
Seit Monaten bestimmt das Thema Migration die Schlagzeilen. Eine Vielzahl von Alltagsproblemen und ein allgemeines Gefühl der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Überlastung werden von vielen mit der Ankunft von Menschen auf der Flucht oder generell mit Einwanderung in Zusammenhang gebracht. Dabei setzt die AfD die Agenda, die CDU greift sie in den Parlamenten auf und die Regierungsparteien ergeben sich den immer neuen Forderungen. In der Begrenzung von Zuwanderung soll die Lösung aller Probleme liegen. Geflüchtete gelte es deshalb stärker abzuschrecken, indem ihre ohnehin schwierigen, teils menschenunwürdigen Lebensbedingungen hierzulande immer weiter verschlechtert werden.
Diesen Migrationsdiskurs vom Kopf auf die Füße zu stellen und Ansatzpunkte für eine Migrationspolitik von links zu finden, ist das Ziel dieser Publikation. Der Text erläutert anhand belastbarer Zahlen und Fakten die Realität der Einwanderungsgeschichte Deutschlands seit dem Zweiten Weltkrieg und ordnet sie in die aktuelle Diskussion ein. Insbesondere die Herausforderungen globaler Mobilität in Zeiten transnationaler wirtschaftlicher und kultureller Verflechtungen werden diskutiert. Wie steht es um die Belastbarkeit der Kommunen? Was bedeuten geschlossene Grenzen? Wie kann Integration gelingen? Wie können Fluchtursachen effektiv bekämpft werden?
Dass Menschen einwandern, ist nicht an sich das Problem – die Probleme liegen in einer verfehlten Sozial- und Integrationspolitik, im Kaputtsparen der öffentlichen Daseinsvorsorge und einer zunehmenden sozialökonomischen Spaltung, in der Rassismus grassiert und rassistische Stimmungsmache auf fruchtbaren Boden fällt. Wo gegen Geflüchtete gehetzt wird, geht es nur allzu häufig um die Verschleierung der wahren Gründe für Wohnungsmangel, kommunale Infrastrukturkrise, Bildungsnotstand, Kriminalität und sexistische Gewalt, für Arbeitslosigkeit, Armut und das Abrutschen des Mittelstands. Geflüchtete als Sündenböcke zu benutzen, auf die hausgemachte Probleme projiziert werden, ist brandgefährlich.
Wir leben in einer Einwanderungsgesellschaft. Gerade dieser Tage bedeutet die Verteidigung der Demokratie die Verteidigung der Migrationsgesellschaft. Das heißt: Stärkung von Bürgerrechten, Schutz des Asylrechts, Humanisierung der Einwanderungsbedingungen, Verbesserung der sozialen und Bildungsgerechtigkeit sowie Stärkung einer inklusiven Gesellschaft der Vielen.
Steffen Kühne, Bereichsleiter Zentrum für Gesellschaftsanalyse und politische Bildung der Rosa-Luxemburg-Stiftung Berlin, Dezember 2024
Inhalt
- Zuwanderung – Entwicklung und rechtlicher Rahmen
- Aktuelle Diskussion
- Zuwanderung nach Deutschland 1945 bis 2015
- Zuwanderung nach dem Sommer 2015
- Flüchtlingspolitik seit 2023
- Globale Wanderungsbewegungen
- Perspektiven linker Politik
- Erwartungen in der Gesellschaft
- Integration
- Fluchtursachen bekämpfen
- Offene Grenzen?
- Migration sinnvoll gestalten – Asylrecht gewährleisten
Autoren
Andreas Fisahn ist Professor für Öffentliches Recht und Rechtstheorie an der Universität Bielefeld. Seine Forschungsschwerpunkte sind Staats- und Rechtstheorien sowie Europa. Er ist Vertrauensdozent sowie Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats der Rosa-Luxemburg-Stiftung.
Alois Stiegeler studierte Politikwissenschaft und Pädagogik für das Lehramt und war zuletzt Lehrer in Bissendorf (Niedersachsen).
Jesper Herking studiert zurzeit Rechtswissenschaft an der Universität Bielefeld und ist am Lehrstuhl von Prof. Andreas Fisahn tätig.