Publikation International / Transnational - Nordafrika - Antisemitismus (Artikel) Antisemitismus, Shoah und «deutsche Verantwortung»

(Nach)Wirkungen des Nationalsozialismus im medialen Nahostdiskurs. Standpunkte International 18/2010 von Peter Ullrich.

Information

Reihe

Standpunkte international

Autor

Peter Ullrich,

Erschienen

September 2010

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Ich werde mich eher indirekt an das eigentliche Thema heranarbeiten und will mit etwas beginnen, was zunächst nichts mit dem Nahostkonflikt zu tun hat. Die deutschen und amerikanischen Sozialwissenschaftlerinnen Myra Marx Ferree, William Gamson, Jürgen Gerhards und Dieter Rucht (2002) haben eine sehr umfangreiche Studie zu medialen Abtreibungsdiskursen in der Bundesrepublik und den USA durchgeführt. Sie haben v.a. untersucht, welche Deutungsmuster im Diskurs verbreitet sind. Deutungsmuster sind so etwas
wie Orientierungsrahmen, die sprichwörtlichen «Brillen» durch welche man schaut, wenn man sich einem Thema widmet. Die Forscherinnen identifizierten eine Reihe solcher Deutungsmuster, innerhalb derer um das Für und Wider der
Legalisierung von Abtreibung gestritten wurde. Eines war beispielsweise das Deutungsmuster Selbstbestimmungsrecht der Frauen. Innerhalb dieses Deutungsmusters oder Frames gab es verschiedenen Positionierungen. Die Frauenbewegung benutzte es natürlich, um für das Recht auf Abtreibung
zu werben. Aber innerhalb des gleichen Deutungsmusters, also innerhalb der Frage, wie viel Selbstbestimmungsrecht Frauen heute haben sollen, gab es auch konservative Stimmen, die für weniger Entscheidungsrechte plädierten,
aber eben den gleichen Orientierungsrahmen hatten. Dieser Strang der Debatte kümmerte sich also um Abtreibung im Kontext der Emanzipation von Frauen. So ein Deutungsmuster ist also etwas anderes als eine konkrete (ideologische) Positionierung. Ein Deutungsmuster ist ein kulturell fundierter Rahmen, innerhalb dessen um Lösungen, Politikansätze usw. gestritten wird. Dies zu erwähnen, ist wichtig zum Verständnis so genannter diskursiver Gelegenheitsstrukturen, kulturell hoch legitimer und relevanter Fragestellungen oder auch politischer Bruchlinien, die den Möglichkeitsrahmen des Denkbaren und Wahrnehmbaren bei der Aushandlung politische Konflikte bilden. Entsprechen unterscheiden sich je nach politischer und kultureller Situation, je nach Zeit, Land, Region usw. die vorhandenen politischen
Deutungsmuster. Die Unterschiede rühren nicht zuletzt aus unterschiedlichen historischen Erfahrungen, also daraus, welche Konflikte und Problemlagen eine Gesellschaft zu bewältigen hatte oder zu bewältigen versuchte. Daraus
ergibt sich, welche Blickwinkel und welche Fragestellungen zu einer gegebenen Zeit an einem gegebenen Ort überhaupt Sinn machen oder, wie das in der Politischen Kulturforschung heißt, Resonanz auslösen. [...]

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Peter Ullrich, Dr. phil., Soziologe/Kulturwissenschaftler, Universität Leipzig, Arbeitsschwerpunkte: Politische Soziologie (Überwachung, soziale Bewegungen, Antisemitismus/Antizionismus) und Medizinische Soziologie.
http://peterullrich.twoday.net 

Wahrscheinlich wird kein anderer internationaler Konflikt derart kontrovers und emotional in der bundesrepublikanischen Öffentlichkeit sowie auch und gerade in der politischen Linken diskutiert wie der israelisch-palästinensische oder weiter gefasst, der Nahost-Konflikt. Aus diesem Grund nimmt dieses Thema einen besonderen Platz in der Bildungsarbeit der Rosa-Luxemburg-Stiftung im Inland wie im Ausland ein. Wenngleich dabei auch in der Stiftung und ihrem Umfeld die Meinungen auseinandergehen, sehen wir unsere Aufgabe nicht darin, eine abgeschlossene, einheitliche Position zu vermitteln, sondern ein Forum für eine Debatte zu bieten, das den Ansprüchen emanzipatorischer politischer Bildung gerecht wird. Um auch dem Ansinnen analytischer Sachlichkeit Genüge zu tun, befindet sich die RLS in einem Prozess, der die Beschäftigung mit dem Nahost-Konflikt systematisiert. Ein Mitgliederworkshop im Juli 2010 bildete dafür den Auftakt. Aus ihm sind sechs Beiträge hervorgegangen, die in lockerer Folge als RLS-Standpunkte erscheinen. Nähere Informationen zur thematischen Auseinandersetzung der RLS mit dem Nahost-Konflikt finden sich auf der Sonderseite Nahost-Dossier