Publikation Gesellschaftliche Alternativen - Sozialökologischer Umbau - International / Transnational - Ernährungssouveränität Besser anders - anders besser

Mit Agrarökologie die Ernährungswende gestalten.

Information

Agrarökologie schafft Alternativen zur kapitalintensiven, von Konzerninteressen geleiteten industriellen und auf Export orientierten Landwirtschaft. In ihr finden Bäuerinnen und Bauern Anerkennung als zentrale Akteure im Ernährungssystem, es geht um die Stärkung lokaler Märkte und die Förderung der Unabhängigkeit von fossilen Energien, Chemie und Gentechnik. Agrarökologie arbeitet mit der Natur statt gegen sie.

Die vorliegende Broschüre setzt sich damit auseinander, wie Landwirtschaft und Ernährungsystem besser organisiert werden können und stellt praxiserprobte Alternativen vor. Im Mittelpunkt stehen dabei agrarökologische Anbaumethoden, innovative Vermarktungswege und Initiativen für mehr Mitspracherechte in der Gestaltung lokaler Ernährungssysteme.

An Beispielen wird gezeigt, wie Bäuerinnen und Bauern die Bodenfruchtbarkeit und natürliche Ressourcen schützen, die Vielfalt auf den Äckern und den Tellern fördern und wie durch neue Vermarktungswege viele Menschen mit gesunden Lebensmitteln versorgt werden können. Die Broschüre analysiert, welche Alternativen bereits erfolgreich umgesetzt werden und welche politischen Instrumente nötig sind, um agrarökologische Ansätze zu unterstützen und weiter zu verbreiten. Sie will damit einen Beitrag für eine sozial gerechte und ökologisch nachhaltige Neuorientierung in der Landwirtschaft leisten.

Die Broschüre ist eine gemeinsame Publikation von INKOTA-netzwerk, Brot für die Welt, FIAN, Forum Umwelt und Entwicklung, Heinrich-Böll-Stiftung, MISEREOR, Oxfam und der Rosa-Luxemburg-Stiftung.

Vorwort

Die 68. Vollversammlung der Vereinten Nationen hat das Jahr 2016 zum «Internationalen Jahr der Hülsenfrüchte» erklärt. Was? Hülsenfrüchte? Selten hat das Jahresthema der Vereinten Nationen so wenig Staub aufgewirbelt wie in diesem Jahr, gerade mal eine Hand voll Agrarexpert*innen wussten davon. Dabei werden mit diesem Thema viele gegensätzliche Bevölkerungsgruppen im Norden wie im Süden der Erde angesprochen. Denn was zum Beispiel vereint gesundheitsbewusste Veganer*innen in den Metropolen des Nordens mit den Kleinbauern und Kleinbäuerinnen in den ländlichen Gebieten des Südens? Das Lob auf die Hülsenfrüchte.

Schlendert man durch die Bauernmärkte in Peru, Sambia oder Indien, bietet sich überall ein ähnliches Bild: Reihenweise Stände mit Säcken voller Linsen, Kichererbsen, Bohnen und Erbsen. Bunt sind die Farben, hellrot, braun oder knallgelb die Linsen, beige die Kirchenerbsen und schwarz die getrockneten Bohnen. Bei uns werden sie verpackt verkauft, und gelten als hip. Aus dem «Arme-Leute-Essen» wie Linsensuppe und Erbseneintopf sind Feinschmeckereien geworden. Mit ihrem hohen Eiweißgehalt können Hülsenfrüchte Fleisch ersetzen. Kleinbauern und Kleinbäuerinnen schätzen sie, weil sie die Bodenfruchtbarkeit befördern und damit Düngemittel überflüssig machen. Gesunde Ernährung auf der Konsumseite sowie die Förderung von Biodiversität statt dem Verbrauch fossiler Ressourcen auf der Produktionsseite: Hülsenfrüchte
im Mischanbau sind ein schönes Beispiel für die Agrarökologie.

Man kann es so sagen: Agrarökologie ist auch der Versuch, die Flucht der Landbewohner*innen in die Megastädte einzudämmen und die Landwirtschaft vor dem Ruin der Industrialisierung zu bewahren. Blenden wir zurück. Das «Zeitalter der Extreme» nannte der britische
Historiker Eric Hobsbawm das 20. Jahrhundert mit seinen Revolutionen und Massakern. Doch was die moderne Welt in seinen Augen für immer von der Vergangenheit unterscheiden wird, ist der weltweite Niedergang der bäuerlichen Landwirtschaft. Eine jahrtausendealte Epoche ist zu Ende gekommen, in der die überwiegende Mehrheit der Menschen davon lebte, Lebensmittel anzubauen, Tiere zu halten oder als Fischer*innen den Lebensunterhalt aus dem Meer zu gewinnen.

Tatsächlich haben die Europäer*innen, die US-Amerikaner* innen und die Japaner*innen mehr oder weniger aufgehört, das Land zu bestellen. Weite Gebiete Lateinamerikas, Asiens und Afrikas sind dagegen noch immer stark von landwirtschaftlicher Arbeit geprägt. Die Zahl der Menschen, die weltweit in der Landwirtschaft tätig sind, ist in den letzten 50 Jahren aufgrund der Bevölkerungsentwicklung sogar von 1,5 auf 2,5 Milliarden gestiegen. Dennoch deutet vieles darauf hin, wenn sich der gegenwärtige Trend fortsetzt, dass die (klein)bäuerlichen Gesellschaften im Süden von Verarmung und Niedergang bedroht sind.

Seit mehr als einem halben Jahrhundert ist Armutsbekämpfung aus der globalen Rhetorik nicht wegzudenken. Doch selten wird die Grundfrage gestellt: Armutsbekämpfung – aber durch wen? Die einen – zum Beispiel die Weltbank und viele Regierungen – beantworten sie so: Durch Expert*innen, Geldgeber und Unternehmen, die von außen gerufen werden. Armutsüberwindung ist aus dieser Perspektive im Wesentlichen ein Investitionsprogramm. Die anderen – zum Beispiel zivilgesellschaftliche Organisationen und Bewegungen – beantworten die Frage so:

Durch die von Armut Betroffenen selbst, und dafür müssen ihr Gestaltungsspielraum erweitert und ihre Rechte gestärkt werden. Hierbei handelt es sich um ein Ermächtigungsprogramm, das auf große und kleine Machtverschiebungen zielt. Arme sind verhinderte Akteure und
nicht zu kurz gekommene Versorgungsempfänger*innen.

Hier setzt das Konzept der Agrarökologie an, das ausführlich in dieser Broschüre beschrieben wird. Es plädiert für eine bäuerliche Landwirtschaft und ist skeptisch gegenüber Agrarkonzernen. Es tritt für Vielfalt und gegen Monokultur ein und gibt lokalen Märkten den Vorzug gegenüber dem Weltmarkt. Und es richtet sich gegen die Abhängigkeit von Erdöl und Chemie, aber befürwortet die Integration von Würmern, Insekten und Tieren. Abgesehen von der größeren Nähe zur Natur bedeutet Agrarökologie größere Nähe zu Menschen – als vielseitige*r Arbeiter*in, als selbstständige*r Erzeuger*in und als Marktteilnehmer*in zum Verkauf verarbeiteter Waren. Wenn Agrarökologie gelingt, dann wird klar, was die lateinische Sprache immer schon wusste – dass ein geheimer Zusammenhang besteht zwischen humus und humanum.

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