Ich will keinen Voluntarismus verlangen, noch einen Automatismus predigen; sondern die objektive Möglichkeit der Veränderung und ihre Bedingungen aufzeigen. Ich will keine Utopie auspinseln, noch utopisches Denken verbieten; sondern die begründete Hoffnung entfalten. Ich will nicht hoffnungslos auf die guten Menschen warten, noch die Schandtaten der Geschichte mit böser Menschennatur besiegeln; sondern die Menschen in ihrer Geschichte sowie ihren Potentialen ernst nehmen. Ich will nicht mein Leben im ewigen Kampf verlieren, noch vor dem Übermächtigen den Kopf senken. Ich will im Vertrauen auf existierende Potentiale, in Gewissheit der begründeten Hoffnung die menschliche Möglichkeit verwirklichen.
Die Autoren:
Simon Sutterlütti ist Soziologe, aktiv im Commons-Institut und bei der Gruppe 180grad.
Stefan Meretz ist Ingenieur, Informatiker, Mitbegründer des Commons-Instituts und Kolumnist im Wiener Magazin «Streifzüge».
Beide bloggen auf keimform.de.
«Kapitalismus aufheben»? Gehört der Kapitalismus nicht eher abgeschafft und überwunden? Nun, Aufhebung betont, dass wir den Kapitalismus nicht einfach abschaffen können, wir müssen etwas Neues an seine Stelle setzen. Eine gesellschaftliche Transformation hat immer drei Aspekte: Etwas wird beendet (Abschaffung), etwas geht weiter (Bewahrung) und etwas wird auf eine qualitativ neue Stufe gehoben (Entwicklung). So gilt es beispielsweise den Verwertungszwang abzuschaffen, bestimmte Produktionsverfahren zu bewahren und die globale Verfügung über unsere Lebensbedingungen qualitativ so zu gestalten, dass niemand mehr herausfällt. Um alle drei Aspekte geht es bei einer Transformation, und wir werden in diesem Buch immer wieder den einen oder anderen Aspekt hervorheben.
Weshalb schreiben wir dieses Buch? Wir fühlen uns als Teil einer Bewegung, die in Richtung einer befreiten, solidarischen Gesellschaft strebt. Emanzipatorische Bewegungen kennen eine lange Geschichte von Reformen und Revolutionen, von Kämpfen um Anerkennung, gerechter Verteilung und Teilhabe. Ab den 1970er Jahren haben sich neue Strömungen stärker einer Vielfalt von alltäglichen Herrschaftsstrukturen wie Klassismus, Sexismus, Rassismus, Selbstunterwerfung etc. zugewandt. Politik drang in den Alltag ein und begann unsere Beziehungen zu verändern. Dadurch verfügen wir heute über eine breite Palette an Erfahrungen mit herrschaftskritischen Praktiken und Wissen über Herrschaftsformen an vielen verschiedenen Orten. Doch eine gemeinsame Perspektive, wie wir aus dem Kapitalismus herauskommen und wo wir überhaupt hinwollen, fehlt weitestgehend. Vielleicht ist die Lage noch schlimmer: Eine Diskussion über Utopie und Transformation ist kaum noch Teil unserer Praxis. Nach dem Scheitern des Realsozialismus trat nichts Neues an seine Stelle. Es gibt viele spannende emanzipatorische Projekte, doch ihre Verbindung zu einer gesamtgesellschaftlichen Veränderung ist sehr lose geworden.
Dieses Buch versucht einen Raum anzubieten, in welchem wir wieder über das Ziel und den Weg zu einer befreiten Gesellschaft nachdenken und sprechen können. Und zwar jenseits der alten Konzepte von Reform und Revolution, staatlichem Plan und demokratischem Sozialismus – gleichwohl lernend mit ihnen verbunden. Im Untertitel steht es: Dieses Buch soll eine Einladung sein. Doch wie hoffen wir, dass dieser Einladungscharakter zustande kommt? Das Buch hat zwei Teile: Im ersten Teil wollen wir einen Rahmen für utopische Theorie und Aufhebungstheorie entwickeln, und im zweiten Teil unsere eigene Utopie- und Aufhebungstheorie in diesem Rahmen vorstellen.
Wir wünschen euch viel Spaß beim Lesen und laden euch ein zur Diskussion! Mehr zum Buch und die Möglichkeit zum Feedback gibt es auf der Website commonism.us.
Simon Sutterlütti und Stefan Meretz, 2018
"Kapitalismus aufheben" Interview (1/2) - Motivation und Schreibprozess
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Das gedruckte Buch ist bei VSA: Verlag erhältlich.
Simon Sutterlütti/Stefan Meretz
Kapitalismus aufheben
Eine Einladung, über Utopie und Transformation neu nachzudenken
Beiträge zur kritischen Transformationsforschung 5
VSA: Verlag 2018
Umschlag: Wandbild in Lissabon von Tami Hopf, Foto Ranjana Kochanek,
Lizenz Creative Commons Zero (CC0)
ISBN 978-3-89965-831-6
Eine Veröffentlichung der Rosa-Luxemburg-Stiftung