Publikation Deutsche / Europäische Geschichte - 30 Jahre Transformation in Osteuropa - 30 Jahre 89/90 Über Privates und Öffentliches

Eine ostdeutsche Sicht auf das geteilte Deutschland

Information

Reihe

Manuskripte

Autorin

Ursula Schröter,

Erschienen

Oktober 2020

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Wie unterschieden sich in Ost und West Auffassungen von Selbstbewusstsein, Selbstbestimmtheit und Stärke der Frauen? Welche staatlichen Rahmenbedingungen kennzeichneten die Trennung von Privatem und Öffentlichem, verstärkten die Trennlinie oder machten sie durchlässig? Zum zweiten Leben der Ostdeutschen gehört auch das Nachdenken über das erste, das Reflektieren des eigenen Anteils an Größe und Grenzen des realen Sozialismus.

Mit dieser Publikation laden wir Sie ein, einen Rückblick auf die DDR im Kontext mit der damaligen BRD zu wagen und mit der Soziologin Ursula Schröter der Frage nachzugehen, was das Private und was das Öffentliche war in der deutschen Zweistaatlichkeit, wie sich politische Akteur*innen und die Ansätze feministischen Ringens um Gleichstellung und Gleichberechtigung voneinander unterschieden. Dabei verbindet die Autorin statistisch nachweisbare Fakten und historische Ereignisse aus den Jahrzehnten der deutschen Zweistaatlichkeit mit individuellen Erfahrungen und Erlebnissen von Frauen und Freund*innen aus Ost und West.

Wie aktuell das Thema ist, zeigen die alljährlichen Demonstrationen am 8. März, dem Internationalen Frauen*kampftag. Weltweit gehen an diesem Tag Feminist*innen und ihre Unterstützer*innen auf die Straße. Neben allgemeinen Forderungen für Frauenrechte und faire Bezahlung geht es insgesamt um mehr Anerkennung und finanzielle Absicherung von Sorgearbeit. Denn Sorgearbeit geht weit über unseren privaten Haushalt hinaus, ist mehr als Zuwendung und Aufmerksamkeit für unsere Familien und Freund*innen. Sorgearbeit ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe öffentlichen Charakters wie etwa in Krankenhäusern und Seniorenunterkünften oder bei der Betreuung von Kindern sowie der Ausbildung der Heranwachsenden. Sorgeberufe sind oft Frauenberufe. Die Corona-Pandemie hat der Diskussion um Systemrelevanz und angemessene Entlohnung in Sorgeberufen neuen Schwung verliehen. Konkrete Veränderungen aber lassen auf sich warten.

Pflege und Sorgetätigkeiten, Öffentliches und Privates: Die historische Analyse zeigt, dass Maßnahmen wie etwa eine bezahlte Freistellung für die Pflege von Angehörigen, die Anerkennung von Kinderbetreuung zu Hause als Arbeitszeit oder der kostenlose Zugang zur Gesundheitsversorgung immer direkten Einfluss auf die Lebensqualität von Frauen haben.

Insofern unternimmt Ursula Schröter mit der hier vorliegenden Arbeit einen bemerkenswerten Versuch: Sie stellt ihre Forschungsschwerpunkte zur sozialen Lage und Befindlichkeit der Frauen in Ostdeutschland, die Wende als gesellschaftlichen Umbruch aus ostdeutscher Sicht und die Betrachtung der Ansprüche feministischer Politikansätze in einen Kontext, den sie als «innerdeutschen Vergleich» definiert. Die gesellschaftspolitischen Entwicklungen in der DDR und der BRD werden im Hinblick auf das Spannungsfeld zwischen Privatem und Öffentlichem konkret abgeklopft: von der Gründung der beiden deutschen Staaten nach 1945, über die 1950er und 1960er Jahre bis hin zum Ende der DDR. Die Autorin skizziert, wann Frauen gesetzlich welche Rechte bekamen und wie sich diese politisch, wirtschaftlich und demografisch auswirkten.

30 Jahre nach Herstellung der deutschen Einheit dokumentieren soziologische Studien, Statistiken, aber auch offizielle Sozialberichte und der jährliche Bericht der Bundesregierung zum Stand der Deutschen Einheit nach wie vor stabile Ost-West- Unterschiede. Dabei geht es nicht nur um Ungleichheiten in Infrastruktur und aktuellen Lebenschancen, sondern auch um unterschiedliche Wertorientierungen, Lebenshaltungen und Lebensentwürfe. Ein Grund mehr, näher hinzuschauen und sich gemeinsam mit der Autorin der Verknüpfung und der Trennung von Privatem und Öffentlichem zu nähern. Und wie Ursula Schröter schreibt: «Der Anspruch auf volle Menschlichkeit scheint mir die Brücke zu sein, auf der sich Frauen (und Männer) von hüben und drüben immer wieder begegnen können. Dabei haben die Pole, die verbunden sein müssen, die nicht geteilt werden dürfen, die sich gegenseitig bedingen, unterschiedliche Namen: Privatheit und Öffentlichkeit, Beruf und Familie, Arbeit und Liebe, Natur und Gesellschaft, Kinderwelt und Welt der Erwachsenen oder Individualität und Kollektivität. Frauen hören nicht auf, sich zu empören […], wenn der Zusammenhang zwischen beiden Polen infrage gestellt ist, wenn der ‹ganze Mensch› in Teile gehackt wird.»

Dagmar Enkelmann, Vorstandsvorsitzende der Rosa-Luxemburg-Stiftung