Publikation Stadt / Kommune / Region - Commons / Soziale Infrastruktur - Gesundheit und Pflege - Sorgende Stadt Gemeinwohlorientierung in der Altenpflege

Regulierungsmöglichkeiten des Landesgesetzgebers zur Verbesserung der Qualität in Pflegeeinrichtungen im Land Bremen

Information

Reihe

Studien

Autor*innen

Sebastian Baunack, Anna Gilsbach,

Erschienen

März 2023

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Altenpflege ist ein Wachstumsmarkt. Sie bietet zunehmend auch Finanzmarktakteuren hohe Renditemöglichkeiten. Die Pflege alter Menschen wird zum lukrativen Investment und Expansion, Cashflow und Kosteneffizienz zum wesentlichen Ziel. Diese kapitalgetriebene Dynamik bringt auch Instabilität mit sich und kann akute Versorgungskrisen auslösen, wie die Insolvenzen mehrerer Altenpflegeheimen im Land Bremen beobachten lassen. Die Hansestadt ist dabei keine Ausnahme. Vielmehr wird dort ein europäischer Trend deutlich, und damit greifbar, wie sehr ökonomischer Druck einer menschenwürdigen Pflege und Unterbringung im Alter entgegensteht.

Leidtragende sind in erster Linie die Bewohner*innen. Dies geht aus einer großen Anfrage von LINKEN, Grünen und SPD in der Bremischen Bürgerschaft hervor und wird auch in den Prüfberichten der Heim- und Betreuungsaufsicht deutlich. Der Kostendruck ist aber nicht nur für die Bewohner*innen ein Problem. Auch Beschäftigte und Angehörige leiden unter der Situation. Am Ende müssen gar die öffentlichen Haushalte die Renditen der Investoren aus Steuermitteln querfinanzieren. Diese Tendenz zur Finanzialisierung muss daher korrigiert werden. Der Gesetzgeber kann und sollte Maßnahmen gegen die zunehmende Konzernkonzentration und das weitere Vordringen finanzgetriebener Akteure ergreifen.

Das von Anna Gilsbach und Sebastian Baunack im Auftrag der Rosa-Luxemburg-Stiftung erarbeitete Rechtsgutachten zeigt, welche Regulierungsmöglichkeiten es auf Landesebene gibt und wo auf bundesrechtlicher Ebene steuernd eingegriffen werden könnte.

Hintergrund: Warum sind Altenheime begehrte Anlageobjekte?

Bis zur Einführung der Pflegeversicherung 1995 wurde die Altenpflege als gemeinwohlorientierte Dienstleistung vor allem von Wohlfahrtsverbänden sowie kirchlichen und kommunalen Trägern erbracht. Mit ihrer Regulierung im SGB XI wurde sie liberalisiert und für private Unternehmen geöffnet. Der sich abzeichnende Mangel an Versorgungsstrukturen sollte im Einklang mit dem damals ungebrochen dominierenden Paradigma des Neoliberalismus durch die Einführung von Marktmechanismen und Betreiber-Konkurrenz schnell überwunden werden. Das gelang auch teils, die Anzahl der Plätze in stationären Heimen stieg seitdem stark an. Der Bedarf wächst allerdings weiterhin rasant. Die Rahmenbedingungen bieten Anreize für Finanzinvestitionen:

  1. Eine auf absehbare Zeit steigende Nachfrage, die räumlich nicht verlagerbar ist und also kaum mit wenig Standortkonkurrenz zu kämpfen hat.
  2. Verlässliche Einkommensströme aus Pflegeversicherung, Eigenbeteiligung der Bewohner*innen und Sozialkassen.
  3. Schließlich sind auch die Pflege-Immobilien attraktive Anlageobjekte, die nach dem Heimerwerb oft getrennt weiterverkauft werden, und von den Betreibern zu hohen Preisen angemietet werden müssen. Diese Konstellation lockte seit den 2010er Jahren Investoren mit hohen Renditeerwartungen an.

Dadurch wird Altenpflege mehr und mehr der ökonomischen Optimierungslogik des Finanzmarkts unterworfen. Waren es zunächst eher kleine regionale Unternehmen, kam es im Laufe der Jahre zu Konzentrationsprozessen und einer Transnationalisierung. Seit 2017 steigerten die 25 führenden Unternehmen ihre Kapazität um 22 Prozent. Viele große Pflegekonzerne sind inzwischen börsennotiert und beim französischen Marktführer Orpea hat sich der Aktienkurs seit 2015 verdoppelt. Seit einigen Jahren erschließen in Europa außerdem Private-Equity-Fonds und die Vermögensverwalter privater Millionäre und Milliardäre das Feld. Sie sehen attraktive Bedingungen für das von ihnen verwaltete Anlagekapital, die Qualität der Pflege ist dem Profitinteresse untergeordnete.

Die Folgen sind schlechte Arbeitsbedingungen mit teils nicht-legalen Vertragskonstruktionen, schlechte Löhne, Union-Busting und häufig unmenschliche und gefährdende Versorgungssituationen für die Heimbewohner*innen. Der ohnehin eklatante Personalmangel verschärft sich angesichts belastender Arbeitsbedingungen weiterhin (vgl. Studie Arbeitnehmerkammmer). Über kurz oder lang kann dies zu erheblichen Versorgungsengpässen führen. In Deutschland ist der skizzierte Trend noch weniger extrem ausgeprägt als in anderen europäischen Ländern. In die Sprache des Finanzkapitals übersetzt heißt das: im internationalen Vergleich hat der deutsche Markt Nachholpotential. Diese Tendenz ist deutlich, wie eine aktuelle Analyse von Christoph Trautvetter zeigt.

Die Kosten für Pflege im Alter werden in Deutschland nur zu einem geringen Teil von der Pflegeversicherung gedeckt. Wachsende Teile der Bevölkerung können sich die Kosten für stationäre Pflege, die angesichts von Inflation, gestiegenen Energiekosten und wegen des seit 2022 erhöhten Pflegemindestlohns inzwischen bei 2500 bis 3000 Euro privater Zuzahlung im Monat liegen, nicht leisten. Hier springt nicht selten das Sozialamt ein. Neben den Renten der Bewohner*innen und Mitteln aus der öffentlichen Pflegeversicherung, werden also auch relevante Summen von Steuergeldern verausgabt.  

Pflege weiterhin feminisiert

Obwohl die absoluten Zahlen kontinuierlich ansteigen, werden derzeit nur 16 Prozent der zu Pflegenden stationär betreut. Das hat unterschiedliche Gründe: Viele Menschen wollen lieber zu Hause gepflegt werden und im vertrauten Umfeld bleiben. Für die allermeisten sind die Kosten für eine stationäre Unterbringung jedoch schlicht unbezahlbar.

Das heißt: 84 Prozent der anfallenden Pflege-Arbeit wird den Angehörigen oder dem unmittelbaren sozialen Umfeld aufgebürdet – und hier bekanntermaßen überwiegend Frauen. In ca. 21 Prozent erfolgt die Versorgung mit Unterstützung ambulanter Pflegedienste, die jedoch im Minutentakt unter stark belastenden Bedingungen arbeiten. Eine gute Versorgung ist so kaum möglich. Oft ist nicht einmal «satt und sauber» zu gewährleisten.

Eine menschenwürdige und zukunftssichere Ausgestaltung der Altenpflege muss die Tendenz zur Ökonomisierung und Finanzialisierung zurückdrängen, die Kosten für stationäre Pflege senken und die ambulante Unterstützung unter guten Bedingungen ausbauen. Dies ist schon deshalb notwendig, weil es angesichts demographischer Entwicklungen und dem allgemeinem Fachkräftemangel in den nächsten Jahrzehnten schlicht nicht genug Angehörige geben wird, die ihre Liebsten im Alter versorgen können.

Sollen also die Bedingungen innerhalb wie außerhalb von Altenheimen nicht immer unwürdiger und die Versorgungslage noch prekärer werden, muss so rasch wie möglich regulierend eingegriffen werden. Sinnvoll wäre «ein bundesweiter, verbindlicher Profitdeckel für die Pflege und ein Ende des Gewinnstrebens mit unserer Gesundheit», sowie «eine Bürger:innenversicherung, in die endlich alle einbezahlen» – wie es der Journalist David Gutensohn prägnant formuliert. Nur dann kann es zu einer bedarfsgerechten Versorgung und einer auch geschlechtergerechten Umverteilung der Lasten kommen. Eine gute Versorgung im Bereich Altenpflege mit würdigen Lebens- und Arbeitsbedingungen, wäre demnach auch ein wichtiger Beitrag zu Neuorganisation von Sorgearbeit und zur Entlastung feminisierter, unentlohnter Arbeit.

Schlussfolgerungen aus dem Rechtsgutachten

Um den skizzierten Entwicklungen in der Breite einen wirksamen Riegel vorzuschieben, ist ein Umsteuern in der gesetzlichen Pflegeversicherung (SGB XI) notwendig. Wie sehr eine Steuerung der öffentlichen Daseinsvorsorge über Marktprinzipien nicht nur zu schlechter Versorgung und fehlendem Personal, sondern auch zu ökonomischen Fehlanreizen führt, ist besonders anhand der Fallpauschalen (DRG) im Gesundheitssektor nachgewiesen worden. An die Stelle dieses ineffizienten Systems, müssen tragfähige Strukturen treten, die sich an den Bedürfnissen alternder Menschen orientieren und gemeinwohlorientiert wirtschaften.

Dazu wären an erster Stelle der Einfluss profitorientierter Träger im Bereich Altenpflege schrittweise zurückzudrängen. Hier kann ein Beispiel aus Österreich wertvolle Hinweise geben. Die Landesregierung des Burgenlands hat ein Gesetz erlassen, das nach einer angemessenen Übergangsfrist nur noch gemeinwohlorientierte Träger berechtigt, öffentliche Mittel zu erhalten. Umgekehrt bedeutet dies, dass Personen, deren Heimkosten ganz oder teilweise von den Sozialkassen getragen werden, nur noch in gemeinwohlorientierten Heimen unterkommen können.

In der Bundesrepublik wären folgende konkrete Schritte für eine gemeinwohlorientierte Regulierung möglich, von denen zwei auf Bundesebene und vier auf Landesebene umsetzbar sind:

  • Um eine weitere Ökonomisierung und Finanzialisierung im Bereich Altenpflege zu verhindern, wäre es gemäß Gutachten möglich, «den Pflegemarkt auf gemeinnützige Träger zu begrenzen». Dies wäre bundesrechtlich möglich, «da es sich um Aufgaben der öffentlichen Daseinsfürsorge handelt.» (Baunack/Gilsbach 2023)
    Vorbild kann hier der Bereich der Jugendhilfe (SGB VIII) sein, in dem es in einigen Bundesländern bereits heute eine Beschränkung auf gemeinwohlorientierter und kommunaler Träger gibt. Um diese für die Altenpflege zu ermöglichen, müsste eine Änderung des SGB XI erfolgen.
    Anders als häufig angenommen, würde dies nicht den europarechtlichen Regelungen zur Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit widersprechen. Denn das Unionsrecht findet nach überzeugender Ansicht des Obererwaltungsgericht Hamburg auf den Sozialstaat keine Anwendung, weil «die Ausgestaltung des Systems der sozialen Sicherheit ... dem jeweiligen Mitgliedstaat» (ebd.) obliegt. Stattdessen sind Eingriffe in die Unternehmerfreiheiten durch das Gemeinwohl gerechtfertigt.
  • Einführung einer Bürgerversicherung, statt der derzeitigen «Teilkasko»- Pflegeversicherung. Nur so ließe sich eine kostendeckende Versorgung insbesondere für Menschen mit niedrigen Renten sichern und damit Angehörige, die den Löwenanteil der Altenpflege leisten, entlasten.
    Beide Änderungen können durch Bundesratsinitiativen aus den Ländern vorangetrieben werden. Auf der landesrechtlichen Ebene wären vor einer entsprechenden Änderung des Bundesrechts bereits folgende Maßnahmen möglich:
  • Verstärkung von Kontrollen und entsprechende Auflagen an die Betreiber. Dazu bedarf es in erster Linie einer Aufstockung des Personals in den entsprechenden Kontrollbehörden. Darüber hinaus müssten diese die bereits vorhandenen Spielräume der Sanktionierung – bis hin zur Untersagung des Pflegebetriebs – voll ausschöpfen.
  • Im deutschlandweiten Vergleich ist der Anteil privater Betreiber in Bremen hoch, er liegt hier im oberen Drittel. Bremen ist außerdem neben Hamburg das einzige Bundesland, in dem es bislang kein einziges kommunales Heim gibt. Hier könnte der Landesgesetzgeber Zielvorgaben zur Zusammensetzung der Trägerlandschaft machen, die im Einklang mit der bundesgesetzlich normierten Trägervielfalt dafür sorgen, dass gemeinwohlorientierte Träger nicht weiter vom Markt verdrängt werden.  
  • Trotz des für den Altenpflegebereich streng geltenden Subsidaritätsprinzips (privat und frei-gemeinnützig vor kommunal) ist in Bremen die Gründung eines kommunalen Trägers möglich. Dieser könnte sowohl eigene Pflegeheime öffnen, also auch bestehende übernehmen – nicht nur, aber auch im Falle von Insolvenzen.
  • Eine gesicherte Versorgung von Menschen mit Pflegebedarf ist nur durch den Ausbau des Angebots stationärer Altenpflege im Gemeinwohlinteresse zu gewährleisten. Dazu bedarf es einer Förderung durch öffentliche Mittel. Bereits heute ist es rechtlich zulässig, etwa Investitionskostenzuschüsse nur an gemeinnützige Träger zu gewähren.
  • Vor allem bei den Pflege-Immobilien wäre eine Beschränkung des spekulativen Handels dringend geboten. Eine Regelung nach dem Vorbild des Grundstücksverkehrsgesetzes im landwirtschaftlichen Bereich scheint angesichts des anders gelagerten Gegenstands nicht möglich. Denkbar und weiter zu prüfen wäre allerdings, ob hier ein kommunales Vorkaufsrecht geschaffen werden könnte.

Barbara Fried, Rosa-Luxemburg-Stiftung
 

Zum Gutachten

 
Autor*innen:

  • Sebastian Baunack ist Fachanwalt für Arbeits- und Verwaltungsrecht und in beiden Rechtsgebieten tätig, wobei ein Schwerpunkt auf dem Recht des öffentlichen Dienstes, insbesondere dem Beamtenrecht liegt. Er ist Autor des Gutachtens Qualitative Anforderungen an Plankrankenhäuser – Gestaltungsmöglichkeiten der Bundesländer, Rechtsgutachten im Auftrag der Rosa-Luxemburg-Stiftung, Papers 3/2020, hier abrufbar.
  • Anna Gilsbach, LL.M. ist Fachanwältin für Sozialrecht, arbeitet aber überwiegend im Arbeitsrecht und Verwaltungsrecht. Sie hat einen Master in Public International Law der Universiteit van Amsterdam und ist Mitglied im Menschenrechtsausschuss des Deutschen Anwaltvereins.

Beide sind in der Kanzlei dka Rechtsanwälte Fachanwälte in Berlin tätig.

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