
Schulen in Deutschland sind am Limit: Lehrkräftemangel herrscht inzwischen in nahezu allen Bundesländern, über eine wachsende Zahl von Quer- und Seiteneinsteiger*innen wird versucht, den Bedarf zu decken. Bei Erzieher*innen, Schulsozialarbeiter*innen und weiteren Professionen sieht die Situation nicht besser aus. Und statt mittels multiprofessionellen Teams eine gute und zeitgemäße Bildung anzubieten, werden die neuen Professionen an Schulen häufig als Lückenfüller*innen in einem defizitären System verheizt.
Schätzungen der Kultusministerkonferenz (KMK) zufolge fehlen derzeit 25.000 Lehrkräfte in Deutschland. Lehrer*innen arbeiten regelmäßig deutlich mehr als die vorgesehenen 40 bzw. 41 Stunden pro Woche. In Berlin wurde die Jahresarbeitszeit von 1.772 Stunden im Durchschnitt circa 100 Stunden überschritten (Schuljahr 2023/24). Besonders alarmierend ist, dass 64 Prozent der Lehrkräfte in Berlin Mehrarbeit leisteten, 30 Prozent der Vollzeitkräfte überschritten in der Schulzeit sogar die im Arbeitszeitgesetz festgelegte Obergrenze von 48 Stunden pro Woche. Auch bei Schulbegleiter*innen und Schulsozialarbeiter*innen ist die Belastung hoch. Laut ver.di berichten fast 85 Prozent der Schulsozialarbeiter*innen von regelmäßigen Überschreitungen der vereinbarten Arbeitszeit. Drei Viertel geben an, krank zur Arbeit zu gehen. Verletzendes Verhalten ist an der Tagesordnung: 85 Prozent der Befragten erleben psychische Gewalt unter Kindern.
Das «Krisenbuch Schule» richtet den Fokus auf diejenigen, die in einem heruntergewirtschafteten System arbeiten und lernen (müssen): Lehrer*innen, Schüler*innen, Erzieher*innen, Eltern, Schulsozialarbeiter*innen und Referendar*innen kommen darin zu Wort. Sie berichten eindrücklich von ihren täglichen Herausforderungen, von Überforderung, Frustration und Resignation. Die persönlichen Berichte werden durch kurze Texte ergänzt, die die geschilderten Herausforderungen in einen größeren Zusammenhang stellen: zur maroden Infrastruktur, zur Arbeitszeit von Lehrkräften, zur Zunahme von grenzüberschreitendem Verhalten oder dem Mythos, KI könne die beschriebenen Probleme lösen. Darüber hinaus werden Vorstellungen zu einer zeitgemäßen Schule entwickelt und es wird gezeigt, was politisch notwendig ist und wie sich Beschäftigte gegen Überforderung zur Wehr setzen können.
Inhalt:
- Vorwort
- Erfahrungsberichte
Erster Teil: Es fehlt an allem - Kommunales Dauerproblem
Investitionsstau an Schulen - Erfahrungsberichte
Zweiter Teil: Wenn der Personalmangel zu Überlastung führt - Arbeitszeiterfassung für Lehrkräfte
Grundlage für Bildungsqualität und Gesundheitsschutz - Erfahrungsberichte
Dritter Teil: Herausforderungen aufgrund der Zunahme von Heterogenität - Zahlen und Fakten zu deutscher Bildungspolitik
- Erfahrungsberichte
Vierter Teil: Mobbing und grenzüberschreitendes Verhalten - Wenn «Schule» verletzt
Gewalt, Überforderungen und fehlende Strukturen im multiprofessionellen Schulalltag - Erfahrungsberichte
Fünfter Teil: Schulsystem - KI in der Schule
Echte Hilfe oder Scheinriese? - Wie sieht Deine/Ihre Wunschschule der Zukunft aus?
- Entschlossen gegen den Bildungsnotstand
Neustart Schule - Gute Bildung für Alle.
Bildungsgerechtigkeit braucht Bildungskämpfe - Wie können sich (verbeamtete) Lehrkräfte gegen Überlastung zur Wehr setzen?
Interview mit Thilo Hartmann (GEW Hessen) - Bildungspolitische Initiativen und Netzwerke
Danksagung
Für die vielen so plastisch und eindrucksvoll erzählten Berichte im «Krisenbuch Schule» danke ich den beteiligten Lehrer*innen, Referendar*innen, Erzieher*innen, Schulsozialarbeiter*innen, Schulleiter*innen, Schulverwaltungsmitarbeiter*innen, Schüler*innen, Eltern und Erziehungsberechtigten. Sie haben ihre Erfahrungen und Erlebnisse, aber auch ihre Gedanken und Ängste geteilt – und damit einen Blick ins Innere von Schule freigegeben und gezeigt, was es für Beschäftigte an Schulen, aber auch für Schüler*innen und Eltern persönlich und tagtäglich bedeutet, in einem maroden Schulsystem zu arbeiten und zu lernen.
Ich danke aber auch den Gewerkschafter*innen der GEW und von ver.di, Bildungsinitiativen wie «Schule muss anders» und dem Bündnis Bildungswende JETZT! sowie allen Personen, die sich an der Verbreitung des Aufrufs für Beiträge und mit eigenen Texten beteiligt und so zum Gelingen des «Krisenbuchs Schule» beigetragen haben.
Dr. Katrin Schäfgen, Referentin für Bildungspolitik bei der Rosa-Luxemburg-Stiftung


