
Unter dem Titel «Wessen Morgen ist der Morgen? Politische Lieder singen und ihre Geschichte erkunden» bot der einwöchige Bildungsurlaub von Arbeit und Leben im Kreis Herford DGB/VHS e.V. und der Rosa-Luxemburg-Stiftung NRW Ende September 2025 viele Möglichkeiten in die Arbeiterlied-Traditionen aktiv einzutauchen.
Die Anwesenheit des Liedermachers Kai Degenhardt ermöglichte einen theoriegeleiteten Zugang, über von ihm zahlreich interpretierten und ausgewählten Arbeiterliedern den Entstehungszusammenhang aufzuhellen und auf die jeweils besondere Ästhetik der Arbeiter(innen)-Lieder einzugehen. Zur kritischen Unterweisung diente auch sein 2023 veröffentlichtes Buch «Wessen Morgen ist der Morgen: Arbeiterlied und Arbeiterkämpfe in Deutschland» (PapyRossa Verlag).
Mit dem Duo Cuppatea Sigrun und Joachim wurde es konkret und praktisch. Die Lieblingslieder der TeilnehmerInnen wurden eingeübt und gesungen: Arbeiter von Wien, La Lega, Wann wir schreiten Seit` an Seit`, `Bet und Arbeit´ etc. Mitgebrachte Instrumente wie Klarinette, Gitarre und Quetschkommode kamen zum Einsatz.
Lieder der Arbeit und Arbeiterlieder verbinden mit den Traditionen der Arbeiterbewegung: Sie spiegeln auf besondere Weise die vielfältigen Kämpfe und Streiks der arbeitenden Menschen für Arbeitszeitverkürzung, Frieden, Völkerverständigung gegen den Krieg und ein «gutes Leben». Häufig sind diese Auseinandersetzungen der Anlass für die Entstehung neuer Lieder. Diese Lieder berühren uns und vermitteln auch heute, dass die «Gesellschaft der Freien und Gleichen» – jenseits der Herkunft, des Geschlechtes, der Hautfarbe oder Religion – notwendig ist.
Dem Marxisten und Künstler Bertolt Brecht verdanken wir nicht nur das «Solidaritätslied». Euge`ne Pottier dichtete als revolutionärer Pariser Stadtrat der Pariser Kommune von 1871 ein Lied, das alle politisch Bewegten kennen: «Die Internationale». Sie trug die Ideenwelt der Pariser Kommune in alle Welt und ist noch immer lebendig; nach diesem Lied kann nichts mehr kommen. Auf eine politische Besonderheit des Volksliedes «Auf einem Baum ein Kuckuck saß …», dass das Lied ein Freiheitslied ausweist, wurde hingewiesen.
Denkwürdig wird der Donnerstag bleiben. Wir TeilnehmerInnen mussten zur eigenen Liedproduktion schreiten. Eine Theorieeinheit «Wie schreibt man Lieder» bot Orientierung. Anlass, Thema und Gefühl sollten den Plan und Absicht der Textproduktion und musikalischen Form bestimmen. Dabei könnte auch auf Vorbilder zurückgegriffen werden. So entstanden ad hoc und anlassbezogen auch viele Arbeiterlieder auf gängigen Melodien (z.B. Volks- und Soldatenlieder). Silbenfall, Satzmelodie, Reime und Singbarkeit bestimmen auch Arbeiterlieder. Eine Arbeitsgruppe hauchte dem Bundeslied «Bet´und Arbeit`» neues Leben ein. Die Neukreationen mussten auch vor der Gesamtgruppe vorgetragen werden und waren abends einem größeren Publikum gefällig zu präsentieren. Eigenes Tun war notwendig und wir waren über die sehr guten Arbeitsergebnisse überrascht.
In der Gruppe und Gruppenarbeit wurde ein sehr solidarischer Umgang gepflegt. Alle verband eine gute gewerkschaftliche Orientierung. Der gesetzlich zustehende Bildungsurlaub fand in der malerisch bei Göttingen gelegenen Akademie Waldschlösschen in Gleichen bei Göttingen statt. Die begeisterten TeilnehmerInnen wünschten sich zum Abschluss eine Neuauflage in 2026.
Bericht: Rüdiger Deißler und Thomas Ewald