Der Geist des Kalten Kriegs ist auch 20 Jahre nach dessen Ende noch immer nicht überwunden. Diese Erkenntnis bestätigt ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG), das im Juli 2010 für Aufsehen und ungute Erinnerungen sorgte. Die Staatsschutzsprache dieses Urteils erinnert jedenfalls stark an das KPD-Verbotsurteil aus dem Jahre 1956. Jetzt ist einmal mehr das Bundesverfassungsgericht gefordert.
Das Gerichtsverfahren, das nun vorläufig vor dem Bundesverwaltungsgericht endete, hatte Bodo Ramelow, früherer Gewerkschaftsfunktionär in Hessen, ehemaliger Bundestagsabgeordneter und Vorsitzender der Thüringer Linksfraktion, mit seiner Klage gegen das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) in Gang gesetzt. Sein Ziel: die Rechtswidrigkeit seiner über zwei Jahrzehnte langen geheimdienstlichen Beobachtung gerichtlich feststellen zu lassen. In den ersten beiden Instanzen vor dem Verwaltungsgericht (VG) Köln (Az. 20 K 5429/07–20 K 3077/07) und dem Oberverwaltungsgericht Münster (OVG NRW; Az. 16 A 845/08) hatte er persönlich weitgehend Recht bekommen: Das Gericht hielt seine nachrichtendienstliche Ausforschung als Abgeordneter der Linkspartei nach einer einzelfallbezogenen Rechtsgüterabwägung für rechtswidrig, weil diese gezielte Verfassungsschutz-Maßnahme – obwohl nicht grundsätzlich unzulässig – gegen den Verfassungsgrundsatz der Verhältnismäßigkeit verstoße: Es liege eine unverhältnismäßige «Dauerbeobachtung vor, wenn sich nach umfassender Aufklärung durch eine mehrjährige Beobachtung der Verdacht verfassungsfeindlicher Bestrebungen nicht bestätigt hat und die für die Beobachtung maßgeblich tatsächlichen Umstände im Wesentlichen unverändert geblieben sind».
Gleichzeitig aber ließ das OVG – ungeachtet des Parteienprivilegs nach Art. 21 GG – die Beobachtung der Linkspartei zu, weil es «tatsächliche Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen innerhalb der Partei» gebe. Die Linkspartei bilde, so das Gericht, einen «Nährboden» für verfassungsfeindliche Bestrebungen, die auf eine Veränderung der bestehenden Machtverhältnisse («sozialistische Revolution»), auf eine «sozialistisch-kommunistische Gesellschaftsordnung» und damit auf die Beseitigung von Verfassungsgrundsätzen (durch eine «Diktatur des Proletariats im klassisch marxistisch-leninistischen Sinne») abzielten (§ 4 II BVerfSchG).
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Rolf Gössner ist Vizepräsident der Internationalen Liga für Menschenrechte (Berlin; www.ilmr.de ). Er lebt als Rechtsanwalt, Publizist und parlamentarischer Berater in Bremen. Seit 2007 stellvertretendes Mitglied des Bremischen Staatsgerichtshofs der Freien Hansestadt Bremen sowie Mitglied/stellvertretender Sprecher der Deputation für Inneres der Bremischen Bürgerschaft (Landtag) und der Stadtbürgerschaft. Sachverständiger
in Gesetzgebungsverfahren des Bundestags und von Landtagen. Mitherausgeber des jährlich erscheinenden «Grundrechte-Report. Zur Situation der Bürger- und Menschenrechte in Deutschland» und als solcher mit der Theodor-Heuss-Medaille 2008 ausgezeichnet.