Publikation Staat / Demokratie - Soziale Bewegungen / Organisierung Betriebssysteme und die Krise der Demokratie: Was lernen wir aus dem Aufstieg der Piraten?

Standpunkte 13/2012 von Helge Meves und Tobias Schulze

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Standpunkte

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August 2012

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Häufig wird den Piraten vor allem eine Rolle als zentraler netzpolitischer Akteur zugeschrieben. Auch gelten sie als Vertreter eines moderneren Liberalismus. Die Piraten beschreiben sich selbst als ideologiefrei und jenseits der klassischen Links-rechts-Koordinaten des politischen Systems verortet. Das Erstarken der Piraten ist aber vor allem als spezifisches Phänomen des deutschen Parteiensystems in einer zunehmend differenzierten Gesellschaft und als Ausdruck der gegenseitigen Entfremdung von Parteien und Bürgerinnen und Bürgern zu analysieren. Zudem wurzeln ihre politischen Werte, Konzepte und das Organisationsverständnis in Kulturtechniken des Internet. Insofern wirft der Erfolg der Piratenpartei für ihre politische Konkurrenz viele Fragen auf. [...]

Kaum eine Äußerung machte eine solche Karriere wie das Statement der ehemaligen Politischen Geschäftsführerin Marina Weisband in der Bundespressekonferenz am 5. Oktober 2011: «Wir wollen die Antworten von den Leuten. Wir wollen sie prinzipiell involvieren. Und in diesem Sinne haben wir eigentlich nicht bloß ein Programm anzubieten, sondern ein Betriebssystem.»

Diese Formulierung spielt nicht nur mit einem technischen Modewort, sondern setzt auch das zugrunde liegende technische Verständnis voraus: Ein Betriebssystem entlastet die Anwender davon, sich mit den Details der Hardware beschäftigen zu müssen. Es verwaltet die auf dem Rechner ablaufenden Prozesse und ist insofern ein Mittler zwischen den physikalischen Bestandteilen und den auf ihnen ausgeführten Programmen.

Die Piratenpartei will gemäß dieser Metapher zwar nicht auf ein Programm verzichten, möchte aber gleichzeitig mehr als ein Programm. Das politische System der Bundesrepublik ist in dieser Metapher die Hardware. Die institutionellen Rahmenbedingungen wie Parteiendemokratie, Lobbyverbände, soziale Bewegungen und zivilgesellschaftliche Akteure und ihre Verfahren und gesetzlichen Regelungen sind quasi Anwendungsprogramme. Mit der Metapher vom neuen Betriebssystem ist gemeint, diese Anwendungsprogramme neu zu konfigurieren und transparent zu machen, um so das politische System zu verbessern. Die Bürgerinnen und Bürger selbst sollen diese Programme optimieren bzw. neu erarbeiten. Dafür sind die Piraten lediglich Mittler. [...]

Eine Erkenntnis aus der Attraktivität der Piraten könnte lauten, sich weniger mit weltanschaulich begründeten als vielmehr mit interessegeleiteten Initiativen, Projekten und Kampagnen in den politischen Diskurs zu begeben – natürlich ohne in prinzipienlosen Populismus zu verfallen. Dazu gehört es, zu gesellschaftlichen Konflikte linke Antworten zu entwickeln, statt sich umgekehrt erst auf ein zu erreichendes Ziel festzulegen, um danach gesellschaftliche Konflikte im Sinne dieses Ziels zu instrumentalisieren.

Benötigt wird neben einer klaren Analyse von Zielgruppen und Bündnispartnern die Abkehr vom Glauben, dass fachpolitische Kompetenz oder die glaubwürdig linke Position jeweils für sich ausreichend sind für Akzeptanz, Zustimmung und Erfolg. Bisher mangelt es der Linkspartei vor allem an Kommunikations- und Handlungskompetenz. [...]

Dass auch hinsichtlich Transparenz und Mitbestimmung die Zuschreibungen für die Piraten weit über dem liegen, was sie bisher tatsächlich politisch leisten, stellt eine Chance besonders für DIE LINKE dar. Das von der neuen Parteiführung der LINKEN vorgelegte 120-Tage-Programm beinhaltet als einen Schwerpunkt «eine Offensive für das Öffentliche». Bislang wird hier vor allem die Eigentums- und Zugangsfrage betont. Daneben müssen aber auch die Fragen von Transparenz und Mitbestimmung eine größere Aufmerksamkeit bekommen.