flügel unterstützt haben, verlieren ihren Glauben an revolutionäre Veränderungen in Syrien. Sie sehen die Kluft zwischen den Zielen der ausländischen Mächte und jenen, die die arabisch-kurdische Einheit weiterhin unterstützen.

Vor kurzem sprach ich mit Kevan Osy, einem kurdischen Aktivisten, der nach einer Demonstration in Afrin 2011 von der syrischen Regierung inhaftiert wurde. Er sagt: «Die Invasion von Afrin ist das Ende der Einheit Syriens. Wir sind gespalten. Die meisten Kurd*innen – mich eingeschlossen – sind unter der syrischen Regierung wie Verbannte behandelt worden. Tausende Kurd*innen durften keine Ausweispapiere tragen, wir waren Staatenlose in unserem eigenen Land. Heute wiederholt die syrische Opposition das, was das Regime uns früher angetan hat. Wir haben die Gewalttaten der YPG in arabischen Dörfern verurteilt. Wir erwarten von den Arabern das gleiche. Aber letzten Endes ist das nicht mehr unser Kampf. Syrien ist das Schlachtfeld von Russland, der USA, der Türkei und Iran. Und am Ende wird die syrische Regierung als Sieger dastehen …»
 

Loubna Mrie ist eine syrische Aktivistin, die an der syrischen Revolution teilgenommen hat und als Fotojournalistin für Reuters über Syrien berichtet hat. Derzeit studiert sie an der New York University.

Der Text ist eine Übersetzung aus dem Englischen.