Publikation Soziale Bewegungen / Organisierung - Staat / Demokratie - Parteien / Wahlanalysen - Europa - Westeuropa - Europa links Dunkle Wolken über den Plätzen

Spanien vor wegweisenden Wahlen auf allen Ebenen

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Reihe

Online-Publ.

Autor

Mario Candeias,

Erschienen

April 2019

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Barcelona, 21.3.2019: Demonstration gegen VOX
«Auf landesweiter Ebene droht die Restauration den Geist des 15M zu verdrängen.» Barcelona, 21.3.2019: Demonstration gegen VOX, CC BY-NC-ND 2.0, Fotomovimiento/Xavi Ariza, via Flickr

Der Protest war links. In Zeiten der großen Krise und der Austerität ist es der Linken im spanischen Staat gelungen, Unbehagen, Wut und Enttäuschung nach links zu wenden. Mit den Platzbesetzungen vom 15. Mai 2011 der sogenannten Indignados (Empörten) kam es zu einer gesellschaftlichen Mobilisierung, die das ganze Land erfasste. Die Bewegung 15M mündete in unterschiedlichste Initiativen und Projekte, wie der PAH (die Plattform der von Zwangsräumungen Betroffenen), den Mareas (unterschiedliche Wellen der Organisierung in den Bereichen Bildung, Gesundheit, Medien etc.) oder eben der Gründung von kommunalen Plattformen wie Ahora Madrid oder Barcelona en Comú und der Entstehung der linken Partei Podemos. Diese Konjunktur ist nun an ihr Ende gekommen.

Podemos: Kampf zweier Linien

Nun sind die autoritäre Rechte und der Nationalismus wieder im Aufwind. Dafür gibt es Gründe, die innerhalb des linken Lagers verortet sind und die ich hier nur ganz kurz benennen kann. Der sensationelle Aufstieg von Podemos als vermeintliche Partei aus den Bewegungen – tatsächlich ein Projekt einer kleinen Gruppe, die angesichts des Niedergang der Sozialdemokratie und linker Massenmobilisierung den Moment richtig zu nutzen wusste, war von Beginn an mit dem Widerspruch zwischen dem Anspruch nach «wirklicher Demokratie» und Bewegung konfrontiert sowie der Notwendigkeit aus dem Nichts eine Medien- und Wahlkampfmaschine aus dem Boden zu stampfen. Dies führte zu zahlreichen innerparteilichen Konflikten, Demobilisierung, Entkopplung der Führung, als auch zu Versuchen, die post-trotzkistische radikale Linke herauszudrängen.

Die Strategie eines linken Populismus (der manchmal nicht mehr links sein wollte) war zunächst verbindend und erfolgreich. Mit der Abschwächung der Dynamik schälte sich jedoch immer härter der Kampf zweier strategischer Linien heraus: Der Mehrheitsflügel von Pablo Iglesias suchte den Schulterschluss mit der verjüngten Führung der Linkspartei Izquierda Unida (IU), während der Flügel um Íñigo Errejón stärker in die Mitte und das Wähler*innenreservoir der Sozialdemokratie stoßen wollte. Letzterer sah die Ursache für die mangelnde Dynamik in der Verbindung mit der vermeintlich «traditionellen» Linken, der IU, institutionalisiert in der Parlamentsfraktion Unid@s Podemos. Errejón wurde zur Belastung des Bündnisses und entmachtet.

Offenbar wurde hier der Keim der Spaltung gelegt, denn Errejón verkündete nur wenige Monate vor den wichtigen Kommunal- und Europawahlen am 26. Mai 2019, in der Hauptstadt zusammen mit der Bürgermeisterin Manuela Carmena zusammen mit einer eigenen Liste anzutreten, also ohne das breite Bündnis von Podemos, IU und der kommunalen Plattform Ahora Madrid bzw. Más Madrid. Bei einer denkbaren Koalition dieser neuen Formation mit der sozialdemokratischen PSOE würden Podemos und die kommunale Plattform an den linken Rand gedrängt. Eine auch landesweite Spaltung von Podemos ist durchaus denkbar, auch wenn nur wenig Zeit bleibt. Denn Ministerpräsident Pedro Sánchez hat nach dem Scheitern des Haushaltsgesetzes im Parlament vorgezogene Neuwahlen für den 28. April ausgerufen.

Lost in Institutions? Die kommunalen Plattformen

Die kommunalen Plattformen waren in einer Vielzahl von großen und mittleren Städten erfolgreich gewesen und stellten die Bürgermeister*innen. Zugleich wurden viele der sie tragenden Bewegungsakteure in die Institutionen aufgezogen. Sie waren gestartet um die Institutionen zu verändern. Diese waren jedoch wie erwartet solide Strukturen, die nur nach und nach zu verändern sind, zugleich fehlte auch der Druck auf die Institutionen, da die Bewegungen teilweise geschwächt wurden. Mangelnde Bündnispartner (v.a. bei Minderheitsregierungen), übermächtige Gegner von Seiten des Kapitals, beschränkte Rechte der Kommunen und eine verbreitete kommunale Austerität waren weitere Hindernisse. Dennoch konnten zahlreiche und wegweisende Fortschritte erzielt werden, bei der Verhinderung und dem Umgang mit Zwangsräumungen, dem Kampf gegen überteuerte öffentliche Auftragsvergaben für Infrastrukturleistungen an Großunternehmen, der Bekämpfung von Korruption und der Schaffung von Transparenz öffentlicher Verwaltungen, dem Ausbau der Partizipation der Bevölkerung und von Nachbarschaftsräten, der Kooperation mit und Unterstützung von emanzipativen Bewegungen und Initiativen, der Förderung solidarischer Ökonomien, dem Kampf gegen Airbnb und Gentrifizierung oder gegen Großprojekte städtischer «Entwicklung», als sicherer Hafen für Geflüchtete (Barcelona). Die Ergebnisse können sich durchaus sehen lassen. Aber selbstverständlich bleiben sie weit hinter den selbst geweckten, hohen Erwartungen zurück. Vor allem aber reichten die Zeit und die Kräfte bislang nicht aus, um weiter zu kommen und Erreichtes abzusichern.

Das Lavieren der Sozialdemokratie ohne Projekt

Die Sozialdemokratie der PSOE stand kurz vor ihrer Selbstvernichtung. Nach einem innerparteilichen Coup gegen ihren Vorsitzenden Pedro Sánchez, der es gewagt hatte, mit Unid@s Podemos über ein Bündnis zu verhandeln, gelang es diesem, bei einer Urwahl aber wieder an die Spitze zu kommen. Als die von der PSOE tolerierte, rechte Minderheitsregierung unter Mariano Rajoy von der Volkspartei PP endgültig im Korruptionssumpf versank, nutzte Sánchez endlich die Gunst der Stunde für ein Misstrauensvotum und ließ sich mit den Stimmen von Unid@s Podemos, regionaler Plattformen und der Unabhängigkeitsparteien zum Ministerpräsidenten wählen. Er verstand es jedoch nicht, eine Mehrheit aufzubauen. Zwar konnte er mit Unid@s Podemos wichtige Sozialmaßnahmen vereinbaren: die deutliche Erhöhung des Mindestlohns (plus 22 Prozent), die Einführung von bezahlten Elternzeiten, mehr Mittel für den sozialen Wohnungsbau, die Einführung einer Mietpreisbremse und das Recht der Kommunen zur Mietpreisregulierung, Maßnahmen gegen Kinderarmut oder die Erhöhung der Renten und anderes mehr. Zugleich sollten die Grundsteuer (für Werte über 10 Mio. Euro) erhöht und eine Finanztransaktionssteuer eingeführt werden. Doch das Haushaltsgesetz scheiterte schließlich, da er die Unabhängigkeitsparteien, allen voran die linksrepublikanische katalanische ERC, nicht einbinden konnte. Sánchez hatte der Entmachtung der katalanischen Regierung durch die Zentralregierung zugestimmt, die zur Verhaftung der Köpfe der Unabhängigkeitsbewegung führte. Nun wurde gegen zwölf von ihnen im Februar der Prozess vor dem Obersten Gerichtshof in Madrid eröffnet. Ihnen drohen bis zu 25 Jahre Haft wegen «Rebellion» und «Aufruhr». Und wieder tut Sánchez nichts. Er ist auf die Stimmen der Unabhängigkeitsbewegungen angewiesen, hat ihnen aber nichts zu bieten. Er deutet zwar eine Fortentwicklung der Verfassung von 1978 an, jedoch ohne konkret zu werden. Aber eine langsame Restauration eines rudimentären Sozialstaates nach den verheerenden Jahren der Austerität ist zu wenig. Sánchez hat kein Projekt für ein plurinationales Projekt auf dem Territorium des spanischen Staates. Und ohne dieses keine Mehrheit für eine soziale Restauration. So gewinnt die PSOE in Umfragen, aber ohne Perspektive für eine Regierung sanfter sozialdemokratischer Erneuerung wie in Portugal.

Die nationale Frage überlagert alles

Gewinner ist die radikale und nationalistische Rechte. Der Rechten insgesamt ist es gelungen, die politische Polarisierung von der vertikalen (oben gegen unten) in die horizontale Achse (Nation vs. Nation) zu kippen. Die soziale Frage, die den Diskurs seit dem Entstehen der 15M im Jahr 2011 bestimmte, wird von der nationalen Frage verdrängt. Anlass ist der angespannte Konflikt um die Unabhängigkeit Kataloniens. Und zwischen der Unabhängigkeitsbewegung und dem Alt-Nationalismus der Rechten, verbleibt nur wenig Raum für Zwischentöne. Unid@s Podemos oder auch Barcelona en Comú traten für das «Recht auf Abstimmung» der Katalan*innen ein, forderten die Freilassung der katalanischen politischen Gefangenen, waren aber zugleich selbst gegen die Unabhängigkeit Kataloniens. Vielfach erhielten sie dafür von links den Vorwurf der Äquidistanz, weil sie sich nicht auf die Seite der katalanischen Selbständigkeit stellten, obwohl die zentralstaatliche Rechte mit Gewalt und Repression gegen die Unabhängigkeitsbewegung vorging.

Auch wenn dieser Vorwurf eben nicht zutrifft, in Zeiten scharfer Polarisierung wurden vermittelnde Positionen einer wirklichen föderalen Alternative zwischen den Blöcken zerrieben. Es zeigt sich, dass bei allem Verständnis für die linken Unabhängigkeitsbefürworter und die unbedingte Verteidigung ihrer Rechte, aus meiner Sicht diese Form der Polarisierung Unabhängigkeit vs. Nation letztlich der radikalen Rechten in die Hände spielt. Die nationale Frage überlagert alles.

Eine radikal rechte Regierung am Horizont

Im Ergebnis drohen Verluste der Linken. Auf kommunaler Ebene können sich Umfragen zufolge linke Mehrheiten in Valencia, Cadiz und Zaragoza (hier fällt die Plattform Zaragoza en Comun allerdings hinter die PSOE zurück und verliert daher das Amt des Bürgermeisters) halten. In Madrid und Barcelona verlieren die beiden Bürgermeisterinnen Manuela Carmena und Ada Colau, das Gesicht des neuen «Munizipalismus», möglicherweise ihre Posten. Während in Madrid die Mehrheit gänzlich an die rechte verloren ginge, könnte sich in Barcelona eventuelle eine neue Koalition zwischen der sozialdemokratischen Unabhängigkeitspartei ERC, Barcelona en Comú und der PSOE (offen, wer dann den Posten der Bürgermeister*in besetzt). Es wäre wichtig, auch unter veränderten Bedingungen, den Geist des Munizipalismus zu erhalten. Dafür bedarf es des Drucks der städtischen Bewegungen und der Organisierung in den Viertel, um Erreichtes zu verteidigen und das Projekt weiter voranzutreiben.

Auf landesweiter Ebene droht die Restauration den Geist des 15M zu verdrängen. Die PSOE schafft es zwar laut Umfragen mit über 25 Prozent wieder zur landesweit stärksten Kraft zu avancieren und die PP vom ersten Platz zu verdrängen. Wie gesagt, bleibt aber unklar, ob sie eine regierungsfähige Mehrheit zustande brächte. Unid@s Podemos verliert bis zu einem Drittel ihrer Wähler*innen und rangiert derzeit zusammen mit den kommunalen Plattformen bei etwas über 14 Prozent (9,2 + 5,1). Zusammen mit den konservativen Regionalparteien, der baskischen PNV und der kanarischen Coalición Canaria, wäre unter Umständen eine von Pedro Sánchez geführte Regierung denkbar. Neben sozial- und wirtschaftspolitischen Reformen und einer Lockerung der Austerität nach portugiesischem Vorbild wäre die Lösung der katalanischen Frage zentral für Erfolg oder Scheitern.

Derzeit gewinnt jedoch das rechte Lager deutlich hinzu: Zwar hat die rechte Partido Popular (PP) verloren und liegt bei Umfragen nur noch bei 20 bis 22 Prozent. Seit ihrem Erfolg bei den Regionalwahlen in Andalusien steigt die neofranquistische, radikal nationalistische und rassistische Partei Vox in Umfragen auf 9 bis 12 Prozent. Ihr Erfolg geht zum Teil auf Kosten der PP und der rechtsliberalen Partei Ciudadanos, die derzeit bei 16 bis 18 Prozent liegt. In der Tendenz steigt Vox seit Monaten kontinuierlich auf, PP und Ciudadanos verlieren leicht, aber der rechte Block wird insgesamt stärker.

Die Angst vor dem Erfolg der radikalen Rechten sowie dem Verlust von Freiheiten und Bürgerrechten verstärkt zugleich die Anstrengungen für eine Gegenmobilisierung. Die Polarisierung wird nach den vielen Wahlen in den vergangenen Jahren voraussichtlich die zwischenzeitlich gesunkene Wahlbeteiligung wieder stark beflügeln. Nichtsdestoweniger wird am Horizont die Möglichkeit einer radikal rechten Regierung aus PP, Ciudadanos und Vox immer erkennbarer. Es ziehen dunkle Wolken über den Plätzen auf.

 
Mario Candeias ist Direktor des Instituts für Gesellschaftsanalyse der Rosa-Luxemburg-Stiftung und widmet sich u.a. unter anderem dem Thema der Entwicklung von Parteien und Bewegungen im spanischen Staat.