Publikation Parteien- / Bewegungsgeschichte - Deutsche / Europäische Geschichte - 30 Jahre 89/90 «... feindlich-negative Elemente ...»

Repression gegen linke und emanzipatorische Bewegungen in der DDR

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Bernd Gehrke, Renate Hürtgen, Thomas Klein,

Erschienen

Oktober 2019

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Vor 30 Jahren, im Herbst 1989, fand in der DDR eine demokratische Revolution statt, die in nur wenigen Wochen die politische und ökonomische Herrschaft der Staatspartei beendete. «SED gib acht – das Volk ist die Macht!», riefen im Oktober Demonstrant*innen auf dem Leipziger Ring. Und als sich ein Nachfolger von Erich Honecker dem empörten Volk präsentierte, wurde sich auf zahlreichen Transparenten über ihn lustig gemacht. Eine überwältigende Mehrheit der DDR-Bevölkerung wollte keine Vormundschaft mehr durch die SED, nirgends, auch nicht in der Wirtschaft. «SED raus aus den Betrieben!», war wenig später die Losung.

Als angesichts der Massenflucht junger Menschen aus der DDR im Sommer 1989 das SED-Regime in eine Schweigestarre verfiel, sodann die Flüchtlinge verhöhnte, gelang es kleinen, zuvor an den gesellschaftlichen Rand oder in den Untergrund gedrängten oppositionellen Gruppierungen, mit dem Ruf «Wir bleiben hier!», zum Motor jener breiten demokratischen Massenbewegung zu werden, die die SED-Diktatur stürzte. Diese Gruppen waren in den 1980er Jahren entstanden und hatten ihre Arbeit zumeist in alternativen Netzwerken im Umfeld der evangelischen Kirche verstetigt. Nun, im Herbst 1989, schafften sie es erstmals, ihre durch den SED-Machtapparat betriebene Isolierung von der Mehrheitsbevölkerung zu durchbrechen und sich an die Spitze der Massenproteste der Bevölkerung zu stellen. Sie traten mehrheitlich für einen «dritten Weg» des «demokratischen Sozialismus» in der DDR ein. Doch als am 18. März 1990 die ersten freien Wahlen zur Volkskammer der DDR stattfanden, erlitten die oppositionellen Gruppen, die im Herbst an der Spitze der Demokratiebewegung gestanden hatten, sowie die gesamte gesellschaftliche Linke der DDR, eine dramatische politische Niederlage. Die Ereignisse von 1989 und 1990 sind nicht Gegenstand dieser Broschüre. Um jedoch zu verstehen, welchen Charakter die DDR-Opposition als wichtiger Akteur in diesem Umbruch hatte, wodurch ihr Handeln bestimmt war, welches ihre Stärken und Schwächen in der demokratischen Revolution waren, auch, um zu begreifen, weshalb eine linke Opposition für einen «dritten Weg» eintrat und warum der marxistische Flügel der Opposition 1989 sehr schwach gewesen ist, muss die von Repression, Flucht und Ausreise oder Ausweisung geprägte Geschichte emanzipatorischen und oppositionellen Denkens und Handelns in der DDR analysiert werden.

An dieser Unterdrückung linker Opposition und emanzipatorischer Bewegungen war ein Teil des Machtapparats in besonderer Weise beteiligt. So war es dem Sicherheitsapparat der SED und der Staatssicherheit am Ende der 1970er Jahre gelungen, die linke Kulturopposition und konspirativ arbeitende marxistische Oppositionsgruppen zu zerschlagen. Von nun an boten Pfarrer*innen den Friedens- und Menschenrechtsgruppen, Wehrdienstverweigerern, jugendlichen Punks oder oppositionellen Kulturschaffenden einen «halböffentlichen Raum», der allerdings immer prekär blieb. Spätestens im Herbst 1989 sollte sich zeigen, wie folgenreich eine solche mittels Repression erfolgte Zurückdrängung einer am Marxismus orientierten Opposition und der gleichzeitige Aufstieg einer kirchennahen Opposition waren.
 

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Die Autor*innen

Konstantin Behrends, Jahrgang 1992, lebt in Jena, studiert den M.A. Translatologie an der Universität Leipzig, engagiert sich in der FAU und für die Gefangenen-Gewerkschaft und beschäftigt sich mit antiautoritärer  Bewegungsgeschichte in den verschiedenen Regimen.
Kontakt: konstantin.behrends@posteo.net 

Bernd Gehrke, Jahrgang 1950, lebt als Publizist in Berlin, engagierte sich in der linken Opposition der DDR; publizierte über die DDR-Opposition, über 1968, die demokratische Revolution 1989 oder Widerstand gegen die Treuhand; ist aktiv im AK Geschichte sozialer Bewegungen Ost-West und diskutiert in der Selbsthilfegruppe Ei des Kommunismus mit libertären Menschen verschiedener emanzipatorischer Strömungen.
Kontakt: AKGesch.OstWest@mailbox.org

Renate Hürtgen, Jahrgang 1947, Ostberlin, Philosophin, Historikerin, publizierte unter anderem zur DDR-Arbeitergeschichte, Betriebsalltag, MfS im Betrieb, Wende, Frauen und Ausreiser*innen; in zahlreichen betrieblichen,
gewerkschaftlichen und anderen Basisgruppen sowie im AK Geschichte sozialer Bewegungen Ost-West aktiv; gehörte vor 1989 zur DDR-Opposition.
Kontakt: info@dr-huertgen.de

Christoph Jünke, Jahrgang 1964, lebt und arbeitet als Historiker in Bochum. Er ist Vorsitzender der Leo Kofler-Gesellschaft (www.leo-kofler.de), Mitarbeiter im Gesprächskreis Geschichte der Rosa-Luxemburg-Stiftung Berlin und Buchautor (u. a. «Streifzüge durch das rote 20. Jahrhundert», Hamburg 2014, «Leo Koflers Philosophie der Praxis. Eine Einführung», Hamburg 2015).
Kontakt: Christoph.Juenke@ruhr-uni-bochum.de

Thomas Klein, Jahrgang 1948, Ostberlin, Mathematiker und Zeithistoriker, Linksoppositioneller in der DDR und in der Bundesrepublik.
Kontakt: samohtnielk@gmx.de

Markus Mohr, Jahrgang 1962 in Süderdithmarschen an einem Tag, an dem im Berliner Ensemble «Furcht und Elend des Dritten Reiches» aufgeführt wurde. Profitierte bis 1989 in Westdeutschland von der Existenz der DDR. Er bringt heute dem MfS deshalb mehr Sympathie entgegen als den Bundes- und Landesämtern für Verfassungsschutz, weil dieser Geheimdienst schon das hinter sich hat, was die anderen noch vor sich haben: endgültig von der Erdkugel zu verschwinden.

Anne Seeck, Jahrgang 1962, subkulturell in Dresden und Ostberlin unterwegs, 1988 Ausreiseantrag, 1990–1996 Studium, Diplompädagogin, in der politischen Bildung aktiv, ebenso in sozialen Bewegungen, Herausgeberin von «Das Begehren, anders zu sein», publiziert in linken Zeitschriften wie Contraste.
Kontakt: annesnk44@riseup.net