Eingriffe im Sinne der größeren Flächengerechtigkeit im Verkehr sind möglich und rechtlich zulässig. Das ist die Nachricht dieses Gutachtens und Grundlage dafür, das Tempo beim Umbau der Straßen und Städte mit Vorfahrt für den Umweltverbund von öffentlichem Nahverkehr, Fahrrad- und Fußverkehr zu erhöhen und mehr Platz für mehr Grün, für Erholung, Spiel und Begegnung zu schaffen.
Dies kann durch die Ausweisung autofreier innenstädtischer Zonen gelingen, die für die Einrichtung von Spielstraßen und anderen shared spaces genutzt werden können (mit den Auflagen: Schrittgeschwindigkeit für Autos, Vorrang von Fußgänger*innen und Car- bzw. Bike-Sharing und – wie etwa beim Konzept der Superblocks in Madrid – mit nur noch beschränkten Parkmöglichkeiten für Menschen mit gesundheitlicher Einschränkung). Umfangreiche Straßenumbauten wie bei überambitionierten Begegnungszonen sind unnötig, Straßen könnten zunächst mit einfachen Pollern für den (Durchgangs-)Verkehr gesperrt, die entsprechenden Zonen mit Verkehrsschildern ausgewiesen werden. [...]
Das vorliegende Gutachten zeigt, dass die Rechtslage nicht unumstritten ist und durchaus zu verbessern wäre – aber schon jetzt können entsprechende Maßnahmen in die Wege geleitet werden. Eines der prominentesten Beispiele hierfür ist die Einrichtung von sogenannten Pop-up-Radwegen in Berlin und die Auseinandersetzung darum. Die Interpretation und Einordnung der entsprechenden Urteile zeigt: Pop-up-Radwege sind zulässig, auch dauerhaft. «Die Bezeichnung des ‹Aufpoppens› kann hier irreführend sein», betonen die Autor*innen des Gutachtens, «denn das Pop-up- Element ist letztlich nur in der beschleunigten Planung und Umsetzung derartiger Maßnahmen zu sehen. Im Grunde ist sie der Überraschung geschuldet, wenn behördliche (Planungs-)Vorgänge schneller gehen als gewohnt. Denn die Anordnung von Pop-up-Radwegen folgt – wenn sie auf eine langfristige Ausgestaltung gerichtet ist – denselben Regeln wie die Anordnung sonstiger Radfahrstreifen. Insbesondere sind diese von der Darlegung einer qualifizierten Gefahr für die Sicherheit der Verkehrsteilnehmer*innen befreit. Dementsprechend bedarf es des Terminus des ‹Pop-ups› verkehrsrechtlich auf lange Sicht nicht.»
Inhalt:
1 Problemaufriss und Ausgangslage
2 Der aktuelle Verfahrensstand des Verwaltungsstreitverfahrens in Berlin
- 2.1 Zur Entscheidung des Verwaltungsgerichts Berlin vom 4. September 2020
- 2.2 Zur Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg vom 6. Januar 2021
3 Verkehrliche Maßnahmen – rechtliche Einordnung
- 3.1 Straßenrecht
- 3.1.1 Maßnahmen nach dem Straßenrecht
- 3.1.1.1 Begriff der öffentlichen Straße
- 3.1.1.2 Gemeingebrauch und Widmung einer Straße
- 3.1.1.3 (Teil-)Einziehung
- 3.1.2 Zwischenfazit
- 3.2 Das Berliner Gesetz für gemeinwohlorientierte Straßennutzung
4 Straßenverkehrsrecht
- 4.1 Voraussetzungen einer Maßnahme nach der Straßenverkehrsordnung
- 4.2 Zuständigkeit des Senats
- 4.3 Mögliche Ermächtigungsgrundlagen für Pop-up-Radwege
- 4.4 Befristung von Maßnahmen
- 4.5 Sind außerhalb des Verkehrs liegende Begründungen von Anordnungen möglich?
- 4.6 Vorliegen einer konkreten Gefahrenlage
- 4.7 Herabsetzung der Anordnungshürden durch § 45 Absatz 9 StVO
- 4.8 Einordnung durch die Gerichte
5 Kritik und Ausblick: Radwege erzeugen Radfahrten
Autor*innen:
Melanie Engels arbeitet als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Fakultät für Rechtswissenschaften an der Universität Bielefeld am Lehrstuhl für Öffentliches Recht, Umwelt- und Technikrecht, Rechtsphilosophie und -theorie.
Andreas Fisahn lehrt an der Universität Bielefeld Öffentliches Recht und ist Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats der Rosa-Luxemburg-Stiftung.