Publikation HKWM Grüner New Deal

Welche Art von politischer Reform ist mit der Idee eines ökologischen New Deal gemeint? Welche strategischen politischen Koalitionen liegen dieser Verbindung von Ökologie und Umverteilungspolitik zugrunde?

Information

Reihe

HKWM

Autor

Willi Brüggen,

Erschienen

Oktober 2024

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Das Historisch-kritische Wörterbuch des Marxismus (HKWM) ist ein marxistisches Lexikon, das nach seiner Fertigstellung 15 Bände und über 1.500 Einträge umfassen wird. Von den bisher erschienenen neun Bänden in deutscher Sprache sind seit 2017 zwei Bände in chinesischer Sprache herausgegeben worden. Im Frühjahr 2019 hat die Rosa-Luxemburg-Stiftung gemeinsam mit dem HKWM-Team die «Internationalisierung» des Lexikons auf Englisch und Spanisch vorangetrieben, um eine neue Generation marxistischer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus der ganzen Welt für das Projekt zu gewinnen und seine Leserschaft und Reichweite zu vergrößern. Der unten stehende Eintrag ist Teil einer Auswahl dieser Übersetzungen, die auf unserer Website zur Verfügung gestellt werden. 

Weitere Informationen über das Projekt und andere übersetzte Lexikon-Einträge finden sich in unserem HKWM-Dossier.

A: al-barnāmaǧ al-ǧadīd al-aḫḍar. – E: Green New Deal. – F: New deal vert. – R: Selënyi novyi kurs. – S: New deal verde. – C: lüse xinzheng 绿色新政

Die Ausdrücke GND, ökologischer ND oder ökosozialer ND werden weitgehend synonym verwendet. Sie stehen für reformpolitische Konzepte, welche die Anliegen des Keynesianismus der Nachkriegsdekaden mit den neuen Interessen und Einsichten der ökologischen Bewegungen verbinden. In der deutschen politischen Debatte diente der Begriff Ende der 1980er Jahre dazu, einen reformpolitischen Neuansatz linker Strömungen innerhalb der Partei Die Grünen zu kennzeichnen (Brüggen/Dräger 1991). Unabhängig davon wurde er auch vom sozialöko­logischen Flügel der SPD und von PDS-Politikern aufgegriffen (Crossover 1997). Die 1991 beschlossene sozialökologische Neuorientierung der Grünen (Neumünsteraner Erklärung) beruhte auf der Idee eines ökologischen ND. Durch die Verkopplung von Ökologie und Umverteilungspolitik sollte zugleich die Basis für ein längerfristig angelegtes strategisches Bündnis zwischen progressiven Sozialdemokraten, Sozialisten und Grünen gelegt werden.

1.Theodore Roosevelt nutzte 1932 die wörtliche Bedeutung von »ND« (neues Spiel, Neuausteilen der Karten), um die Notwendigkeit zu versinnbildlichen, die ängstlich-bewahrende Hooversche Status-quo-Politik zu beenden. Berühmt ist die Sentenz aus seiner Regierungserklärung: »Wir haben nichts mehr zu verlieren, außer die Angst vor der Angst.« – Bei der 50 Jahre später geprägten Losung GND ging es um die Möglichkeit eines reformpolitischen Neuanfangs angesichts einer Politik des ‘Weiter so’. Dies in doppelter Abgrenzung: Gegen deterministische Tendenzen, die die Gestaltungsspielräume ähnlich gering einschätzten wie die technokratischen Konservativen, sowie gegen ‘realpolitische’ Anpassung galt es an Reformprojekten mit gesellschaftspolitischem Gestaltungsanspruch festzuhalten. Innerhalb der Grünen ging es v.a. um die Auseinandersetzung mit dem strategischen Konzept einer ‘ökologischen Menschenrechtspartei’, welche die Liberalen beerben sollte. In der SPD stand die Auseinandersetzung mit dem ökonomistischen und technokratischen Pragmatismus des rechten Flügels im Vordergrund. Partei und Wählern sollte signalisiert werden, dass weitreichende ökologische Reformen durchaus mit Wohlstand und sozialer Gerechtigkeit vereinbar seien.

2. Mit dem historischen ND war das Rooseveltsche Versprechen verbunden, eine reformkapitalistische Lösungsperspektive (Keynesianismus) für die in der Weltwirtschaftskrise aufgebrochenen Akkumulationsprobleme zu finden. Der GND knüpft hier mit seinem Vorschlag an, das keynesianische Instrumentarium den veränderten ökonomischen Rahmenbedingungen und der ökologischen Krise anzupassen, um zu einer ‘nachhaltigeren’ ökonomischen Expansion zu kommen, ohne die kapitalistische Akkumulation oder die industrielle Anwendung von Technologie und Wissenschaft als solche aufzuheben.

Investitionsprogramme sollten v.a. für ökologische Modernisierungsinvestitionen (z.B. regenerative Energieträger, Blockheizkraftwerke, Wärmedämmung, Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs etc.) verwendet werden. Diese neue Wachstumsstrategie sollte zweitens mit einer Politik der radikalen Arbeitszeitverkürzung verknüpft werden. Drittens sollte die binnenwirtschaftliche Austrocknung der modernen Exportökonomien überwunden werden. Zugleich wurde eine Re-Regulierung der Weltmärkte gefordert, mit ähnlicher Funktion, wie sie das System von Bretton Woods für die Entwicklung der weltweiten Kapitalakkumulation nach 1945 übernommen hatte (Holland 1994).

Inzwischen liegen sozialökologische Investitionsprogramme auch für die europäische und globale Ebene vor (Czeskleba-Dupont u.a. 1994; Willis 1994; Scheer 1999). In Deutschland wurde die Kombination von Öko-Investition mit Arbeitszeitverkürzung v.a. in den Memoranden der AG Alternative Wirtschaftspolitik verfochten. Zuletzt wurde vom ‘Crossover’-Projekt ausgehend von Burkart Lutz (1989) das Konzept einer ‘postfordistischen Globalsteuerung’ entwickelt, das – gegen die unter der neoliberalen Globalisierung vorherrschende Weltmarktorientierung – eine Regionalisierung von Wirtschaftskreisläufen bei Stärkung der binnenwirtschaftlichen Bereiche (Infrastruktur, Bildung und Erziehung, Wohnen, Verkehr etc.) anstrebte (Brüggen/Peine 1999; Crossover 2000). Durch höhere Besteuerung des Verbrauchs ökologisch besonders problematischer Luxusgüter sollten binnenwirtschaftliche Projekte finanziert werden (Brüggen/Klein/Westphal 1998; Kremer/Mikfeld 2000)

3. Der historische ND formte ein Bündnis zwischen Intellektuellen, Landbevölkerung und Arbeiterbewegung. Die GND-Konzepte streben ein neues Bündnis zwischen verteilungspolitisch orientierter Arbeiterbewegung und eher lebensweltlichen Interessen von Mittelschichten an. Durch Einkommensverzicht der ökologisch besonders interessierten oberen Einkom­mensgruppen und staatliche Beihilfen zum Lohnausgleich sollten die eher lohnpolitisch interessierten traditionellen Arbeitnehmermilieus für eine Politik der Arbeitszeitverkürzung gewonnen werden. Während die unteren und mittleren Einkommen durch zusätzliche Arbeitsplätze, öffentliche Beihilfen und ‘Umverteilung innerhalb der Klasse’ gewännen, bekämen die akademisch geprägten ‘Alternativmilieus’ die Chance, verstärkt ihren ökologisch geprägten Interessen nachzugehen (Brüggen/Drager 1991).

Im intellektuellen Umfeld der linken Grünen in Deutschland und Frankreich (Lipietz 1998) wurde versucht, gerade diese qualitativen Aspekte einer Arbeitszeitverkürzung stärker zu politisieren. Vorschläge wurden erarbeitet, wie eine auf Wiederaneignung gesellschaftlicher Lebensprozesse zielende Arbeitszeitverkürzung durch staatliche Reformschritte erleichtert werden könnte (z.B. Überstundensteuer, staatliche Beihilfen beim Lohnausgleich). Insbesondere sollte der geforderte Lohnausgleich auf die unteren und mittleren Tarifgruppen konzentriert werden, während man von den Besserverdienenden erwartete, auf einen Teil ihres Einkommens zu verzichten (Arbeitskreis Wirtschaft 1993).

Dieser Versuch, um die Achse der Arbeitszeitpolitik die Neuen sozialen Bewegungen und die Arbeiterbewegung miteinander zu verbünden, verstand sich als Alternative zu anderen Bündniskonzepten der Neuen Linken, die beide Interessenrichtungen durch eine gegen das Kapital gerichtete Negativkoalition verknüpfen wollten (vgl. z.B. O´Connor 1998, 158-77 u. 324-33). Der GND unternimmt es, eine tagespolitisch durchsetzbare Reform- und Entwicklungs­perspektive zu entwickeln, die beide Interessenrichtungen berücksichtigt. Denn die Negativkoalitionen der 1970-80er Jahre waren nur für die Belange der außerparlamentarischen Kämpfe ausreichend, konnten aber keine Reformpolitik und erst recht keine reformpolitische Regierungskonstellation tragen.

Mitte der 90er Jahre wurde deutlich, dass die ‘rot-grüne’ Reformstrategie vom Typ GND in einen Erosionsprozess geraten war, noch bevor sie eine Chance erhalten hatte, konkrete Reformpolitik zu betreiben (Schmidt/Wolf 1999). Die Hegemonie der Alternativmilieus in Teilen der Mittelschicht wurden vom neuen Leitbild des flexiblen »Arbeitskraftunternehmers« verdrängt (Voss/Pongratz 1998). Gleichzeitig trat für Sozialdemokratie und Gewerkschaften unter dem wachsenden Druck von Massenerwerbslosigkeit und neoliberaler Deregulierung eine korporatistische Standortsicherungspolitik in den Vordergrund. So verlor der gemeinsame Nenner, die radikale Arbeitszeitverkürzung, an tagespolitischer Bedeutung.

Um das alte Reformbündnis durch eine neue Konstellation zu ersetzten, welche die individualisierte Kreativität und den beruflichen Gestaltungswillen der neuen Wissensarbeiter mit den Sicherungs- und Umverteilungsinteressen der alten Milieus auf eine Weise verknüpft, die sie gemeinsam zum Träger eines neuen ökologischen Reformprojekts werden lässt (Crossover 1997), wurde in der Folge eine makroökonomische Reformperspektive entworfen, die den seit Ende der 90er Jahre einsetzenden konjunkturellen Aufschwung verstetigen könnte, um Verteilungsspielraum sowohl für eine soziale Grundsicherung wie für ökologische Umbaumaßnahmen zu schaffen (Crossover 2000).

4. Angesichts der Schwierigkeiten eines weitergehenden Umsteuerns konzentriert sich die Diskussion zunehmend auf das Vorhaben einer relativen Entkoppelung von ‘Ressourcenverbrauch’ und Reichtumsproduktion durch Steigerung der Ressourceneffizienz. Erwartete Produktivitätsgewinne im Bereich der Wissensökonomie werden dabei zur Stützung des Versprechens herangezogen, Reichtumsgewinne mit einer Verbesserung der ökologischen Situation zu verbinden (von Weizsäcker u.a. 1995; Bund 1996; Rifkin 1998). Das plakative Konzept einer ‘ökologischen Entstofflichung’ setzt zunächst auf den Einsatz weniger belastender und ressourcensparender Produktionsverfahren und Produkte. Hierher gehört auch der Gedanke der Einleitung einer »prometheischen Revolution« (Georgescu-Roegen 1986) durch den Wechsel von der fossilen zur solaren Weltwirtschaft (Scheer 1999). Zugleich soll der individuelle Erwerb ökologisch aufwändiger Konsumgüter schrittweise durch direkten Ankauf der durch sie angezielten Leistungen (Mobilität, Kommunikation etc.) ersetzt werden. Viele dieser Umbauszenarien leiden allerdings daran, dass sie sich v.a. mit der qualitativ-stofflichen Seite von Produktion und Konsumtion befassen und deren gesellschaftliche Seite vernachlässigen.

Für den GND steht die Frage, wie eine neue, weniger ‘naturvergessene’ Form der Steuerung des Akkumulationsprozesses gefunden werden kann, im Zentrum der Debatte. Die Vorschläge unterscheiden sich v.a. dadurch, ob und wie weitgehend der Selbstlauf der kapitalistischen Akkumulation modifiziert oder ‘eingebettet’ werden soll. Das GND-Konzept gibt Kriterien dafür an die Hand, wie weit in derartigen Vorschlägen überhaupt eine hinreichende ‘Eingriffstiefe’ vorgesehen ist. Die von Marshall und Pigou ausgehenden neoklassischen Konzepte bleiben hinter den Anforderungen eines GND zurück: Sie beschreiben die ökologischen Probleme als externe Effekte, die im Preis nicht auftauchen und deshalb durch angemessene politische Rahmensetzungen zu reinternalisieren sind; als Folge partiellen Marktversagens sollen sie durch Ökosteuern (Pigou 1939), Zertifikatlösungen (Dales 1968) oder eine klarere individuelle Zuordnung der Eigentumsrechte (Coase 1960; vgl. Land 1994) behoben werden. Der ‘Kurzsichtigkeit’ des Kapitals, dem die ökologischen Folgeprobleme aus dem Blick geraten, wollen keynesianische Lösungsvorschläge (Betz u.a. 1994) durch staatliche Investitionsprogramme und gesetzliche Gebote und Verbote abhelfen (Bömer 1996).

William Kapp (1983) argumentiert radikaler: Das ‘private business enterprise’ produziere notwendig eine Reihe sozialer und ökologischer Folgekosten, die mit den gegebenen ökonomischen Instrumenten nur unvollständig erfasst werden können. Eine ganzheitliche Betrachtungsweise soll soziologische, ökologische und psychologische Gesichtspunkte in wirtschaftliche Entscheidungen einbeziehen. Alain Lipietz (2000) geht darüber hinaus, indem er in seinem Konzept einer politischen Ökologie eine »Wieder-Einbettung« der kapitalistisch verselbstständigten Ökonomie (vgl. Polanyi 1944) entwirft.

O´Connor (1996) geht dagegen von einem im Kapitalismus systemnotwendigen Raubbau an den natürlichen Produktionsmitteln aus: Der kapitalistische Akkumulationsprozess sei nicht nur periodischen Unterkonsumtions-, sondern auch wiederkehrenden Unterakkumulationskrisen ausgesetzt. Der Raubbau an den natürlichen und sozialen Produktionsmitteln zwinge ihn – teils unter dem Eindruck der sozialen Gegenbewegungen, teils unter dem Druck einer wachsenden Knappheit von ‘Produktionsfaktoren’ – schließlich dazu, für die benötigten Produktionsmittel derart hohe Preise zu zahlen, dass der Akkumulationsprozess ins Stocken gerät. Commoner (1977), Tjaden (1990) und Düe (1995) verbinden diese These mit der marxistischen Überakkumulationstheorie. Trotz wachsenden Einsatzes von fixem Kapital fielen die Produktivitätsgewinne immer geringer aus, weil die durch den Raubbau an den natürlichen Produktionsbedingungen ausgelösten Degressionsprozesse durch zusätzlichen Aufwand ausgeglichen werden müssten. Der durch die steigende organische Zusammensetzung des Kapitals ausgelöste tendenzielle Fall der Profitrate werde dadurch verstärkt. Die ökologische Krise erscheint so als Teil der sich langfristig zuspitzenden kapitalistischen Überakkumulationskrise. Tjaden folgert, die kapitalistische Geldwirtschaft müsse durch einen neuen Bewertungsmaßstab abgelöst werden, der vom Arbeitswert der Warenprodukte ausgeht (182). Er sieht aber kaum Möglichkeiten, derart weitreichende Perspektiven umzusetzen, und plädiert für eine systemimmanente Reformperspektive, die auf eine Kombination von Arbeitszeitverkürzung, sozialer Grundsicherung und stofflicher Verschlankung des Güterangebots setzt (Düe/Tjaden 1994).

Eine Variante dieser Analysen sieht im Wirken des dem kapitalistischen Akkumulationsprozess zugrunde liegenden ‘Arbeitswertprinzips’ die eigentliche Ursache der ökologischen Krise. Mit Bezug auf Marx und im Unterschied zu den ricardianischen Marxinterpretationen der II. und der III. Internationale (vgl. Bidet 1989) wird der Arbeitswert nicht als formationsneutrale Grundkonstante menschlichen Wirtschaftens begriffen, sondern als kapitalismusspezifische Form, welche die Entfremdung des Menschen von der Natur mit umfasst. Dies richtet sich gegen ein Denken, das allein an der Einsparung von Arbeitszeit interessiert ist (Schmied-Kowarzik 1984). Den Schritt zu einer ‘Naturwertlehre’ als vermeintlichem theoretischen Ausdruck der Ökologiebewegungen der 1970er Jahre hat dann Hans Immler (1984) vollzogen – um den Preis eines Rückfalls in physiokratische Vorstellungen ohne praktische Relevanz (vgl. Massarat 1993, 43f).

Indem das Arbeitswertprinzip alle ökonomischen Anstrengungen auf die Ersetzung von Arbeit durch Naturkraft konzentriert, geht es mit einer einseitigen Betrachtung der Natur einher. Brüggen sieht in rein quantifizierenden Naturwissenschaften die Natur nur noch als ein Quantum ihrer arbeitsubstituierenden Potenzen begriffen (vgl. Skourtos 1994). Natur gilt dabei als etwas Gleichgültiges, so dass alles durch alles ersetzt werden kann und am Ende sogar der Austausch des gesamten Planeten, die Auswanderung in den Weltraum als Alternative erscheint (Jager 1999). Eine ökologisch nachhaltige Wirtschaftsweise sei ohne Überwindung des »paradoxen Grundprinzips der kapitalistischen Entwicklungsdynamik, durch maximale Arbeitsanstrengung möglichst viel Arbeit sparen zu wollen« (Brüggen 1996, 80), schwer vorstellbar (vgl. Weiss 1996).

Aus dieser Perspektive ergibt sich eine kritische Einstellung gegenüber der neoklassischen Vorstellung, das Ökologieproblem durch ‘Kapitalisierung’ der natürlichen Ressourcen oder durch Öko-Steuern lösen zu können. Deshalb müsse die Politik durch klare und eingreifende Rahmenvorgaben dafür sorgen, dass die verschiedenen ökonomischen Aktivitäten sich an den natürlichen und gesellschaftsgeschichtlich gegebenen Maßverhältnissen orientieren. Dabei könnte die Verteilung der qualitativ begrenzten Verbrauchs- und Produktionsquoten durch staatliche Versteigerungen oder Zertifikatmodelle geregelt werden (Elltrup, 2000).

Andere Versuche, die kapitalistische Geldökonomie durch eine zweite Ökonomie der Energieströme zu ergänzen, knüpfen dagegen an die Formen einer »gleichsetzenden Naturbetrachtung« an. Der älteste Ansatz geht auf Vorarbeiten von Podolinsky zurück. Er wurde v.a. von Georgescu-Roegen ausgearbeitet und in Deutschland u.a. von Altvater (1992) aufgegriffen. Die Vertreter dieses Ansatzes führen gegen den modernen Industriekapitalismus ins Feld, dass die von ihm hervorgebrachten Produktivitäts- und Wohlstandsgewinne auf einem exponentiell steigenden Verbrauch fossiler Energieträger beruhen, deren Verbrennung mit einem irreversiblen Entropieanstieg einhergeht. ‘Entropie’ wird hier zum Maß für den Naturverbrauch und zur Grundlage einer Ökonomie, der es nicht nur um Arbeitsersparnis, sondern primär um sparsamen Umgang mit der Natur geht. Scheer (1993) schlägt z.B. eine Entropiesteuer vor.

Die u.a. von Schmidt-Bleek entwickelten Überlegungen, die Geldökonomie durch eine Ökonomie der Stoffströme zu ergänzen, bewegen sich in einer ähnlichen Logik (1994, 103ff). Die Ressourceneffizienz eines Produktes soll dadurch gemessen werden, dass die für seine Produktion und Verwendung aufgewandten Stoffmengen auf die Anzahl der mit diesem Gegenstand möglichen Serviceeinheiten (Dienstleistungen oder Funktionen) bezogen werden (108). Entsprechend geht es den Vertretern dieses (u.a. vom Wuppertaler Institut) vorangetriebenen Ansatzes um einen technologischen Fortschritt, der darauf abzielen würde, ‘entstofflichte’ Formen der Wissensproduktion für die Wertschöpfung zu privilegieren (Weizsäcker u.a. 1995).

Bibliographie: E.Altvater, Der Preis der Wohlstands, Münster 1992; Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik, Memorandum, Köln 1990; dies., Memorandum, Köln 1991; Arbeitskreis Wirtschaft, Bündnis 90/Die Grünen, »Thesen zur Beschäftigungspolitik«, in: Andere Zeilen, 1. Jg., 1993, H. 5, 2S-30; F.Beckenbach, »Möglichkeiten und Grenzen einer Ökologisierung der Ökonomie«, in: Prokla 67, 17. Jg., 1987, 55-70; H.Behrens, »Ökologie und Sozialismus oder: warum heute noch Kapitalismuskritik?«, in: Z 6,2. Jg., 1991, 122-41; K.Betz, L.Klassen, W.Schelkle, »Übernutzte Umwelt, unterbeschäftigte Arbeit«, in: Berliner Debatte - Initial, 5. Jg., 1994, H. 2, 115-26; J.Bidet, »Wert«, in: KWM 8, 1989, 1417-23; H.Bömer, »Ökosozialer New Deal als Konzept alternativer Wirtschaftspolitik«, in: Z 28, 7. Jg., 1996, 94- 110; W.Brüggen, »Der politische Preis der ökologischen Währung. Einwände gegen die Ökonomisierung der ökologischen Kritik«, in: Widerspruch 31, 7. 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Willi Brüggen

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