Publikation International / Transnational - Nordafrika - Staat / Demokratie - Arbeit / Gewerkschaften - Türkei Gewerkschaften in der Türkei – mit kämpfenden Frauen voran?

Standpunkte International 14/2011 von Corinna Trogisch.

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Reihe

Standpunkte international

Erschienen

November 2011

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Bei der Firma Novamed, einem Ableger der deutschen Fresenius- Gruppe, in der Freihandelszone von Antalya/Türkei werden Dialyseprodukte hergestellt. In der Produktion arbeiten hauptsächlich Frauen. Im Jahr 2007 sind es 315. Ab dem 26. September 2006 treten etliche von ihnen in Streik, schnell sind es 82. Mehr noch als um den geringen Lohn geht es den Frauen um die Arbeitsbedingungen und Schikanen, die sie von Vorgesetzten zu ertragen haben. Sie halten lange durch: 448 Tage lang sind sie trotz vielfältiger Einschüchterungsversuche und Erschwernisse präsent. Am Schluss steht der Erfolg: die Wiedereinstellung der Entlassenen wird erreicht, am 18. Dezember 2007 ist ein dreijähriger Tarifvertrag ausgehandelt.

Der Streik bei Novamed erfuhr im Laufe der Zeit viel, auch internationale Solidarität1, und sein Erfolg wurde weithin gefeiert. Türkische Medien brachten die Formel vom «Frauenstreik » auf, ein kleiner Mythos entstand. «Novamed» ist ebenso zum Schlagwort der Hoffnung für jene geworden, die sich in der Türkei um die Verbindung von gewerkschaftlicher und feministischer Politik bemühen. Seit «Novamed» zeigt sich offener, dass hierzu eine neue Diskussionsgrundlage entstanden ist.

Gewerkschaften in der Türkei haben indessen in den letzten Dekaden immer weiter an politischer Relevanz verloren. Gerade angesichts dessen stellt sich die Frage, woher Impulse zur dringend notwendigen Erneuerung gewerkschaftlicher Politik in der Türkei kommen könnten. Im Folgenden soll diese anhand von Charakteristika des von Frauen getragenen Arbeitskampfes bei Novamed und unter Berücksichtigung von Bedingungen gewerkschaftlicher Arbeit in der Türkei sowie Aspekten gewerkschaftlicher Geschlechterpolitik behandelt werden. Ferner werden frauenpolitische Netzwerke vorgestellt, die in den letzten Jahren rund um Gewerkschaften und Arbeitskämpfe in der Türkei entstanden sind. Diese haben sich angesichts verstärkter Ausbeutung von Frauenarbeit durch die Kapitalseite im Kontext von Exportorientierung und Deregulierung und dem Unvermögen türkischer Gewerkschaften, darauf mit der Infragestellung hergebrachter Arbeits- und Mobilisierungsformen zu reagieren, entwickelt. Es könnte Gewerkschaften sektorenübergreifend politisch stärken, sich das Wissen und die Kampfkraft dieser Netzwerke zunutze zu machen. Verbunden wäre dies jedoch mit weitgehender Infragestellung bisheriger Praxis. Ausschlaggebend für ein Umdenken in puncto gewerkschaftlicher Geschlechterpolitik könnte auch die Überlegung sein, dass weder Demokratie noch Gerechtigkeit als ureigenste gewerkschaftliche Werte sich glaubwürdig vertreten lassen, wenn es bei der bisherigen Praxis bleibt.

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