Deutschland altert. Nach Schätzungen von Branchenexpert*innen müssen im Jahr 2040 etwa fünf Millionen Menschen in Deutschland gepflegt werden. Setzt sich dieser Trend fort, werden etwa 1,25 Millionen von ihnen in stationären Pflegeeinrichtungen wohnen. Selbst bei einer 100-prozentigen Auslastung müsste das Angebot an Plätzen deshalb um etwa 250.000 Plätze steigen. Pflege ist also ein Markt mit zuverlässigem Wachstum, der von der Weltmarktkonjunktur weitgehend unabhängig ist, und mit Einnahmen, die von den öffentlich finanzierten Krankenkassen garantiert werden. Damit wird die Pflege zunehmend zu einem attraktiven Investitionsziel.
Das 10-Jahres-Durchschnittswachstum liegt im Pflegemarktbereich bei 5,5 %, während der sonstige Gesundheitsmarkt um 3,6 % und das Bruttoinlandsprodukt um 2,0 % wachsen.
(Pflegeheimkonzern Convivo Geschäftsbericht 2019)
Bereits das Pflegeversicherungsgesetz vom 1. Januar 1995 hat die Pflege für Marktkonkurrenz und entspechend für private Betreiber und Investoren geöffnet. Und es sichert kirchlichen, freigemeinnützigen und privaten Trägern den Vorzug vor öffentlichen Trägern. Seitdem sind bundesweit sowohl die Anzahl der verfügbaren Plätze (+300.000) als auch der Anteil der privaten Träger an den verfügbaren Plätzen in Pflegeheimen (auf 41 Prozent) gestiegen. Weniger als 6 Prozent der Plätze sind in öffentlicher Trägerschaft.
Recherchen aus den letzten zwei Jahren haben diesen Trend der Privatisierung und Ökonomisierung untersucht und insbesondere das Auftreten von großen finanzmarktorientierten Investoren problematisiert. Unter dem vielsagenden Titel «Graues Gold. Das Milliarden-Geschäft mit der Altenpflege» untersuchte das Recherchenetzwerk Investigate Europe im Jahr 2021 die großen Konzerne und Investoren aus Europa und ihre Geschäftspraktiken. Den Recherchen zufolge betrieben allein die größten 25 Konzerne europaweit 455.000 Pflegeplätze; in Großbritannien war der Anteil gewinnorientierter privater Träger mit etwa 80 Prozent sogar fast doppelt so hoch wie in Deutschland.
Die Recherche identifizierte außerdem 30 Private-Equity-Fonds, die auf dem europäischen Pflegemarkt aktiv waren, und beschrieb, was passiert, wenn die kurzfristige Extraktion von Gewinnen und hoher Renditedruck auf öffentliche Daseinsvorsorge treffen. Eine Große Anfrage der Fraktionen DIE LINKE, SPD und Bündnis 90/Die Grünen aus der Bremer Bürgerschaft vom 22. Juni 2022 erlaubt außerdem einen tieferen Einblick in die Marktstrukturen und Geschäftspraktiken in einem beispielhaften Pflegemarkt wie dem Bremer. Viele Fragen bleiben allerdings offen.
Ziel der vorliegenden Studie ist es, aufbauend auf diesen Erkenntnissen und den Geschäftsberichten der in Bremen aktiven Pflegeheimbetreiber das Bild vom Bremer Pflegemarkt zu vervollständigen, sowie geeignete Reaktionsmöglichkeiten für die Bremer Politik aufzuzeigen (vgl. dazu auch das Rechtsgutachten «Gemeinwohlorientierung in der Altenpflege»).
Inhalt
- Executive Summary: Gewinne auf Kosten guter Pflege – und was Bremen dagegen tun kann
- Wachstumsmarkt Pflege
- Der rechtliche und organisatorische Rahmen
- Die privaten Pflegeheimbetreiber in Bremen
- 3.1 Die größten Betreiber im Porträt
- 3.2 Die Geschäftspraktiken der privaten Betreiber im Vergleich
- Was kann und sollte Bremen tun?
- Literatur und weiterführende Links
Autor
Christoph Trautvetter ist externer Projektleiter des Projekts «Wem gehört die Stadt?» der Rosa-Luxemburg-Stiftung und arbeitet für das Netzwerk Steuergerechtigkeit. Dort beschäftigt
er sich seit mehr als sechs Jahren mit der Analyse von Eigentümerstrukturen und Geschäftspraktiken auf dem Immobilienmarkt und in anderen Wirtschaftszweigen. Er hat einen Master of Public Policy von der Hertie School of Governance und einen Bachelor of Arts in Philosophy & Economics von der Universität Bayreuth.