Publikation International / Transnational - Krieg / Frieden Konsequente Friedenspolitik und linke Handlungsfähigkeit

Ingar Solty plädiert für einen «Entstaatlichung» linker Außenpoltik

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Reihe

Online-Publ.

Autor

Ingar Solty,

Erschienen

März 2016

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«Wer Fluchtursachen bekämpfen will, muss Freihandelspolitik bekämpfen»
«Wer Fluchtursachen bekämpfen will, muss Freihandelspolitik bekämpfen» CC BY-SA 3.0, Foto: Ggia, via Wikimedia Commons

Es wäre leicht, angesichts der immensen Widersprüche im globalen Kapitalismus und der Gefahr, dass diese, weil sie unaufhebbar erscheinen, in Barbarisierung umschlagen, zu resignieren. Linke Politik ist jedoch mit Resignation nicht vereinbar. Durch ihre Orientierung an einem kritisch-dialektischen Theorie- und Praxisansatz glaubt sie zu wissen, dass – mit Bertolt Brecht gesprochen – die «Widersprüche (...) unsere Hoffnung sind». Linke Politik analysiert diese und interveniert in sie hinein, sucht Einheiten zu schaffen zwischen scheinbaren Gegensätzen bei den Subalternen und Gegensätze zu schaffen in der scheinbaren Einheit der Herrschenden. Das Dilemma linker Politik heute scheint jedoch zu sein, dass sie angesichts der Größe der Widersprüche und der Realität der drohenden Gefahren heute die Machtfrage stellen muss, aber (noch) nicht in der Position ist, dies zu tun. Nichtsdestotrotz ist es ein genuines Bedürfnis von Linken, die nicht resignieren, handlungsfähig zu sein. Dies gilt auch für die Außenpolitik, die – wie in der Studie gezeigt werden sollte – aufs Engste mit den Fragen der Innenpolitik verschränkt ist. In der Außenpolitik jedoch steht die Linke/LINKE bei jedem «Krisenherd» und jedem internationalen «Konflikt» immer vor einem unauflösbaren Gegensatz zwischen der großen Gruppe der Gesinnungsethiker, die wissen, warum sie aus Prinzipien- und politischen Gründen an der konsequenten Friedenspolitik festhalten will und muss, und einer deutlich kleineren Gruppe von Verantwortungsethikern, die im Kontext der sich überschlagenden Ereignisse und staatlichen, machtinteressegeleiteten Propaganda zum Handeln drängt, denn man müsse ja angesichts des wahrgenommenen Konfliktleids «etwas tun».

Wie kann also eine linke Außenpolitik aussehen, die die Linke zugleich handlungsfähig macht? Fakt ist: Die wichtige Debatte über eine linke Außenpolitik steckt noch in den Kinderschuhen. Ein Aspekt dieser Debatte ist, dass die Suche nach linker Handlungsfähigkeit sich auf das Ausloten von Gemeinsamkeiten zwischen den Kräften im linken politischen Spektrum konzentriert. Nach Jahren der politischen Entfremdung in Folge von Spaltungen im Zuge der von SPD und Bündnis 90/Die Grünen zu verantwortenden Kosovo- und Afghanistankriegs gab es hierfür einen Resonanzboden, der erst im Zuge der erneuten Entfremdung während des Ukrainekonflikts wieder verschwand. Dies hing mit dem offensichtlichen und grandiosen Scheitern der militärischen Regime-Change- und State-Building-Politik des «Westens» vom Irak über Afghanistan bis nach Libyen. Diese Erkenntnis, dass diese Politik selbst an ihren selbstgewählten Zielen gescheitert ist, führte auch im Spektrum von SPD und Bündnis 90/Die Grünen zur Einsicht, dass eine von der militärischen Logik dominierte Außenpolitik nicht tragfähig ist. Vor diesem Hintergrund war die Vorstellung, dass sich auf der grundlegenden gemeinsamen Basis eines abstrakten Menschenrechtsuniversalismus Gemeinsamkeiten finden lassen könnten, wie linke Außenpolitik auf der Grundlage dieser normativen Orientierung sich vor allem auf zivilgesellschaftlich orientierte und präventive Politik zur Wahrung dieser Menschenrechte im globalen Maßstab einigen könnte. Dabei fehlte aber nicht der Zusatz, dass notfalls auch militärische Mittel nötig sein könnten, diesen Menschenrechten global zur Verwirklichung zu verhelfen. Der Krieg ist theoretisch eine Ausnahme, das macht ihn in der Praxis aber umso wahrscheinlicher.

Das grundlegende Problem dieser Suche nach Bündnisfähigkeit im politischen Raum hängt damit zusammen, dass die Geschichte allgemein und die Kriege der letzten Jahre lehren, dass das außenpolitische Handeln von Staaten niemals aus normativen Gründen passiert und werteorientiert ist. Staaten handeln stets nach den eigenen, realen, (geo-)politischen und ökonomischen Machtinteressen. Die Tatsache, dass ihr Handeln nicht von universellen Menschenrechten angeleitet wird, offenbart sich auch anhand der Heuchelei des Imperialismus, wenn er etwa mit Saudi-Arabien paktiert, aber zugleich seine Gegnerschaft zu Daesh oder dem Assad-Regime mit Menschenrechten begründet.

Dabei gilt, dass manchen Kriegen theoretisch durchaus auch Ergebnisse folgen mögen, bei denen die Menschenrechte profitieren. Auch in der realen Geschichte gibt es hierfür zweifellos Beispiel. Zudem können im Rahmen von staatlichen Kriegen bei einigen der Akteure durchaus Menschenrechte als ursprüngliche Handlungsmotivation eine Rolle spielen. Entscheidend ist jedoch, dass dieses werteorientierte Handeln nur dann praktisch umgesetzt werden kann, wenn eine mit ihnen verbundene Kriegsintervention zugleich den realen Staatsmachtinteressen nicht widersprechen.

Wenn linke Politik also glaubt, mithilfe des (kriegführenden) Staates linke Werte umzusetzen, dann missversteht sie die Funktionsweise des Staates im Kapitalismus, der auf der Grundlage der in ihm zu politischen Projekten verdichteten Klasseninteressen handelt.

Heißt dieser Gedanke zu Ende gedacht dann jedoch nicht, dass die Linke den Gegensatz von Gesinnungs- versus Verantwortungsethikern nicht auflösen kann, und dass ihr in Situation von massiven Menschenrechtsverletzungen im globalen Raum die Handlungsfähigkeit geraubt ist? Wie kann die Linke friedenspolitisch handlungsfähig werden, wenn sie «immer nur ‹nein› sagt», wie ihre menschenrechtsbellizistischen Kritiker ihr vorwerfen, wenn sie (scheinbar) keine «Verantwortung» übernimmt?

Tatsächlich gibt es auch für linke Außenpolitik Handlungsfähigkeit. Ein Blick in ihre eigene Geschichte der Arbeiterbewegung zeigt, dass die Linke sich als (proletarisch-)internationalistisch begriff und das kommunistische Projekt der Emanzipation der Menschheit ein globales war. Hiergegen war der Nationalismus bürgerlich und rechts. Erst mit dem Ersten Weltkrieg und dem Kollaps des proletarischen Friedensinternationalismus, in dem ein langer und brüchiger Prozess der national-sozialstaatlichen Integration der dominanten, sozialdemokratischen Arbeiterbewegung spiegelte, und der Durchsetzung des Projekts «globaler Kapitalismus» im Rahmen des American Empire wurde dieses Verhältnis (teilweise) auf den Kopf gestellt.

Das heißt jedoch nicht, dass die Linke nicht handlungsfähig war. Vor der «Durchstaatlichung» des reformorientierten Flügels in der Arbeiterbewegung wäre die transformatorische Linke niemals auf die Idee gekommen, ihr proletarisch-internationalistisches Handeln über den Umweg des Staates zu tun. Die in den Begriffen des «guten Imperialismus» («White Man’s Burden», Zivilisation vs. Barbarei etc.) formulierte Expansionspolitik der kapitalistischen Staaten im ausgehenden 19. Jahrhundert war für die Linke kaum eine Herausforderung, so wie diese Politik es heute für manche Linke ist. Sie sich zu eigen zu machen, musste für diesen linken Internationalismus wie eine absurde Vorstellung anmuten. Handlungsfähigkeit suchte sie sich auf dem Weg des praktischen Internationalismus unterhalb der vermachteten Ebene eines spezifisch-kapitalistischen Nationalstaates. Von dieser Perspektive eines unterstaatlichen, bewegungsorientierten, gesellschaftlichen Internationalismus lässt sich heute noch viel lernen. Dabei wäre sie auch auf die Europäische Union, das EU-Empire, zu übertragen, die als «Form transnationaler Staatlichkeit» (Hans-Jürgen Bieling) im Grunde als «Verdichtung gesellschaftlicher Kräfteverhältnisse zweiter Ordnung» (Ulrich Brand) mit einer besonderen Dominanz der Kapitalseite gedacht werden kann.

Dabei finden sich in der Geschichte der internationalistischen, revolutionären Arbeiterbewegung viele anregende Erfahrungen für Herausforderungen, mit denen linke Politik heute konfrontiert ist. Im Hinblick etwa auf die Probleme, die mit der ungleichen Entwicklung des Kapitalismus, Lohngefällen, Arbeitsmigration und Rassismus entstehen, ließe sich, um nur ein Beispiel zu nennen, zweifellos viel aus dem Umgang der russischen Sozialdemokraten mit dem Problem des Lohndumpings und Rassismus durch den Zuzug von iranischen Proletariern insbesondere in die Ölfelder von Baku. Anstatt den Staat, der die Sozialdemokraten in Folge der Revolution von 1905 verfolgte, um Hilfe zu rufen, womöglich noch um die Grenze zu schließen, bemühten sie sich vielmehr auf der unterstaatlichen Ebene um den Aufbau einer verbündeten Arbeiterpartei im Iran und unterstützten auf vielfältige proletarisch-internationalistische Weise die Praxis der entstehenden iranischen Arbeiterbewegung während der Iranischen Verfassungsrevolution (1905-1911).

Linke Außenpolitik wird dadurch links, dass sie sich an einer Bekämpfung der Problemursachen und nicht der Problemsymptome orientiert.

Diese Perspektive eines transformatorischen Bewegungsinternationalismus, der im Bewusstsein handelt, dass das Schicksal der Subalternen in den verschiedenen kapitalistischen Staaten verbunden ist, ließe sich im Hinblick auf Kontexte weiterdenken, in denen sich die transformatorische Linke vor dem Hintergrund «internationaler Krisen» in den Streit zwischen Gesinnungs- und Verantwortungsethikern verzettelt. Denn dieser Streit muss aus zwei Gründen unproduktiv bleiben: Erstens vor dem Hintergrund seines abstrakten Prinzipiencharakters und zweitens, weil die Linke in der (gesellschaftlichen) Opposition sich zwar im Fahrersitz der Geschichte dünken mag, wenn sie den bürgerlich-kapitalistischen Staat auffordert oder rät, auf eine bestimmte Weise zu handeln oder eben nicht zu handeln, aber von ihren Aufforderungen oder Ratschlägen das konkrete Handeln dieses vermachteten Staates ohnehin nicht abhängt, solange sich die Linke in der (gesellschaftlichen) Opposition befindet und sie sich «den Staat» nicht im Rahmen eines radikalen gesellschaftlichen Transformationsprozesses zu «ihrem» Staat gemacht hat (was selbst nicht durch eine Regierungsübernahme mit absoluter Mehrheit getan ist). Mit anderen Worten: Die Linke sollte nicht, indem sie die Staatsperspektive einnimmt, Handlungsfähigkeit in Situationen simulieren, in denen sie – auf diesem Wege – effektiv ohnehin keine Handlungsfähigkeit besitzt.

Linke Außenpolitik sollte sich entsprechend um eine Entstaatlichung ihrer Praxisperspektive bemühen und Wege eruieren, wie linke Parteien – als Parteien der (Klassen-)Bewegung(en), deren Handlungsfähigkeit in den staatlichen Institutionen grundsätzlich von der (Gegen-)Macht dieser Bewegungen in der «Zivilgesellschaft» abhängt – auf der Grundlage einer Haltung der internationalen Solidarität tätig werden können. Nur wie genau könnte eine solche Perspektive der Entstaatlichung des linken Außenpolitikdenkens im Konkreten aussehen? Dies wäre zu diskutieren – ganz allgemein, aber durchaus auch mit jenen heiklen Situationen, wo linke Positionen Gefahr laufen, sich in Widersprüchen zu verstricken. Eine davon war zweifellos die – für Linke besonders emotional aufgeladene Frage der Bedrohung der kurdischen Autonomiegebiete durch Daesh – Rojava/Kobane. Auch hier hing die Entscheidung des deutschen Staates in den Fragen, ob er Waffen an die Peschmerga liefert oder sich im Krieg gegen Daesh beteiligt, nicht von der Linken, geschweige denn den linken Parlamentariern ab. Warum stellte sich dann aber diese Frage, welche Position linke Politiker einnahmen und welches Abstimmungsverhalten sie zeigten, überhaupt in dieser Dramatik? Eine Fokussierung linker Außenpolitik an konkretem, (zivil-)gesellschaftlichem Internationalismus hatte doch viele Möglichkeiten konkreter Handlungsfähigkeit und ganz praktischer Entscheidungen: Organisiert man Demonstrationen und Solidaritätsaktionen, mit denen man Druck auf die deutsche Bundesregierung ausübt, die PKK zu legalisieren oder selber wiederum Druck auf die Türkei auszuüben, die Grenzen für infiltrierte Daesh-Kämpfer systematisch zu schließen und für kurdische Flüchtlinge zu öffnen? Hält man es vielleicht für richtig, in der Linken Gelder für zivile Einrichtungen («eine Feuerwehr für Rojava») zu sammeln? Oder für Verteidigungswaffen? Oder gar – nach dem Vorbild dem Internationalismus im Spanischen Bürgerkrieg – selber für die praktische militärische Verteidigung der Gebiete gegen die Daesh-Barbarei einzutreten? Mit den Antworten auf all diese Fragen wäre mehr Handlungsfähigkeit gewonnen als durch den ewigen Clash der Gesinnungs- und Verantwortungsethiker.

Und doch kann sich linke Außenpolitik in der Weiterentwicklung einer solchen Perspektive der Entstaatlichung nicht erschöpfen. Ein Essential der Friedens- und Konfliktforschung ist, dass Frieden mehr ist als bloß die Abwesenheit von Krieg! Und sie beschäftigt sich schließlich mit der Frage, wie Gesellschaften vom Zustand vom Nicht-Krieg in den Krieg übergehen. In den vorangegangenen Kapiteln wurde argumentiert, dass im Rahmen des globalen Kapitalismus Frieden kaum denkbar ist und die kapitalistischen Staaten oft genug reaktiv die oft fürchterlichen Symptome behandeln, die die Widersprüche der Globalisierung kapitalistischer Sozialverhältnisse mit sich bringen. In einer Welt dieser Widersprüche – von der Prekarität vollkommen marktabhängig gewordener Menschen im Kontext der Volatilität globaler Märkte bis hin zur dramatisch gewachsenen, globalen Vermögensungleichheit – ist der Krieg längst schon da, bevor er ausbricht. Globaler Kapitalismus bedeutet permanenter Krieg in Latenz.

Vor diesem Hintergrund ist linke Außenpolitik nicht nur schlecht beraten, ihr Wissen aufzugeben, dass die neuen (Ressourcen-)Kriege niemals ohne eine Transformation des Kapitalismus, die ohne Klassenkampf nicht zu realisieren sein wird, enden werden können. Sie muss sich stets erinnern, dass es ihr darum gehen muss, das Problem an der Wurzel zu greifen, das einen Namen hat: Globaler Kapitalismus.

Damit aber hört linke Außenpolitik auf, Außenpolitik zu sein. Und sie beginnt mit der Aufhebung der Engführung des Außenpolitikbegriffs auf die Politik des Staates und die Logik des Militärs. Sie beginnt lange bevor es zu einer «internationalen Krise» gekommen ist. Denn linke Außenpolitik ist nicht links, wenn sie sich das «muddling through» des kapitalistischen Staates im Umgang mit den von ihm selbst geschaffenen Widersprüchen zu eigen macht. Linke Außenpolitik wird dadurch links, dass sie sich an einer Bekämpfung der Problemursachen und nicht der Problemsymptome orientiert.

Dies ist freilich leichter gesagt, als getan. Es beginnt aber mit einer Erkenntnis: Linke Außenpolitik wird dadurch zu linker Außenpolitik, dass sie einen breiteren Ansatz wählt, der die Trennung von Innen- und Außenpolitik, von Wirtschafts- und Sozialpolitik usw. usf. aufhebt und in das ganzheitliche Projekt einer international(istisch)en Formierung von gesellschaftlichen (Klassen-)Parteien überführt. Gelingt es diesen etwa, Freihandelsabkommen zu verhindern, dann handeln sie im Sinne einer linken Außenpolitik insofern, dass sie damit zentrale Ursachen von Perspektivlosigkeit, religiösem Fundamentalismus, Krieg und Flucht bearbeiten und künftige Krisensituationen präventiv bearbeiten. Das heißt darum auch, dass linke Außenpolitik sich realen Verbesserungen für die Subalternen nicht verschließt oder diese nicht anstreben sollte, im Gegenteil. Transformatorische linke Politik zeichnet sich lediglich dadurch aus, dass sie bei dem Versuch, konkrete Verbesserungen für die Subalternen zu erwirken, das Ziel und die Notwendigkeit einer langfristigen Transformation des Kapitalismus, der den Krieg tatsächlich immer noch in sich trägt wie die Wolke den Regen, nicht aus den Augen verliert und erreichte Verbesserungen daran bemisst, wie sie die globale Linke diesem Ziel näherbringen.

Der Artikel wurde veröffentlicht im Schlusskapitel aus «Exportweltmeister in Fluchtursachen» von Ingar Solty.

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