Publikation International / Transnational - Krieg / Frieden - Westasien - Libanon / Syrien / Irak - Westasien im Fokus Problematischer «Wiederaufbau» in Syrien

Die Pläne sind längst geschmiedet. Das Dilemma: Eine Förderung des Aufbaus in Syrien unterstützt immer auch das Assad-Regime.

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Reihe

Online-Publ.

Autor

Harald Etzbach,

Erschienen

Februar 2019

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Syrische Aktivist*innen protestieren vor der Weltzeituhr in Berlin
Syrische Aktivist*innen protestieren vor der Weltzeituhr in Berlin Foto: Harald Etzbach

In März 2019 jährt sich der Beginn der syrischen Revolution zum achten Mal, und es scheint, als werde das Assad-Regime den aus dieser Revolution hervorgegangenen Krieg für sich entscheiden. Vor diesem Hintergrund ist in den letzten Monaten eine Diskussion um den Wiederaufbau des Landes entstanden, eine Diskussion, die nicht zuletzt auch vom syrischen Regime selbst und seinem Hauptverbündeten Russland forciert wurde. Der Krieg in und um Syrien ist jedoch noch keineswegs zu Ende, sondern tritt möglicherweise vor dem Hintergrund wechselnder Bündnisse gerade in eine neue Phase der Auseinandersetzungen um mehr oder weniger unmittelbare Formen der Einflussnahme ein. Daher geht es, wenn von Wiederaufbau die Rede ist, nicht nur um die enormen materiellen Zerstörungen und die Kosten, die notwendig sind diese zu beseitigen, sondern wesentlich auch um die Folgen, die sich aus dem Wiederaufbau für die politische, ökonomische und soziale Nachkriegsordnung ergeben.

Nicht verwunderlich ist, dass das Assad-Regime wiederholt erklärt hat, der Wiederaufbau des Landes solle vor allem von seinen Verbündeten geleistet werden. Russlands ökonomische Rolle ist schon in den letzten Jahren parallel zu seiner militärischen Bedeutung für das Überleben des Assad-Regimes deutlich gewachsen. Bereits im Oktober 2015 führte der Besuch einer russischen Delegation in Damaskus zum Abschluss von Verträgen in Höhe von insgesamt mindestens 850 Millionen Euro. Ein Jahr später, im November 2016, erklärte der syrische Außenminister Walid Muallem anlässlich des Besuchs einer weiteren russischen Delegation, Russland stehe beim Wiederaufbau Syriens Priorität zu.

Im Januar 2018 unterzeichnete Moskau ein bilaterales Abkommen mit Damaskus, das ihm exklusive Förderrechte für Öl und Gas in Gebieten unter unmittelbarer Kontrolle des Assad-Regimes einräumte. Diesem Abkommen folgte die Ankündigung des russischen Energieministers Alexander Nowak, dass Moskau mit Syrien einen «Fahrplan» zur  «Wiederherstellung von Ölfeldern und Entwicklung neuer Lagerstätten» unterzeichnet habe. Im Oktober 2018 wurde schließlich die Zusammenarbeit zur Verbesserung der syrischen Ölförderanlagen angekündigt.

Zusätzlich zu den Investitionen im syrischen Energiesektor haben russische Unternehmen in anderen Sektoren der syrischen Wirtschaft Verbindungen aufgebaut, um sicherzustellen, dass Damaskus strategisch wichtige Aufträge an russische Unternehmen vergibt. Im März 2018 sicherten sich russische Unternehmen Vorabvereinbarungen bei 26 Projekten, darunter bei Projekten zur Stromerzeugung in Homs, bei einer Eisenbahnlinie, die den internationalen Flughafen von Damaskus mit dem Stadtzentrum verbindet, und bei einer Reihe von Industrieanlagen, die nach russischer Einschätzung eine entscheidende Rolle für die zukünftige Entwicklung Syriens spielen werden.

Auch der Iran will vom syrischen Wiederaufbau profitieren, zumal die militärische Intervention zugunsten des Assad-Regimes sehr kostspielig war. Über den Umfang der militärischen und ökonomischen Unterstützung des Iran für das Assad-Regime gibt es sehr unterschiedliche Schätzungen, die Rede ist von 30 bis 105 Milliarden US-Dollar.

Das iranische Engagement in Syrien geht jedoch über eine konventionelle ökonomisch-militärische Präsenz hinaus und zielt auf eine längerfristige Verankerung in der syrischen Gesellschaft: Eine wichtige Rolle spielen dabei die besonderen finanziellen und ideologischen Institutionen des Iran. Zusammen mit etwa einem Dutzend anderer mit dem Iran verbundenen Organisationen arbeitet zum Beispiel Dschihad al-Bina, eine islamische Wohltätigkeitsstiftung, die nach dem Krieg vom Sommer 2006 den Wiederaufbau Südbeiruts finanzierte und organisierte, bereits an großen Infrastrukturprojekten in Syrien. In Aleppo, Homs und anderen Städten sollen mit Hilfe der Stiftung Schulen, Straßen und Krankenhäuser wieder aufgebaut und Familien der vom Iran finanzierten syrischen Milizionäre unterstützt werden.

Inwieweit andere regionale Akteure sich an Wiederaufbaumaßnahmen in Syrien beteiligen werden, bleibt abzuwarten und hängt wesentlich von der Entwicklung geopolitischer Dynamiken in der Region ab. So lässt sich etwa seit einiger Zeit eine Annäherung zwischen Syrien und den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE), aber auch Saudi-Arabien beobachten. Hintergrund dürfte u.a. der Wunsch der VAE und Saudi-Arabiens nach einer Zurückdrängung des iranischen Einflusses sein.

Allerdings wirft bereits das Ausmaß der Zerstörung die Frage auf, ob russisches, iranisches und sogar chinesisches Kapital für den Wiederaufbau des Landes ausreicht. Insbesondere Russland und der Iran haben selbst eine Reihe von gravierenden wirtschaftlichen Problemen. Vor diesem Hintergrund ist es wenig verwunderlich, dass Russland seit einiger Zeit versucht, die Länder der Europäischen Union für Investitionen in den syrischen Wiederaufbau zu gewinnen. Die russische Regierung spielt dabei offen die Flüchtlingskarte: Der Wiederaufbau Syriens soll die Rückkehr der Geflüchteten ermöglichen und so der rassistischen Rechten in Europa den Wind aus den Segeln nehmen. Umgekehrt versucht z.B. die deutsche Regierung, Investitionen in Syrien von Vereinbarungen über eine politische Lösung abhängig zu machen. Keine dieser beiden Strategien war bislang erfolgreich.  

Nicht zuletzt hängt die Frage des Wiederaufbaus aber auch davon ab, inwieweit das Assad-Regime in der Lage ist, in den Regionen, die unter seiner Kontrolle stehen, Stabilität und ein investitionsfreundliches Geschäftsumfeld zu schaffen.

Tatsächlich hat das Regime den Wiederaufbau bisher benutzt, um die eigene Macht zu festigen. Eine wichtige Rolle spielen dabei die von Präsident Assad erlassenen Dekrete 66 und 10, die unter dem Vorwand, die Grundlage für den Wiederaufbau zu legen, umfangreiche Enteignungen von Häusern und Landbesitz ermöglichen und mit der Vertreibung der bisherigen Bewohner*innen und Besitzer*innen einen weitreichenden Prozess des politisch motivierten Bevölkerungsaustauschs in Gang setzen. Dekret 66 von 2012 betrifft den Wiederaufbau zerstörter Gebiete in den Vororten von Damaskus. Doch ist das Ziel nicht die Wiederansiedlung der ursprünglichen Bewohner*innen, sondern die Schaffung luxuriöser Wohngebiete in unmittelbarer Nähe der Hauptstadt. Die Umsetzung des Dekrets 66 bedeutet, einen demographischen Wandel in Verbindung mit der Durchsetzung politischer Loyalität gegenüber dem Regime herzustellen. So soll in Damaszener Vororten wie etwa Basatin al-Razi – 2012 eine der Hochburgen der Proteste gegen das Regime – anstelle regimekritischer Bewohner*innen aus der Arbeiterklasse eine wohlhabende regimetreue Bevölkerung angesiedelt werden. Der Wiederaufbau (tatsächlich eher die Zerstörung und eine daran anschließende sozio-ökonomische Umwandlung) von Basatin al-Razi ist eines der größten Investitionsvorhaben in Syrien mit einem Volumen von mehreren hundert Millionen US-Dollar.

Dekret 10 ist in gewisser Weise eine Ausweitung der Bestimmung von Dekret 66 auf nationaler Ebene. Erlassen im April 2018 nach der Eroberung von Ost-Ghouta ermöglicht Dekret 10 die Einrichtung von sogenannten «Entwicklungszonen» für den Wiederaufbau. Innerhalb dieser Zonen können sämtliche Immobilien, Grundstücke und Agrarflächen  enteignet werden, sofern sie nicht in den Katastern registriert ist.

Liegt eine solche Registrierung nicht vor, muss der Besitz innerhalb eines Jahres durch die Vorlage entsprechender Dokumente nachgewiesen werden. Faktisch handelt es sich bei Dekret 10 um ein Enteignungsgesetz. Denn abgesehen davon, dass 70 Prozent aller Syrer*innen keine gültigen Papiere mehr besitzen, ist es für viele von ihnen sowieso nicht möglich, ihre Ansprüche anzumelden, da sie mit einer Rückkehr nach Syrien Verhaftung, Zwangsrekrutierung oder gar den Tod riskieren.

Auch Dekret 10 soll zur politischen Homogenisierung der Bevölkerung eingesetzt werden. So erklärte der syrische Minister für Lokalverwaltung und Umwelt, Hussein Maklouf, die Verordnung solle zuerst in Baba Amr in Homs, in Harasta in der Region Ost-Ghouta und sowie in einigen informellen Stadtvierteln von Aleppo angewandt werden. Alle diese Gebiete sind ehemalige Hochburgen der Opposition, die vom Regime nach langen Belagerungen und Hungerblockaden wiedererobert wurden.

Die Aufträge für den Wiederaufbau werden dabei an Unternehmer*innen und Investoren vergeben, die dem Regime nahestehen. Der Fall Basatin al-Razi kann hier geradezu als Modell für die Wiederaufbaupläne des Regimes insgesamt gelten. Das Projekt in Basatin al-Razi wird vom syrischen Regime mit Hilfe der Organisation Cham Holdings betrieben, die eigens zu diesem Zweck gegründet wurde und sich im Besitz des Gouvernements von Damaskus befindet. Rami Makhlouf, Assads Cousin und einer der reichsten Geschäftsleute Syriens, ist Mehrheitsaktionär von Cham. Eine enge Zusammenarbeit besteht mit der Aman-Gruppe des syrischen Unternehmers Samer Foz, dessen Vater bereits ein Vertrauter von Hafiz al-Assad war. Im August 2017 kündigte Aman zusammen mit dem Gouvernement von Damaskus die Gründung der Aman Damascus Joint Stock Company an, mit einem Kapital 18,9 Millionen US-Dollar. Vor dem Deal mit der Aman-Gruppe hatte Damaskus Cham ein ähnliches Joint-Venture mit der Zubaidi und Qalei LLC gegründet. Dieses Unternehmen befindet sich im Besitz von Khaled Al-Zubaidi und Nader Qalei, zwei mächtigen Geschäftsleuten aus Damaskus mit engen Verbindungen zum Regime. Mit verschiedenen syrischen Banken hat Cham zudem eine Finanzierungsgesellschaft gegründet, darunter auch mit der von Mohammad Halabi geleiteten al-Baraka Bank. Halabi war zuvor stellvertretender Aufsichtsratsvorsitzender der Syria International Islamic Bank, die 2011 und 2012 wegen ihrer Rolle bei Waffengeschäften für das Assad-Regime mit internationalen Sanktionen belegt wurde.

Die Umgestaltungspläne für Basatin al-Razi sind weitreichend: Nach Angaben des Gouverneurs von Damaskus sollen die alten Häuser im gesamten Viertel abgerissen werden, um ein Wohngebiet gehobener Preisklasse unter dem Namen «Marota City» zu errichten. Die 2,15 Millionen Quadratmeter große Erschließung soll 12.000 Wohneinheiten für schätzungsweise 60.000 Einwohner*innen umfassen. Geplant sind unter anderem mindestens drei Hochhäuser mit 50 Stockwerken.

Der politische, ökonomische und rechtliche Rahmen des Wiederaufbaus in Syrien wird wesentlich von den sich zum Teil überschneidenden, teils einander widersprechenden Interessen eines durch den Krieg weiter brutalisierten Regimes, seiner militärisch-politisch Verbündeten und einer mit dem Regime verbundenen Kapitalistenklasse bestimmt. Daher steht jede Förderung des Wiederaufbaus in Syrien vor dem Dilemma, dass sie mittelbar oder unmittelbar zur Unterstützung des Regimes beiträgt. Ob, wie verschiedentlich vorgeschlagen, eine an Bedingungen geknüpfte Aufbauhilfe Erfolg haben wird, bleibt angesichts der Unnachgiebigkeit des Regimes und seines nach den militärischen Erfolgen der letzten Zeit wiedergewonnenen Selbstbewusstseins mehr als fraglich. Möglich sind alternative Wege des Wiederaufbaus vielleicht in Gebieten, die der Kontrolle des Regimes entzogen sind, allerdings wird sich der Wiederaufbau auch hier an den Interessen der jeweils dominierenden Besatzungsmacht (wie etwa der Türkei etc.) orientieren – keine erfreuliche Perspektive für die Zukunft Syriens, aber wohl zumindest im Augenblick eine realistische.

 
Harald Etzbach ist Historiker und Politikwissenschaftler und arbeitet als Übersetzer und Journalist. Er publiziert zu Themen des Nahen Ostens und zur US-amerikanischen Außenpolitik.