Publikation Kapitalismusanalyse - Wirtschafts- / Sozialpolitik - Ungleichheit / Soziale Kämpfe Neoliberale Wohnungspolitik: Vom Ausverkauf in die Krise – zur Mieteroffensive?

Bericht einer Veranstaltung zum Thema der sich verändernden Bedingungen der Wohnungswirtschaft in aktuellen städtischen Prozessen.

Information

Erschienen

November 2011

Bestellhinweis

Nur online verfügbar

Am 06.10.2011 fand im Literaturcafé Taranta Babu in Dortmund eine Vortrags- und Diskussionsveranstaltung mit Knut Unger vom Mieterforum Ruhr statt, einem regionalen Zusammenschluss mehrerer lokaler Mieterverbände und -initiativen im Deutschen Mieterbund. Der Referent analysierte das Vorgehen und die Interessen unterschiedlicher Akteure in den aktuellen wohnungswirtschaftlichen Veränderungen.

Knut Unger skizzierte in seinem Vortrag die Bedingungen der Wohnungswirtschaft seit der Abschaffung der Wohnungsgemeinnützigkeit Ende der 1980er Jahre und der seither eingetretenen Strukturveränderungen. Seit den 2000er Jahren sind die kommunalen und unternehmensverbundenen Wohnungsbestände in den Fokus sog. neuer Finanzinvestoren gekommen. Diese haben kommunale (z.B. in Kiel, Wilhelmshaven, Dresden, Berlin), landeseigene (NRW) oder unternehmensverbundene Wohnungen (überwiegend im Ruhrgebiet) aufgekauft, ohne eine besondere Kenntnis der lokalen und regionalen Märkte zu haben (oder haben zu müssen). Anders als „herkömmliche“ Marktteilnehmer betrachten diese neuen Finanzinvestoren Wohnungen nicht stofflich, sondern allein aus einer abstrakten Verwertungssicht (die geradezu von der stofflich-konkreten Form absehen muss). Zwar ist die Verwertungsabsicht selbstverständlich auch das eigentliche Motivationsmoment der Marktaktivitäten privater Vermieter, doch steht dort das „Produkt Wohnen“ im geschäftlich-operativen Zentrum, was bei den neuen Finanzinvestoren letztlich nicht mehr der Fall ist.

Dies hängt u.a. mit der ursprünglich fehlenden Absicht zusammen, dauerhaft am Wohnungsmarkt aktiv zu sein; es ist vielmehr das inhärente Interesse dieser Akteure, innerhalb einer relativ kurzen Zeitspanne wieder aus diesem – oder irgendeinem anderen – konkreten Markt zu verschwinden und in dieser Zeit, eine maximale Verwertung erreicht zu haben. Erst nach dieser grundsätzlichen Feststellung lassen sich Geschäftsmodelle unterscheiden, die aus den Unternehmen „Hunter“ (mit sehr kurzfristigem Horizont) oder „Farmer“ (mit etwas längerem Horizont) machen.

Die neuen Akteure sind häufig genug namentlich nicht oder nicht besonders bekannt, es gibt nur eine kleine Zahl von Unternehmen, die aufgrund ihrer herausragenden Größe auch überregional bekannt sind; dazu zählen auf dem Immobilienmarkt vor allem: Gagfah, Deutsche Annington, Whitehall bzw. Goldman Sachs, Babcock Brown. Hinter diesen Unternehmen, die am Markt aktiv werden, stehen Private-Equity-Gesellschaften, die als Eigentümer über die Geschäftspolitik der Unternehmen (hier der Wohnungsunternehmen, Gleiches gilt für andere Branchen analog) entscheiden. Eigentümer der Deutschen Annington ist z.B. die britische Firma Terra Firma; die Gagfah befindet sich im Besitz der luxemburgischen Fortress. Regelmäßig sind die Geschäfts- und Besitzverhältnisse so kompliziert, dass im Einzelnen weder steuerlich noch praktisch nachvollzogen werden kann, wer tatsächlich in die (juristische) Pflicht zu nehmen ist.

Das „Eigenkapital“ dieser neuen Akteure (also der Private-Equity-Gesellschaften) wird gesammelt (sog. Private Equity Fonds). Geldgeber sind Pensionsfonds, sonstige institutionalisierte Nicht-Banken und Investment-Banken, Einzelpersonen usw. Über die so eingesammelte Menge Geld hinaus werden am normalen Geldmarkt Kredite bei Geschäftsbanken aufgenommen. Das Verhältnis „Eigenkapital“ zu Fremdkapital beträgt normalerweise etwa 15-20 zu 80-85. Mit diesem großen Anteil kreditfinanzierter Kapitalausstattung wird der sog. Leverage-Effekt (Hebel-Effekt) produziert, der dazu führt (bzw. dazu führen soll), dass auch bei insgesamt geringen Renditen die Eigenkapitalrendite beträchtlich ist. Tatsächlich erwarten die Geldgeber (ohne die der Private Equity Fonds gewissermaßen nicht zu füttern wäre) eine Verzinsung des eingebrachten Kapitals von um die 25% pro Jahr. Für diese außerordentliche Rendite geben sie der geschäftsführenden Private-Equity-Gesellschaft für die Dauer einer vereinbarten Zahl von Jahren (üblicherweise zwischen fünf und sieben) weitgehende Handlungsfreiheit und sind dabei durchaus zu erheblichen Risiken bereit, die zu einer weiteren Prekarisierung des Gesamtvorgangs führen. Darüber hinaus ist (wie das oben schon angedeutet wurde) der „Exit“ immanenter Aspekt dieses Geschäftsmodells. Ohne einen von vornherein ins Auge gefassten Ausstieg aus dem Markt funktioniert es nicht. Dieser Exit kann z.B. als Börsengang oder als Insolvenz organisiert werden. Bis dahin gilt es, den Cash Flow stabil zu halten und so dafür zu sorgen, dass am Ende die Renditeversprechungen erfüllt werden können. Danach wenden sich die Private-Equity-Gesellschaften neuen Märkten zu und beginnen das Spiel von vorn.

Es ist immanentes Moment der so konstituierten Akteurskonstellation und Geschäftsgrundlage, dass die am Wohnungsmarkt auftretenden Unternehmen einerseits die Bewirtschaftungskosten senken und die Einnahmen steigern. Dies führt in der Konsequenz (und keineswegs zufällig oder alternativ zu anderen Strategien zu denken, sondern notwendig und systemimmanent) zu reduzierten Investitionen in die Wohnungen (Instandhaltungs- und Modernisierungsaufwendungen), zu schlechteren Arbeitsbedingungen der in diesen Unternehmen beschäftigten Personen (z.B. über Auslagerungen an externe Service-Gesellschaften, Entlassungen, Arbeitsintensivierung), aber auch der beauftragten Handwerksbetriebe, denen gegenüber die lokale Marktmacht preisdrückend ausgespielt wird. Einziges Druckmittel der „Kunden“, also der Menschen, die als MieterInnen in den Wohnungen dieser Unternehmen leben, ist der Auszug, der einnahmemindernd wirkt, weil die Wohnung so wenigstens für kürzere, in schwierigen Lagen und insgesamt entspannten Märkten auch für längere Zeit leer steht. Dies geht zu Lasten des Cash Flow und wirkt damit unmittelbar negativ auf die Verwertungsbedingungen der Unternehmen – ganz aktuell führt dies zu einer Abwertung der Annington und der Gagfah durch die Rating-Agenturen, für die es zunehmend unwahrscheinlich ist, dass eine vollständige Bedienung der in den nächsten Jahren zur Prolongation anstehenden Kredite erfolgt.

Es steht also zu befürchten, dass wir absehbar mit insolventen Unternehmen und daher vernachlässigten Wohnungen (bis hin zu „Schrottimmobilien“) zum Nachteil der dort lebenden Menschen konfrontiert sind. Gerade angesichts dieser evidenten Gefahr ist es umso wichtiger, geeignete Formen des politischen Widerstands gegen diese letztlich politisch gewollten und ermöglichten Geschäftspraxen zu entwickeln. Um diesen Punkt ging es in der Debatte, die sich fließend an den Vortrag anschloss. Gemeinsam mit den Mieterinteressenvertretungen, den zivilgesellschaftlichen und den politischen Akteuren innerhalb und außerhalb der Parlamente gilt es, rechtzeitig und hinreichend deutlich zu machen, dass die weitere Privatisierung von der Daseinsvorsorge zugehörigen Lebensaspekten genauso wenig toleriert wird wie die weitere Auspressung einer sowieso schon unter Prekarisierungs- und Marginalisierungsdruck stehenden Bevölkerung. Die momentan auch in den Parlamenten denkbare Mehrheit für eine solche sich gegen die Gesetze der Schröder-Fischer-Regierung wendende Position sollte zum Anlass genommen werden, Koalitionspartner zu suchen und eine Forcierung der notwendigen Schritte zu betreiben, darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass mindestens die Gefahr einer voluntaristischen (bzw. in anderen Worten einer populistischen) Positionierung besteht, die so unverhofft wie sie gekommen ist auch wieder verschwinden kann. Die kommunalen Vertreter haben erst im letzten Jahr unter dem Eindruck der Krise erneut bestätigt, dass bei geeigneter Gelegenheit der Verkauf weiteren kommunalen Eigentums (darunter auch die sich im kommunalen Besitz befindlichen Wohnungsbestände) angestrebt wird. Dagegen gilt es, mit Entschiedenheit vorzugehen.

 Die Veranstaltung kann angesichts der Komplexität des Gegenstands und des Niveaus von Vortrag und Debatte rundherum als erfolgreich bezeichnet werden. Wir werden das Thema auf jeden Fall wieder aufgreifen und die Debatte fortsetzen.