Publikation Stadt / Kommune / Region - Gesellschaftliche Alternativen - Commons / Soziale Infrastruktur - Wohnen Kritische Landforschung

Konzeptionelle Zugänge, empirische Problemlagen und politische Perspektiven

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Reihe

Studien

Autor*innen

Lisa Maschke, Matthias Naumann, Michael Miessner,

Erschienen

Januar 2020

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Weltweit bestimmen Städte gesellschaftliche Entwicklungen und politische Debatten. Die vielfältigen Transformationen städtischer Räume und die Möglichkeiten emanzipatorischer Politik sind Gegenstand einer umfangreichen kritischen Stadtforschung, die sich über verschiedene wissenschaftliche Disziplinen hinweg in den letzten Jahrzehnten entwickelte. Demgegenüber geraten ländliche Räume zunehmend aus dem Fokus politischer wie auch wissenschaftlicher Aufmerksamkeit. Ungeachtet des enormen Bedeutungsgewinns von Großstädten lebt ein Großteil der Bevölkerung Deutschlands weiterhin in Klein- und mittelgroßen Städten sowie in ländlichen Räumen. Diese Regionen sind nicht minder als Städte von den Auswirkungen der Globalisierung, vom Klimawandel, von Veränderungen der Arbeitswelt, demographischen Prozessen und politischen Verschiebungen durch die Dominanz neoliberaler Programme betroffen. Häufig sind hier gesellschaftliche Umbrüche viel unmittelbarer erfahrbar und führen zu einer oft sehr kleinräumigen Ausdifferenzierung ländlicher Entwicklungen. Damit ist es eine wichtige Aufgabe kritischer Wissenschaft, Konzepte beizusteuern, mit denen die Transformationen ländlicher Räume besser verstanden werden können, sowie Perspektiven für eine emanzipatorische Politik auf dem Land zu benennen. Der Bedarf hierfür wird an den Erfolgen von rechten Bewegungen und Parteien sowie an der schwindenden Verankerung linker Politik in ruralen Kontexten deutlich.

Die Autor*innen:

Lisa Maschke
studierte an der Goethe-Universität Frankfurt am Main Humangeographie mit Schwerpunkt Wirtschaftsgeographie. In ihrer Masterarbeit beschäftigte sie sich mit den Potenzialen ländlicher Räume für eine sozialökologische Transformation.

Michael Miessner ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Geographie der Technischen Universität Dresden. Er forscht zu Fragen ländlicher und regionaler Entwicklung, der Raumordnungspolitik sowie den Entwicklungen von Immobilienmärkten und Segregationsprozessen abseits der Großstädte

Matthias Naumann vertritt die Professur «Didaktik der Geographie» an der Technischen Universität Dresden. Seine Arbeitsschwerpunkte sind Stadt- und Regionalentwicklung, Transformationen soziotechnischer Systeme und Mensch-Umwelt-Verhältnisse sowie kritische Geographie.

An diesen Herausforderungen setzt die vorliegende Studie an und stellt Ansätze aus der anglo-amerikanischen Forschung, insbesondere der «Rural Geography », vor, die uns bei der Erklärung und Deutung von Transformationen ländlicher Räume in der Bundesrepublik helfen können und Orientierungspunkte dafür liefern, wie eine emanzipatorische Politik für diese aussehen müsste. Hierfür wertet die Studie die vorliegende Fachliteratur hinsichtlich theoretischer Überlegungen, empirischer Problemfelder und politischer Konzepte für ländliche Räume aus. Zu den konzeptionellen Zugängen einer kritischen Landforschung gehören die Politische Ökonomie, die sich mit ungleicher Entwicklung als Ursache der strukturellen Benachteiligung ländlicher Räume befasst, die Politische Ökologie als ein Ansatz, der ländliche Natur immer als Resultat gesellschaftlicher Prozesse begreift, und die vielfältigen Diskurse, die unsere Vorstellungen von «Ländlichkeit» prägen. Zu den empirischen Gegenständen einer kritischen Landforschung zählt die Entwicklung ländlicher Ökonomien, die von einem Strukturwandel der Landwirtschaft, der zunehmenden Inwertsetzung von Ressourcen und Landschaften und dem damit einhergehenden Umbruch ländlicher Arbeitsmärkte geprägt ist. Darüber hinaus ist der soziale Wandel, der Fragen von Armut und Ausgrenzung, Rassismus, den Wandel von Geschlechterverhältnissen, neue Formen von Migration und die Wohnungsfrage umfasst, von großer Bedeutung. Zu den wichtigen empirischen Untersuchungsfeldern zählen darüber hinaus die sich verändernden Mensch-Umwelt- Verhältnisse, Ausbeutung und Schutz von Natur sowie die Auswirkungen des Klimawandels. Schließlich verlangen aus Sicht einer kritischen Landforschung die politischen Machtverhältnisse mitsamt der verschiedenen Ebenen, Akteure und Netzwerke sowie die Paradigmen ländlicher Entwicklung und der aufkommende autoritäre Populismus nach einer noch größeren wissenschaftlichen Aufmerksamkeit.

Als Fazit der Studie werden mögliche Perspektiven ländlicher Entwicklung und Gegenentwürfe zu der vorherrschenden Politik skizziert. Hierzu zählen Möglichkeiten der Selbstorganisation, der Ansatz der Gemeinschaftsgüter, die Entwicklung eines neuen Munizipalismus in ländlichen Regionen und die Forderung nach einem «Recht auf das Dorf».

Ein wichtiger Ausgangspunkt der Studie ist der Befund, dass soziale städtische Bewegungen in der Bundesrepublik, wie zum Beispiel die zahlreichen Recht-auf-Stadt-Initiativen, stark von den Erkenntnissen einer kritischen Stadtforschung profitiert haben. Eine kritische Landforschung, die sich dem Wandel und den Perspektiven ländlicher Räume widmet, könnte – was unser Anliegen ist – ebenfalls dazu beitragen, Ansätze emanzipatorischer Politik in ländlichen Kontexten zu unterstützen.

Wir richten uns mit dieser Studie einerseits an Studierende und Wissenschaftler*innen, die wir motivieren möchten, sich stärker als bisher mit Fragen ländlicher Entwicklung aus einer kritischen Perspektive zu befassen. Andererseits hoffen wir, Aktivist*innen in ländlichen Räumen mit unseren theoretischen Ausführungen und empirischen Beispielen aus anderen Kontexten Anregungen für ihre Auseinandersetzungen und politischen Aktivitäten zu geben. Damit schließt die Studie an die akademische wie auch aktivistische Debatte um ein «Recht auf Stadt» an. Auch das «Recht auf das Dorf» ist immer wieder neu zu bestimmen, auf unterschiedliche Kontexte anzuwenden und durch das Zusammenspiel von kritischer Wissenschaft und politischer Praxis weiterzuentwickeln. Für diese Debatte möchte die Studie einen ersten Anstoß liefern.