Publikation Schöner Wohnen Rheinland-Pfalz.

Ein Gespräch mit den Autor:innen einer Studie zur Wohnfrage in Rheinland-Pfalz

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Die Wohnungsfrage ist eine der drängendsten sozialen Fragen unserer Zeit. Sie betrifft das Grundrecht auf Wohnen ebenso wie Fragen sozialer Gerechtigkeit, ökonomischer Stabilität und gesellschaftlicher Teilhabe. Gerade einkommensschwache und marginalisierte Bevölkerungsgruppen geraten durch steigende Mieten, Wohnungsmangel und Verdrängungsprozesse zunehmend unter Druck. Dabei wird deutlich: Wohnen darf keine Ware sein, sondern muss als öffentliche Daseinsvorsorge begriffen und politisch gestaltet werden.

Daher haben wir als Rosa-Luxemburg-Stiftung Rheinland-Pfalz eine Studie zur Wohnmarktsituation und Wohnmarktpolitik in unserem Bundesland in Auftrag gegeben. Unter wissenschaftlicher Leitung von Dr. Michael Mießner (Universität Trier) analysiert die Studie die strukturellen Bedingungen des Wohnungsmarktes im Land. Sie beleuchtet zentrale Aspekte wie die Entwicklung des Sozialwohnungsbaus, die Dynamik der Mietpreise, regionale Leerstände sowie die politischen Steuerungsinstrumente, mit denen Landes- und Kommunalpolitik auf diese Entwicklungen reagieren.

Unser Mitarbeiter Jonas Engelmann sprach mit Kristin Brosch, Felix Krause, Nils B. Ludwig und Michael Mießner, den Autor:innen der Studie über die wichtigsten Fragen und Erkenntnisse der Forschungsarbeit, die Anfang November veröffentlicht wird. 

Warum ist die Wohnungsfrage aktuell eine der zentralen sozialen Herausforderungen in Deutschland?

Nils B. Ludwig: Während in den letzten Jahren die Mieten immer stärker gestiegen sind, ist das Lohnniveau der meisten Bürger:innen nur minimal gestiegen, sodass wir eine extrem hohe Mietbelastung haben. Gleichzeitig haben wir einen extrem angespannten Wohnungsmarkt. Auf Grund dieser zwei Faktoren, ist der Wohnungsmarkt extrem umkämpft und daher besonders für prekär Beschäftigte und einkommensschwache Personengruppen zu einer zentralen Herausforderung geworden. Insbesondere in den Großstädten ist leistbarer Wohnraum auch für Mittelschichten zu einer Herausforderung geworden.  

Welche strukturellen Faktoren treiben die Mietpreisentwicklung bundesweit an?

Michael Mießner: Der zentrale Punkt ist, dass die Wohnraumversorgung hauptsächlich über den Markt geregelt wird. Das heißt aber im Umkehrschluss, dass die Anbieter:innen/Investor:innen mit Wohnungen eine Rendite erwirtschaften wollen. Damit sind in der Organisation der Versorgung mit Wohnraum Miet- und Immobilienpreissteigerungen grundlegend verknüpft. Hinzu kommen die Privatisierungswellen der 1990er und 2000er Jahre, als Bund, Länder und Kommunen viele öffentliche Wohnungsbestände verkauft und so bedeutenden Einfluss aus der Hand gegeben haben.

Wie wirkt sich der Mangel an Sozialwohnungen auf die soziale Spaltung in Städten und Gemeinden aus?

Nils B. Ludwig: Während Gutverdienende weiterhin ihren Wohnort fast frei wählen können, sind einkommensärmere Menschen gezwungen, in bestimmte Gebiete zu ziehen, die noch leistbar sind. Der Mangel an Sozialwohnungen unterstützt dies, da Menschen, die ein Anrecht auf eine Sozialwohnung haben, nicht bedient werden können und gezwungen werden, höhere Preise zu akzeptieren oder bzw. teils auch gleichzeitig in andere, nicht so attraktive Wohngegenden zu ziehen. Dies kann zu Stigmatisierungen und Ghettoisierung führen. 

Inwiefern ist die Wohnungsfrage nicht nur ein soziales, sondern auch ein demokratisches Problem?

Michael Mießner: Von Wohnungsnot Betroffene werden oft nicht gehört, da sie oftmals keine demokratische Vertretung bzw. kein Mitsprachemacht haben. Somit haben wir ganz sicher auch ein demokratisches Problem in der Wohnungsfrage. Neben dem Repräsentationsproblem gibt es auch noch ein weiteres. Die mangelnde Versorgung mit bezahlbarem Wohnraum und geringe Wirksamkeit der angewandten Wohnungspolitiken kann bei den Betroffenen zu Frustration über die Politik führen. Autoritäre Parteien versuchen dies auszunutzen und so Wähler:innen für rechte Positionen zu mobilisieren.

Wie stellt sich die Situation auf dem Wohnungsmarkt in Rheinland-Pfalz im Vergleich zu anderen Bundesländern dar?

Kristin Brosch: Eine Besonderheit in Rheinland-Pfalz ist die Nähe zu Luxemburg. Durch die ökonomische Ungleichheit zwischen Rheinland-Pfalz und Luxemburg, siedeln sich immer mehr Luxemburger:innen nahe der Grenze an und tragen so zu einer Preissteigerung des Wohnungsmarktes bei. Außerdem ist der Wohnungsmarkt in Rheinland-Pfalz stark durch ländliche Gebiete geprägt. Hier stellt sich die Wohnungsfrage oft als Mangel an Mietwohnraum dar.

Welche Unterschiede gibt es zwischen den größeren Städten wie Mainz, Trier, Kaiserslautern und ländlicheren Regionen?

Felix Krause: In Rheinland-Pfalz gibt es eine relativ klassische Stadt-Land-Dichotomie, sprich: Wohnungspreise sind in den Städten höher, die Mietbelastungsquote ebenfalls, im ländlichen Raum dominieren Eigenheime. Gleichzeitig beobachten wir auch eine nachholende Gentrifizierung, denn die ländlichen Regionen holen stark auf, was Wohnungspreise betrifft. Somit ist der Unterschied zwischen den Großstädten und ländlichen Regionen noch ausgeprägt, nimmt aber ab.

Wo liegen die größten Probleme: im Mangel an Neubau, im Abbau von Sozialwohnungen, bei Leerständen – oder in der politischen Steuerung?

Kristin Brosch: Grundlegend an allem! Die Wohnungsproblematik ist ein Zusammenspiel all dieser Aspekte. Zum einen findet der Neubau im falschen Wohnungssegment statt, zum anderen fehlen Sozialwohnungen, sodass ein zusätzlicher Abbau das Problem noch weiter verstärkt. Wir sehen aber auch, dass es nahezu keine politische Steuerung in Richtung einer wirklich sozialen Wohnungspolitik gibt. 

Wie entwickelt sich die Mietpreissituation in Rheinland-Pfalz, und welche Bevölkerungsgruppen sind davon besonders betroffen?

Felix Krause: Die Mietpreise steigen im ganzen Land. Besonders in den Städten, entlang des Rheins und der Grenze zu Luxemburg sind diese inzwischen sehr hoch, aber auch im Umland von Mainz und Trier findet eine nachholende Entwicklung statt. Besonders betroffen sind Haushalte unter einem Einkommen von 1.500 Euro und Menschen, die stärker immobil sind. 

Welche Rolle spielen Leerstände in Rheinland-Pfalz?

Kristin Brosch: Hohe Leerstände gibt es in den ländlichen Regionen in Eifel, Hunsrück und Pfalz. Während entlang des Rheins die geringsten Leerstandsquoten zu finden sind, sind die Werte in der Pfalz am größten. Insgesamt ist der Leerstand aber nichts, womit die angespannten Märkte in den Großstädten entlastet werden können.

Was müsste auf Landes- und Kommunalebene geschehen, um die Wohnungsfrage wirksam anzugehen?

Nils B. Ludwig: Kurzfristig müssten mehr Sozialwohnungen entstehen, langfristig sollte es das Ziel sein, progressive Wohnformen zu fördern. Hierzu zählen wir u.a. Genossenschaften oder andere gemeinwohlorientierte Wohnprojekte. Nur so wird Wohnraum der kapitalistischen Verwertungslogik des Marktes entzogen und kann das Grundbedürfnis Wohnen besser bedienen. 

Welche wohnungspolitischen Instrumente wären in Rheinland-Pfalz besonders wirksam?

Michael Mießner: Einiges hat Nils B. Ludwig schon genannt. Besonders wirksam sind auch Bodenfonds, weil sie Kommunen langfristig in die Lage versetzen Land und Gebäude für eine aktive Wohnungspolitik ohne Privatisierungen zu nutzen. Auch Erbbaurechte sind ein sinnvoller Ansatz.

Welche Rolle können Mieter:inneninitiativen, Gewerkschaften und soziale Bewegungen in Rheinland-Pfalz spielen?

Nils B. Ludwig: Diese Zusammenschlüsse von Bürger:innen der Zivilgesellschaft können dazu beitragen Druck auf die Entscheidungsträger:innen auszuüben. Gleichzeitig können sie durch eine Vernetzung soziale Wohnformen thematisieren und evtl. auch generieren. Mieter:inneninitiativen können auch aktiv im Widerstand gegen Vermieter:innen sein, in dem sie gemeinsam solidarisch gegen zu hohe Mieten vorgehen.

Wie kann eine wohnungspolitische Agenda auch im ländlichen Raum verankert werden, wo die Probleme oft andere sind als in den Städten?

Michael Mießner: Die zentrale Herausforderung in ländlichen Räumen ist ein relativ geringer Anteil an Mietwohnungen. Dies ist für einkommensarme Bevölkerungsgruppen ein enormes Problem. Weil sie sich eben kein – wenn auch günstigeres – Wohneigentum im ländlichen Raum leisten kann. Gleichzeitig stehen aber kaum Mietwohnungen zur Verfügung. Dies kann die Wohnortwahl enorm einschränken. Eine soziale Wohnungspolitik auf dem Land sollte dieses Problem angehen. Das ländliche Umland der Großstädte steht hingegen bereits zum Teil vor ähnlichen Problemen wie die Städte. Hier gilt eigentlich alles, was wir bereits für Großstädte gesagt haben.

Gibt es Beispiele aus anderen Bundesländern oder europäischen Ländern, von denen Rheinland-Pfalz lernen könnte?

Michael Mießner: Als Paradebeispiel gilt immer Wien. Hier ist die Stadt sehr aktiv in der Wohnungspolitik und hält auch einen Großteil des Wohnungsbestandes, weshalb sie die Versorgung der Bevölkerung mit bezahlbarem Wohnraum ziemlich gut leisten kann. Leider beginnen auch in Wien vereinzelte Privatisierungen sodass hier etwas fraglich ist, wie lange die Stadt noch ihren Vorzeigestatus behält.

Kristin Brosch studiert im Master Humangeographie und ist wissenschaftliche Hilfskraft in der Arbeitsgruppe Wirtschaftsgeographie an der Universität Trier. 

Felix Krause studiert ab Mitte Oktober im Master Geoinformatik und ist ebenfalls wissenschaftliche Hilfskraft der Arbeitsgruppe Wirtschaftsgeographie an der Universität Trier.

Nils B. Ludwig ist Sozialgeograph mit den Forschungsschwerpunkte Wohnungspolitik sowie radikal rechter Politik. Er promoviert zum Thema „Rechtes Wohnen“ an der Universität Trier.

Michael Mießner ist Professor für Wirtschaftsgeographie an der Universität Trier. Er forscht zu Wohnungs- und Immobilienmärkten, Gentrifizierung und ländlicher Entwicklung.