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Globale soziale Rechte als Alternative zur Agenda 2030

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Reihe

Online-Publ.

Autor*innen

Stefanie Kron, Alexander Schudy, Sylvia Werther,

Erschienen

Mai 2018

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WSF/Gay Pride, Montreal 2016
WSF/Gay Pride, Montreal 2016 (Foto: Stefanie Kron, RLS)

Von Stefanie Kron (Rosa-Luxemburg-Stiftung), Alexander Schudy und Sylvia Werther (Berliner Entwicklungspolitischer Ratschlag)

Transnationales Recht ist vor allem zu einem Herrschaftsinstrument globaler Konzerne bei der Durchsetzung ihrer Interessen geworden. Es schützt Patente von Pharmafirmen, Investitionen von Unternehmen und enthält HIV-Infizierten günstige Generika vor. Transnationale Unternehmen untergraben Menschenrechte, den Umweltschutz und Arbeitsrechte. Dabei können sie sich auf internationale Abkommen berufen, welche die Rechte privater Investoren und den so genannten Freihandel schützen. Doch auf transnationaler Ebene findet sich auch ein Korpus sozialer Rechte. Bereits die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte der UN-Generalversammlung von 1948 beinhaltet ein klares Bekenntnis zur Unteilbarkeit und Interdependenz von politischen und sozialen Menschenrechten. Der 1966 beschlossene UN-Sozialpakt kodifiziert weitreichende Rechtsnormen, wobei die Unterzeichnerstaaten sich rechtsverbindlich verpflichteten, mindestens den Kerngehalt dieser Rechte umzusetzen.[1] Die Konventionen der International Organization of Labour (ILO) bieten einen Orientierungsrahmen für die internationale Durchsetzung von arbeitsrechtlichen Mindeststandards, für den Schutz der Rechte migrantischer Arbeiter*innen und indigener Bevölkerungen. Und auch in der Europäischen Sozialcharta sind soziale Rechte verankert.

Diese Vereinbarungen sind unter der Bezeichnung «Globale Soziale Rechte» zusammen gefasst. In den vergangenen Jahrzehnten sind die sozialen Rechte zugunsten von Handels- und Investorenrechten geschwächt und abgebaut worden. Andreas Fischer-Lescano und Kolja Möller (2012) plädieren daher für die (Wieder-)Aufwertung und Stärkung der Globalen Sozialen Rechte. Der Soziologe Stephan Lessenich (2016) wird noch deutlicher: In seiner Kritik der «Externalisierungsgesellschaft» attestiert er den Ländern des Globalen Nordens eine «imperiale Lebensweise» (Brand/Wissen 2017). Diese gehe mit der Auslagerung ihrer sozialen und ökologischen Kosten, v.a. in den Globalen Süden, einher, während die Grenzen der Europäischen Union und der USA in wachsendem Maße abgeschottet würden. Allerdings sind auch das Modell der imperialen Lebensweise und ihr ökonomisches Fundament, das kapitalistische Dogma stetigen Wirtschaftswachstums, an seine Grenzen geraten. Globale soziale Gerechtigkeit ist nicht mehr nur eine ethische und politische Frage. Vielmehr kommen die ausgelagerten Kosten der ungleichen Globalisierung bereits deutlich spürbar zu uns zurück – etwa in Form des Klimawandels. Die gegenwärtigen globalen sozial-ökologischen Herausforderungen und die damit einhergehenden sozialen Konflikte, darunter der Umweltwandel, aber auch wachsende Flucht- und Migrationsbewegungen, Ressourcenknappheit und extreme Ausbeutung in den transnationalen Wertschöpfungsketten, machen, wie es Lessenich ausdrückt, die Schaffung «einer transnationalen Rechtspolitik» dringend notwendig, «die globale soziale Rechte wirkungsvoll verankert» (Lessenich 2016: 195).

Stattdessen sehen wir uns in Europa und Nordamerika der vorherrschenden Tendenz gegenüber, diese transnationalen sozialen Herausforderungen und Konflikte mit wirtschaftlichem Protektionismus[2] und der nationalen Schließung von Sozial- und Umweltpolitiken zu begegnen. Es erstarken rechtsextreme Parteien und wir beobachten eine beängstigende gesellschaftliche Normalisierung rechtspopulistischer und xenophober politischer Haltungen. In diesem Kontext werden soziale Rechte zu einer Frage der Nationalität oder Staatsangehörigkeit und damit zu einem Privileg umdefiniert.

Doch nicht nur kritische Intellektuelle fordern vor diesem Hintergrund eine Stärkung Globaler Sozialer Rechte. Bereits in den 1990er und 2000er Jahren hatten globalisierungskritische Bewegungen, Gewerkschaften und Nichtregierungsorganisationen eine Debatte um Globale Soziale Rechte angestoßen. Die Akteure der «Plattform der Initiative für Globale Soziale Rechte» forderten in einer gemeinsamen Erklärung von 2007, «der Globalisierung des Kapitals, der Märkte und der Waren mit einer Globalisierung der Sozialen Rechte zu begegnen».[3] Die 2008 beginnende globale Finanzkrise beendete jedoch diese Diskussion vorerst. Stattdessen setzte sich die «Sachzwanglogik» neoliberaler Austeritätspolitiken durch.

Mit den Revolten des arabischen Frühlings von 2011 erstarkten dann die Kämpfe von Migrant*innen um globale Bewegungs- und Niederlassungsfreiheit. Die «Bewegungen der Plätze» in Südeuropa und den USA stellten sich der «Politik eines neoliberalen Autoritarismus und der perspektivlosen Kürzungen» entgegen (Candeias/Völpel 2014). Internationale Kampagnen wie die Clean Clothes Campaign (CCC) begannen, die Kämpfe von Arbeiter*innen um Rechte in den Produktionsketten der globalen Bekleidungsindustrie sichtbar zu machen. Auch transnationale soziale Bewegungen für Klimagerechtigkeit und Energiedemokratie gewannen an Kraft, ebenso wie die bereits seit vielen Jahren existierende und global vernetzte Landlosenbewegung Vía Campesina. Auch diese Bewegungen, Netzwerke und Kämpfe zeigen, dass wir transnationale und rechtsbasierte Antworten auf die globalen sozialen Konfliktlinien und die darunter liegende asymmetrische Architektur der Nord-Süd-Beziehungen finden müssen.

Einen Ansatzpunkt dafür könnte die im Jahr 2015 von den Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen verabschiedete Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung bieten. Die Agenda legt 17 Sustainable Development Goals (SDGs; Ziele für nachhaltige Entwicklung) fest. Ein wichtiger Anspruch der Agenda 2030 war, dass die Menschenrechte die Grundlage der SDGs bilden sollten. Und tatsächlich finden sich in den Nachhaltigkeitszielen viele Anknüpfungspunkte für die Menschenrechte: Hierzu gehören die Verringerung von Ungleichheiten, Ernährungssicherung, Bildung und Gesundheit für Alle, nachhaltige Produktionsweisen und menschenwürdige Arbeit. Im Unterschied zu den Millennium Development Goals (MDGs) aus dem Jahr 2000 richten sich die SDGs nicht mehr nur an die Länder des Globalen Südens als Adressaten von Entwicklungspolitik. Vielmehr fordern die SDGs nun gleichsam die Staaten des Nordens auf, ihre Defizite in den verschiedenen Bereichen nachhaltiger Entwicklung zu beseitigen. Damit böten die SDGs auch das Potenzial für Debatten um Verteilungsfragen und globale soziale Gerechtigkeit. Allerdings findet sich in der Agenda 2030 keine prinzipielle Kritik am Dogma des kapitalistischen Wirtschaftswachstums und auch, wenn die Menschenrechte einmal leitend bei der Formulierung der SDGs waren, spiegeln sie sich nicht mehr in den aktuellen Indikatoren oder Aktionsplänen wider (vgl. Martens 2016).

Zudem ist der in den SDGs formulierte Anspruch, die notwendigen Veränderungen auch im Globalen Norden anzugehen, bei einem Großteil der hiesigen organisierten Zivilgesellschaft noch nicht angekommen. Nach wie vor konzentrieren sich die meisten entwicklungspolitischen Organisationen, etwa in Deutschland, auf die Defizite nachhaltiger Entwicklung in den Ländern des Globalen Südens. Sie setzen sich beispielsweise für die dortige Verbesserung von Arbeitsbedingungen, den Zugang zu Schulen und zur Gesundheitsversorgung ein, statt die globalen Dimensionen sozialer Ungleichheiten deutlich zu machen. So wird die Bildungsungerechtigkeit in Deutschland, also die strukturelle Benachteiligung von Arbeiter*innenkindern und Kindern mit Migrationshintergrund, von den meisten entwicklungspolitischen NGOs nicht thematisiert und schon gar nicht in einen Erklärungszusammenhang mit einem globalen System von Exklusion und Ungerechtigkeit im Bildungssektor gebracht. Die Diskussionen um die SDGs hierzulande drehen sich stattdessen häufig um ethischen Konsum, vor allem aber um technische Fragen, denen ein ökonomisiertes Verständnis von Indikatoren basierter Erfolgsmessung bei der Armutsbekämpfung im Globalen Süden zugrunde liegt.

Vor diesem Hintergrund möchten wir im Folgenden für die Wiederaufnahme der Debatten und der Solidarisierung mit den Kämpfen um Globale Soziale Rechte in der pluralen Linken und der organisierten Zivilgesellschaft plädieren. Im Zentrum stehen dabei die Fragen, ob das Projekt der Globalen Sozialen Rechte geeignet ist, die Debatte um die SDGs zu politisieren und sie mit einer emanzipatorischen Perspektive zu verbinden? Gemeint ist eine Perspektive, welche die implizite Fokussierung der SDGs auf das Wachstumsdogma kritisiert und stattdessen eine globale sozial-ökologische-ökonomische Transformation in den Mittelpunkt rückt, die auch auf die Überwindung der Machtasymmetrien zwischen Globalem Norden und –Süden zielt? Und: Können die vielfältigen Kämpfe und Akteure der gegenwärtigen Bewegungen für soziale Rechte zu einer gemeinsamen und solidarischen politischen Strategie für Soziale Rechte weltweit zusammengeführt werden, die «das Versprechen sozialer Gerechtigkeit auf der globalen Ebene» erneuert (Fischer-Lescano/Möller 2012)?

Globale Soziale Rechte sind politisch

Hinter dem Label der Globalen Sozialen Rechte verbirgt sich kein feststehendes Programm. Es handelt sich vielmehr um einen Diskurs, der in verschiedenen politischen Kontexten und Kämpfen ausgestaltet werden kann. In diesem Diskurs wird die Durchsetzung sozialer, wirtschaftlicher und kultureller Menschenrechte (WKS-Rechte) als Voraussetzung für die Realisierung der bürgerlichen und politischen Menschenrechte, wie etwa das Recht auf freie Meinungsäußerung, betrachtet – und umgekehrt. Das Postulat der Unteilbarkeit und Interdependenz sozialer und politischer Menschenrechte unterscheidet den Diskurs der Globalen Sozialen Rechte von liberalen Menschenrechtsdiskursen, die bürgerliche und politische Rechte von den gesellschaftlichen und sozialen Bedingungen abstrahieren, in die sie eingebettet sind. Die Globalen Sozialen Rechte knüpfen dagegen an neuere Menschenrechtsdiskussionen der Vereinten Nationen um die Stärkung sozialer Menschenrechte an.[4] Sie haben daher eine hohe institutionelle Legitimation. Ein Teil der WKS-Rechte ist bereits in zahlreichen nationalen Gesetzen, Verfassungen oder internationalen Verträgen verankert. Sie machen ihre Verletzung einklagbar und können als Referenzpunkte für weiterführende Kampagnen dienen (vgl. Fischer-Lescano/Möller 2012).

Das Projekt der Globalen Sozialen Rechte, wie es in der eingangs erwähnten Erklärung der «Plattform der Initiative für Globale Soziale Rechte» von 2007 definiert wird, geht aber darüber hinaus. Es ist politischer und kontroverser, weil es die Machtverhältnisse und gesellschaftlichen Ungerechtigkeiten, die der Verwirklichung sozialer Rechte für alle Menschen entgegenstehen, sichtbar macht und zu überwinden sucht. Hierzu gehören das Lohnarbeitsverhältnis und das Profitprinzip der kapitalistischen Produktionsweise, patriarchale Machtstrukturen in Wirtschaft, Politik und Gesellschaft, ethnisch oder völkisch definierte Staatsbürgerschaftskonzepte, rassistische Ausgrenzung sowie (neo)-koloniale Strukturen und die gegenwärtigen Grenzregime. Gefordert werden zudem gleiche Rechte für alle Menschen und zwar unabhängig von Nationalität, Herkunft, Wohnort, Geschlecht, Hautfarbe oder religiöser Zugehörigkeit. Ausgangspunkt sind Menschen als handelnde politische Subjekte und individuelle sowie kollektive Rechtsträger.

Kapitalismus- und Wachstumskritik

Die historischen Kontinuitäten des Kolonialismus und des Imperialismus sowie die gegenwärtige weltweite Expansion des Kapitalismus strukturieren und formen die globalen Macht- und Herrschaftsverhältnisse. Multinationale Konzerne konnten ein globales Regime von Wertschöpfungsketten etablieren, das auf transnationalen Ausbeutungsverhältnissen basiert. Die mächtigen Industriestaaten haben ein internationales Handelsregime durchgesetzt, das die globalisierte Herstellung von Gütern organisiert. Und die deregulierten Finanzmärkte funktionieren als ein Instrument zur weltweiten Durchsetzung von Wirtschaftsinteressen. Die kapitalistische Ausbedeutung von Ressourcen und die Emission von Treibhausgasen zerstören – bislang vor allem im Globalen Süden – die Ökosysteme und damit die Existenzgrundlage vieler Menschen.

Das Projekt der Globalen Sozialen Rechte stellt dieses auf Wachstum basierende globale kapitalistische Entwicklungsmodell in Frage, das, verflochten mit Rassismen und patriarchalen Strukturen, soziale Ungleichheiten erzeugt und zementiert. Dabei sind Fragen der sozial-ökologisch-ökonomischen Transformation von besonderer Bedeutung. Lessenich beispielweise fordert neben einer transnationale Rechtspolitik der sozialen Rechte auch einen «globalen Sozialvertrag zur Verzögerung des Klimawandels und der egalitären Bewältigung seiner Folgen» sowie den «Umbau der Volkswirtschaften», insbesondere derjenigen des Globalen Nordens, «in Postwachstumsökonomien», die gesellschaftlich kontrollierte und ökologisch nachhaltige Produktionsweisen sowie den Schutz der Ökosysteme beinhalten (Lessenich 2016: 195).

Soziale Bewegungen

Das Projekt der Globalen Sozialen Rechte gewann und gewinnt seine Stärke vor allem in den Kämpfen von Gewerkschaften, zivilgesellschaftlichen Organisationen und Protestbewegungen. In der Geschichte brachten meist die Initiativen sozialer Bewegungen neue soziale und demokratische Rechte hervor, oder sie erkämpften die Inklusion marginalisierter Gruppen. Sie machen deutlich, dass individuelle und kollektive Rechte erstritten und angeeignet werden müssen, bevor sie rechtlich kodifiziert und institutionalisiert werden. Die Forderungen sozialer Bewegungen nach sozialen Rechten sind deshalb für ihre Durchsetzung in Parlamenten und Institutionen zentral. Andererseits können parlamentarische Initiativen oder Verhandlungsprozesse in internationalen Foren auch außerinstitutionelle Bewegungen mobilisieren, wie die UN-Klimakonferenzen zeigen (vgl. Kanzleiter 2017).

Die sozialen Bewegungen für Klimagerechtigkeit und Energiedemokratie sind jedoch nur ein Ausdruck der gegenwärtigen sozialen Konflikte, die den nationalstaatlichen Rahmen längst verlassen haben und nur noch global begriffen werden können. Zwei weitere Beispiele für erfolgreiche transnationale Kämpfe um Globale Soziale Rechte finden sich im Bereich der Arbeitsrechte in der maritimen Schifffahrt sowie im Bereich der Inklusion von Migrant*innen auf der Ebene der Kommunen und Städte in Nordamerika und Europa.

Ahoi, transnationale Arbeitsrechte

Die Debatten und Politiken rund um fairen Handel und globale Unternehmensverantwortung (CSR) verweisen auf die wachsende Bedeutung von sozialen Rechten entlang transnationaler Wertschöpfungsketten. Menschenwürdige Arbeit ist als achtes Entwicklungsziel der Agenda 2030 definiert. Im Jahr 2016 setzte auch die ILO das Thema der «menschenwürdigen Arbeit in globalen Lieferketten» auf die Agenda ihrer Jahreskonferenz. Doch das Projekt der Globalen Sozialen Rechte ist vor allem geeignet, jenseits von Konzepten des fairen Handels, des ethischen Konsums und der Unternehmensverantwortung, linke Perspektiven auf die Debatte um soziale und ökologische Standards in transnationalen Wertschöpfungsketten zu entwickeln und umzusetzen. Dafür gilt es, den Fokus auf Arbeitskämpfe in den transnationalen Räumen der Wertschöpfungsketten zu richten. So gibt es im Bereich der Hafenwirtschaft und Handelsschifffahrt seit vielen Jahren erfolgreiche Kampagnen für die Durchsetzung grenzüberschreitend gültiger Arbeitsrechte. Exemplarisch sei hier der von der International Transport Federation (ITF) inzwischen mit mehr als 12.000 Handelsschiffen ausgehandelte Tarifvertrag für Seeleute genannt. Dessen Einhaltung wird von einem weltweiten Netz von ITF-Hafeninspektoren geprüft und gegebenenfalls mit Streiks und Blockaden von Hafenarbeiter*innen immer wieder erstritten (vgl. Boewe 2016, Stötzel 2016).

Globale Bewegungsfreiheit und solidarische Stadt

In Bezug auf grenzüberschreitende Flucht- und Migrationsbewegungen findet sich in der Agenda 2030 kein eigenes Ziel nachhaltiger Entwicklung, sondern lediglich ein Unterpunkt zur «verantwortungsvollen Planung», «Ordnung» und «Regulierung» von Migrationsbewegungen im zehnten Entwicklungsziel «Verringerung der Ungleichheit innerhalb und zwischen den Staaten». Von Bewegungs- und Niederlassungsfreiheit ist an keiner Stelle die Rede. Dies erscheint als eine irritierende Auslassung angesichts der humanitären, sozialen und politischen Bedeutung, die das Feld der Migration derzeit auf globaler Ebene einnimmt. Das Recht auf globale Bewegungs- und Niederlassungsfreiheit, welches für immer mehr Menschen die Voraussetzung für den Zugang zu sozialen Rechten darstellt, ist zwar im engeren Sinne kein soziales, sondern ein individuelles Freiheitsrecht. Dennoch ist im Politikfeld «Migration» die Debatte um Globale Soziale Rechte eng an die Forderung migrantischer und pro-migrantischer Netzwerke nach Bewegungs- und Niederlassungsfreiheit geknüpft. Auch hier gibt es bereits konkrete Beispiele und Erfahrungen der Umsetzung von Politiken, die globale Bewegungsfreiheit und soziale Rechte zusammen sehen. Dies geschieht vor allem auf der Ebene der urbanen Räume und Kommunen. So fördern die wachsende Bewegungen der Städte der Zuflucht (sanctuary cities) in Nordamerika sowie der Städte des Willkommens und der Solidarität in Europa, darunter Palermo, Barcelona, Berlin und Zürich, das Recht auf globale Bewegungs- und Niederlassungsfreiheit, indem sie soziale Rechte von Nationalität, Staatsbürgerschaft und formalem Aufenthaltsstatus entkoppeln. Stattdessen sehen die betreffenden Stadtregierungen alle Bewohner*innen ihrer Städte als Bürger*innen mit Rechten an, die es, wenn nötig, auch gegen nationalstaatliche Gesetzgebungen zu verteidigen gilt. Städte wie New York und Zürich arbeiten etwa an kommunalen Ausweisdokumenten, die jede und jede Bewohner*in der Stadt, ungeachtet des formalen Aufenthaltsstatus, erhalten und damit Zugang zu Bildung, Gesundheit, Wohnungen und Arbeit bekommen kann. Andere Städte schöpfen die kommunalen Gesetzgebungen aus, um ihre Bewohner*innen etwa vor Abschiebungen zu schützen (Kron 2017, Lebuhn 2016).

Fazit: Globale Soziale Rechte als Alternative zur Agenda 2030?

Die SDGs der Agenda 2030 «sind kein Forderungskatalog von Protestbewegungen, kein Programm von Nichtregierungsorganisationen» (Forum Menschenrechte 2016), sondern ein Katalog von unverbindlichen Absichtserklärungen der internationalen Staatengemeinschaft. Obgleich sie bei ihrer Ausformulierung vom Gedanken der völkerrechtlich bindenden Menschenrechte getragen waren, finden diese in den nationalen Aktionsplänen keine Berücksichtigung. Damit bilden die SDGs Entwicklungsziele, die im Unterschied zu ihren Vorgängerinnen, den Millenium Development Goals, zwar eine globale Perspektive von nachhaltiger Entwicklung eröffnen, welche auch den Globalen Norden in die Pflicht nimmt. Allerdings beinhalten die SDGs weder eine grundsätzliche Wachstumskritik, noch sind sie in ihrer Umsetzung rechtlich bindend – und sie stärken auch nicht die demokratischen und sozialen Rechte der Menschen in den adressierten Gesellschaften.

Eine rechtsbasierte und rechtlich verbindliche Revision der SDGs wäre jedoch vor dem Hintergrund globaler sozialer Konflikte um menschenwürdige Arbeit, Bewegungsfreiheit, Gesundheitsversorgung, Bildung, angemessenen Wohnraum und natürliche Ressourcen,  aber auch angesichts des Erstarkens von Rechtspopulismus und der Zunahme rassistischer Straftaten in Europa und Nordamerika dringend nötig. Dies zeigt auch der Schattenbericht zur deutschen Nachhaltigkeitsstrategie und ihrer Umsetzung von 2017. Er listet verschiedene Felder auf, die in der deutschen Nachhaltigkeitsstrategie nicht mehr berücksichtigt werden, obgleich die UN-Agenda 2030 dies vorgibt. Das Nachhaltigkeitsziel Zehn lautet beispielsweise, die Ungleichheit innerhalb der Staaten zu verringern. Dies müsste sich konsequenterweise in Anstrengungen zur Verwirklichung der Menschenrechte für Alle widerspiegeln: Hierzu würden unter anderem die Inklusion von Menschen mit Behinderung und die Bekämpfung von Hasskriminalität gehören. Diese Aspekte finden sich in der deutschen Nachhaltigkeitsagenda und ihrer Umsetzung allerdings nur in Form von unverbindlichen Erwartungen an die relevanten staatlichen und nicht-staatlichen Akteure wieder und eben nicht – wie von einem Großteil der organisierten Zivilgesellschaft gefordert – als rechtverbindliche Pflicht mit der Möglichkeit zu Sanktionen bei Nichteinhaltung. 

Die eindringlichen Plädoyers kritischer Intellektueller für die politische (Wieder-)Aufwertung und institutionelle Stärkung der sozialen Menschenrechte sowie die gegenwärtige Vielzahl von Kämpfen um soziale Rechte sind gleichzeitig Bestrebungen globale Ungleichheiten und globale Formen der Ausbeutung aufzubrechen und zu überwinden. Doch das Projekt der Globalen Sozialen Rechte zielt nicht nur auf eine effektivere Verrechtlichung. Die Globalen Sozialen Rechte werden auch als Diskurs der Selbstermächtigung beispielsweise von Arbeiter*innen, Frauen, LGBTI-Menschen und Migrant*innen artikuliert, um ihre Interessen als politische Subjekte gegenüber dem Staat und internationalen Organisationen einzuklagen. Zudem bietet das Projekt der Globalen Sozialen Rechte die Möglichkeit, die Forderung verschiedener Akteure zu verbinden. Aus den partikularen, aber global ausgetragenen Kämpfen für soziale Rechte kann so eine gemeinsame und solidarische politische Strategie für eine egalitärere (Welt-)Gesellschaft werden. Dies macht die Globalen Sozialen Rechte für eine emanzipatorische und internationalistische linke Perspektive so attraktiv.

Auch für die Entwicklungspolitik können sie einen bewegungsorientierten, rechtsbasierten und globalen Rahmen bieten, der weit über die staatlich ausgehandelten Absichtserklärungen der SDGs hinausweist. Das Projekt der Globalen Sozialen Rechte kann, in anderen Worten, eine zivilgesellschaftliche Antwort auf die Agenda 2030 sein. Denn soziale Rechte sind Teil der unteilbaren und völkerrechtlich bindenden Menschenrechte. Die Diskurse und Kämpfe um Globale Soziale Rechte zeigen zudem die Grenzen des Wachstumsdogmas auf und vermögen es daher, die SDGs in kritischer Weise zu politisieren. So eröffnen sie einen Weg für entwicklungspolitische NGOs, sich von der Erfüllung staatlich vorgegebener technischer Indikatoren zur Bemessung der Nachhaltigkeitsziele zu verabschieden. Stattdessen könnten dann auch sie als internationale Bewegung eine Transformation zu einer echten – weil gerechten – nachhaltigen Welt fordern.

  

Literatur
  • Brand, Ulrich und Markus Wissen (2017): Imperiale Lebensweise. Zur Ausbeutung von Mensch und Natur im Globalen Kapitalismus. München.
  • Boewe, Jörn (2016): «Die Drehkreuze blockieren» In: Neues Deutschland. 17. Juni 2016.
  • Candeias, Mario und Eva Völpel (2014): Plätze sichern! ReOrganisierung der Linken in der Krise. Zur Lernfähigkeit des Mosaiks in den USA, Spanien und Griechenland. Berlin.
  • Fischer-Lescano, Andreas und Kolja Möller (2012): Der Kampf um Globale Soziale Rechte. Zart wäre das Gröbste. Berlin.
  • Forum Menschenrechte et. al. (Hg) (2016): Deutschland und die UN-Nachhaltigkeitsagenda 2016. Noch lange nicht nachhaltig. Berlin/Bonn/Osnabrück.
  • Kanzleiter, Boris (2017): «Globale Soziale Rechte. Ein Konzept für eine internationalistische linke Perspektive». In: Soziale Rechte Weltweit. Abschlussdokument der Fachtagung des Zentrums für internationalen Dialog und Zusammenarbeit der Rosa Luxemburg Stiftung, 21./22.02. Berlin.
  • Kron, Stefanie (2017): «Struggles for Urban Citizenship in Europe». In: Krenn, Martin und Katharina Morawek (Hg.): Urban Citizenship. Democratizing Democracy. Zürich. S. 77-88.
  • Lebuhn, Henrik (2016): « ‹Ich bin New York › - Bilanz des Kommunalen Personalausweises in New York City». In: Zeitschrift Luxemburg. Gesellschaftsanalyse und linke Praxis 2/2016. S. 114-119.
  • Lessenich, Stephan (2016): Neben uns die Sintflut. Die Externalisierungsgesellschaft und ihr Preis. München.
  • Martens, Jens (2016): Die SDGs auf der G20-Agenda. Der G20-Aktionsplan zur 2030-Agenda für nachhaltige Entwicklung. Bonn 2016.
  • Stötzel, Regina (2016): «Roboter streiken nicht». In: Neues Deutschland. 24./25.09.2016.  

[1] Der UN-Sozialpakt schreibt die so genannten sozialen Rechte als wirtschaftliche, soziale und kulturelle Menschenrechte (WKS-Rechte) fest. Dieser multilaterale, völkerrechtliche Vertrag wurde bislang von 160 Staaten ratifiziert.

[2] Wie der so genannte Handelsstreit zwischen den USA und der EU vom April dieses Jahres zeigt, sind sogar die neoliberalen Freihandels- und Investitionsabkommen in die Krise und unter den Druck neo-nationalistischer Schutzpolitiken geraten.

[3] Der Plattform gehörten u.a. die Grundsatzabteilung der IG-Metall, medico international, Attac, Greenpeace und «Kein Mensch ist illegal» an.

[4] Vgl. Vienna Declaration 1993 and Programme of Action.