Publikation Westeuropa - Staat / Demokratie - Stadt / Kommune / Region - Commons / Soziale Infrastruktur Dorfbewegung – warum und wie?

RLS-Papers von Kurt Krambach.

Information

Reihe

RLS Papers

Autor

Kurt Krambach,

Erschienen

Oktober 2013

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Nur online verfügbar

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Die Frage nach dem Überleben einer wachsenden Zahl von Dörfern ist seit längerer Zeit in den meisten europäischen Ländern in den Blickpunkt gerückt. Vor einigen Jahrzehnten erlangte das vor allem in Südeuropa Aufmerksamkeit. In Mittel- und Osteuropa spielte diese Frage in den Medien und der Politik in den letzten Jahrzehnten vor dem Hintergrund eines allgemeinen Wachstums, der damit verbundenen Entwicklung der Infrastruktur und zunehmender Mobilität eine zunehmende Rolle.

Natürlich begreifen die Dorfbewohner sehr gut, was es bedeutet, wenn die letzte Schule oder der letzte Kaufladen aus dem Dorf verschwinden. Die Reaktion der Dorfbewohner ist unterschiedlich, aber allgemein wird diese Art Entwicklung energisch zurückgewiesen.

In etlichen Dörfern warten die Bewohner auf Hilfe; andere suchen nach Partnern, um die Lage zu verbessern. In mehreren Ländern entstanden Dorfaktionsgruppen oder andere Dorforganisationen, die sich zum Ziel setzten, das Überleben ihres Dorfes durch eigene Aktivitäten und Projekte zu sichern. Daraus entstanden Bewegungen, in denen sich Dörfer regional oder landesweit zusammenschlossen.

Bisher wirken in Europa schon 25 solche Dorfbewegungen. Warum und wie sie entstanden sind, wie sie funktionieren und strukturiert sind, wird in dieser Schrift vor allem anhand der bereits in den 1970er bzw.1980er Jahren entstandenen Bewegungen in Finnland, den Niederlanden und Schweden sowie am Beispiel Estlands sachkundig und verständlich beschrieben. In diesen Ländern gehören fast alle
Dörfer der Dorfbewegung an. Diese Bewegungen haben dazu beigetragen, dass die Dörfer als zukunftsträchtige Existenzform auf dem Lande betrachtet werden. Die Dorfgemeinschaften wurden überall, insbesondere dort, wo Dörfer zu Teilen größerer Gemeinden geworden waren, darin unterstützt, die Geschicke ihres Dorfes in die eigenen Hände zu nehmen, aber auch schöpferisch mit ihrer Gemeinde zusammenzuarbeiten. Dadurch wurden vor Ort vielfältige Formen der direkten und partizipativen Demokratie entwickelt und zugleich die kommunale Selbstverwaltung gestärkt. Durch bürgerschaftliches Engagement tragen die Dorfgemeinschaften selbst maßgeblich zur Erhöhung der Lebensqualität in ihren Dörfern bei und dadurch werden jährlich materielle Werte geschaffen, die ein Vielfaches der eingesetzten Fördermittel ausmachen.

Der Autor tritt dafür ein, den gefährdeten Dörfern mehr Aufmerksamkeit zu schenken. Er kennzeichnet Dorfbewegungen als eine wichtige Herangehensweise an die Lösung der Probleme, wie sie heute einer aktiven Gesellschaft entspricht. Er weist nach, gestützt auf eigene empirische Untersuchungen und seine 15-jährigen Erfahrungen als Mitglied des erfolgreichen Dorfvereins Ökospeicher e. V. in Wulkow (b.
Frankfurt/Oder), welche realen Möglichkeiten (und auch Grenzen) Dorfgemeinschaften haben, die Geschicke ihres Dorfes selbst zu bestimmen bzw. mitzubestimmen, zum Beispiel durch eigene, mit dem Gemeinde abgestimmte Dorfpläne oder Projektpläne; welche Möglichkeiten der Selbstgestaltung der dörflichen Lebensverhältnisse durch bürgerschaftliches Engagement sie haben und wie sie dazu ihre eigenen Kräfte im Dorf organisieren können. Die Möglichkeiten dieser drei Elemente der zivilgesellschaftlichen «Selbstorganisation» der Dorfgemeinschaften – Selbstbestimmung, Selbstgestaltung und Bündelung der lokalen Akteure – zu fördern, kennzeichnet er zu Recht als die wesentliche Aufgabe und ein Alleinstellungsmerkmal von Dorfbewegungen.

Zugleich beschreibt er, wie die Dorfbewegungen unter anderem in den genannten Ländern gesellschaftliche Anerkennung als eine neue zivilgesellschaftliche Kraft gewonnen haben, die als eine Lobby der Dörfer wirken, aber auch von Staat finanziell gefördert werden und gleichberechtigte Partner von anderen Nichtregierungsorganisationen wie z.B. Bauern-, Genossenschafts- und Gemeindeverbänden geworden sind. Beispiele dafür sind die zweijährlichen Ländlichen Parlamente – landesweite Treffen von bis zu tausend Dorfakteuren – die hier zum Erfahrungsaustausch zusammen kommen, Begegnungen mit Politikern auf Augenhöhe haben und Empfehlungen an die Politik verabschieden.

Der Autor hat sich unermüdlich darum bemüht, nachdem er um die Jahrtausendwende Kontakt mit den Dorfbewegungen bekommen und seither an deren Ländlichen Parlamenten und internationalen Erfahrungsaustauschen teilgenommen hat, die Idee, die Ziele und Erfahrungen der Dorfbewegungen auch in Deutschland bekannt zu machen. Seit mehr als zehn Jahren hat er als Leiter des Gesprächskreises Ländlicher Raum der Rosa-Luxemburg-Stiftung Veranstaltungen zu diesen Themen durchgeführt und dazu auch Gäste von Dorfbewegungen eingeladen. 2004 war er im Land Brandenburg an der Gründung einer Arbeitsgruppe Lebendige Dörfer beteiligt,
die seither bemüht ist – orientiert an den Erfahrungen der europäischen Dorfbewegung – das Brandenburgische Netzwerk für Lebendige Dörfer zu entwickeln. Es wurde erstes deutsches regionales Mitglied der Vereinigung der Dorfbewegungen in Europa ERCA (European Rural Community Association) und der Autor wurde 2009 in den Vorstand von ERCA gewählt. Wegen seiner Bemühungen um eine Dorfbewegung in Deutschland und seine internationalen Aktivitäten, darunter seine Mitwirkung am Konzept des ersten Europäischen Ländlichen Parlamentes, ist er in der internationalen Dorfbewegung eine geachtete Persönlichkeit. 2011 hat er im Auftrag von ERCA und als Leiter des Gesprächskreises Ländlicher Raum der Rosa-Luxemburg-Stiftung eine Internationale Dorfkonferenz1 in Berlin vorbereitet, die gemeinsam mit der ERCA veranstaltet wurde, um dem zivilgesellschaftlichen Anliegen nachzukommen, die Erfahrungen der Dorfbewegungen publik zu machen und möglicherweise Anstöße zu einer Dorfbewegung in Deutschland zu geben. Hauptsächliches
Resultat der Konferenz war die Bildung einer Initiativgruppe für eine Dorfbewegung in Deutschland. Die europäische Dorfbewegung beobachtet und unterstützt diese Entwicklung mit großem Interesse.

Mit dem Beginn der Arbeit dieser Initiativgruppe endet die Darstellung der Bemühungen um eine Dorfbewegung in der Bundesrepublik Deutschland. In dieser Arbeit über Dorfbewegungen erweist sich Prof. Dr. Kurt Krambach, der sich seit sechzig Jahren als Agrarsoziologe beruflich und ehrenamtlich mit der Förderung der Dorfentwicklung befasst hat, erneut als eine Kapazität auf dem Gebiet der ländlichen
Entwicklung. Diese Schrift ist zweifellos geeignet, die Entwicklung einer Dorfbewegung in Deutschland zu unterstützen.

Prof. Drs. Bert Broekhuis, Berlin, September 2013
Präsident der Vereinigung der Dorfbewegungen in Europa
(European Rural Community Association, ERCA)

Dokumentation der Internationalen Dorfkonferenz 2011

Gesprächkreis Ländlicher Raum