Impressionen vom Europäischen Sozialforum in Athen

von Olaf Stuve

Allgemeine Eindrücke

Meine erste Frage, die sich mir bei ESF 2006 in Athen als Erstbesucher auf einem Sozialforum auf welcher Ebene auch immer, stellte war: Für welche Art Politik(verständnis) stehen diese Foren?
Bei allen Einschränkungen, die quasi im vor herein bei Großveranstaltungen gemacht werden, so war die Präsentation eines Politikverständnisses, das mehr oder weniger auf dem Verhältnis agitierender Parteien und agitierter Personen beruht, sehr erschränkend überraschend. In den (Messe)Hallen wurden Merchandising-Artikel von mehr oder minder hoher Qualität feil geboten.  War man auf einer falschen Veranstaltung oder in einer verkehrten Zeit. Ich dachte, die einfache Agitation als Form der Politik gäbe es nicht mehr. Leider bestätigten sich Eindrücke in dieser Richtung auf Seminarveranstaltungen. Von zahlenmäßig groß besetzen Podien wurden vereinfachende Welt-Erklärungen ausgesprochen oder Realitätsbeschreibungen gegeben, die hochtrabend als Analysen bezeichnet wurden.  Kernaussage: Das neoliberale Privatisierungsprojekt hat negative Folgen für einen Großteil der Bevölkerungen. Wir müssen was dagegen tun. Soweit so gut. Der zweite Eindruck dieser Großveranstaltung: Die logistische Leistung z.B. der Übersetzer/innen war großartig, wenn die Technik doch auch den ein oder anderen Strich durch die Rechnung machte. Die Babels (Übersetzer/innen) selbst waren toll und kamen dem Fisch aus Per Anhalter durch die Galaxis nah. Die Netzwerke, die sich im Rahmen von Sozialforen gebildet haben, können die Begegnungen gut zur Weiterentwicklung nutzen. Kleinere Netzwerke bilden sich und größer Netzwerke entwickeln sich im Rahmen der Foren weiter. Eine kleine Vernetzung haben wir selber für das Jugendbildungsnetzwerk mitgestaltet. Es ist gut, im Rahmen solcher Foren die eigenen politischen Arbeitfelder auf internationaler Ebene einzuordnen. Die interessanten Fragestellungen entwickeln sich, wenn Personen/Gruppen/Institutionen mit völlig unterschiedlichen historischen und auch aktuellen Gegebenheiten inhaltlich an ähnlichen, manchmal gleichen Punkten angelangt sind. Die Versammlung der Bildungsnetzwerkes machte deutlich, wie europaweit die Beschäftigung mit der Frage der Zugangsmöglichkeiten zu Bildung eines der zentralen politischen Felder ist, die die Frage mitbestimmt, ob eine andere Welt möglich ist, an der alle auf ihre Art und Weise aktiv beitragen und teilhaben.
Hier gibt es für uns als Jugendbildungsnetzwerk ganz sicher sehr interessante Anknüpfungspunkte:
  • die Analyse einer europaweiten Bildungspolitik im Anschluss an EU-Richtlinien
  • die Entwicklungen von wirkungsvollen eigenen Strategien und Zugängen zu Bildung im Austausch mit anderen 
  • Gemeinsame Bildungspolitik
  • der Austausch über didaktisch methodische Zugänge
  • Austausch über inhaltliche Schwerpunkte


Der Workshop

Ein Zugang vom Rande aus kann sich vorteilhaft auswirken. So bei dem workshop: Die Rolle von Bildung in politischen und sozialen Bewegungen. Die Anlage des workshop war wie folgt: 1. Wir wollten ein Treffen organisieren, dass versucht, mit dem Sprach/Verständigungsproblem so umzugehen, dass sich alle mit ihren mehr oder weniger gut ausgebildeten Sprachkompetenzen (in englischer Sprache) einbringen können. Die bewusste Entscheidung, auf ein Übersetzung zu verzichten sollte zu einem direkten Umgang mit Sprach- und Verständigungsschwierigkeiten führen.  
Für uns schien diese Form angemessen für einen Austauschprozess in mehrsprachigen Zusammenhängen. Der Versuch ist gut geglückt. Es haben sich alle aktiv eingebracht, auch wenn die englische Sprache Mühe bereitet hat. 2. Zur Unterstützung der aktiven Beteiligung aller Beteiligten haben wir auf großen Flip-Charts folgende Fragen vorbereitet: - Mit welcher Zielgruppe arbeitet ihr? - Mit welchem Format (Seminar, Aktionen, Abendveranstaltungen, Projekte etc.) arbeitet ihr? - Was sind eure Ziele in der Bildungsarbeit? - Wie ist der politische und institutionelle Kontext, in dem ihr arbeitet?
3. Wir wollten ein Treffen, durch dass ein praktisch orientierter Vernetzungseffekt ermöglicht wird. Der Austausch über Zugänge in der Bildungsarbeit und den damit verfolgten Zielen sollte nach Möglichkeit am Ende auf das Sichtbarmachen einer möglichen Zusammenarbeit im Rahmen europäischer Bedingungen hinauslaufen. Diese Zusammenarbeit konnte sich nach unseren Vorstellungen zwischen einen inhaltlichen Austausch bis hin zu Kooperationen, die eine gemeinsam europäische Finanzaquise beinhalten, bewegen. Um dies zu ermöglichen hatten wir von vornherein eingeplant ein Folgetreffen im Abstand von etwa einen halben Jahr vorzuschlagen.
Was dann? Ein workshop am Rande einer Großveranstaltung wie dem ESF hat natürlich auch seine Tücken. Wir sind an einen Ort verwiesen wurde, der im Grunde ein Nicht-Ort war, ein Eingangsbereich zu einem Veranstaltungsort, ein Durchgang, eine kleine Trinkhalle vom Vorabend. Am Rande sind aber Veränderungen schnell vornehmbar, so dass ein Umzug in eine schönere Ecke nicht allzu schwierig gewesen ist und wir einen gut Platz hatten. Jedoch kam zunächst kaum jemand an den Rand oder in unsere schöne Nische. Wir waren zu dritt, Juliane, Ronald und ich, dann kam noch ein junger Mann aus Berlin von den Falken und eine österreichische Ministerialbeamtin. Unsere Überlegungen zum Umgang in einer mehrsprachigen Gesellschaft hatten sich zunächst als überflüssig herausgestellt. Dann mussten wir uns mit dem Gedanken beschäftigen, den workshop in dieser Größe und Zusammensetzung ausfallen zu lassen. Die Ministerialbeamtin ging, ein Frau von WIDE (Network Women in Developement Europe; http://www.eurosur.org/wide/home.htm) kam und wir hatten einen kurzen, intensiven Austausch über mögliche Überschneidungspunkte in Arbeit mit ihr. Sie ging jedoch auch wieder, und es kamen noch drei junge Leute aus Polen und spätere weitere Personen, die alle blieben und sich einmischten. Als die drei Polen/innen hinzugekommen waren und Lust hatten, den workshop zu machen, war für uns auch klar, dass das der Startpunkt ist. Eine gute Entscheidung, denn es hat im Folgenden einen guten Austauschprozess zwischen den Beteiligten gegeben.
Wir waren froh, dass wir es gemacht hatten. Wäre er ausgefallen, wären wir alle drei wohl ziemlich frustriert gewesen und nicht nur über den Umstand selbst, sondern vom ESF insgesamt.
Für die „Besucher/innen“ des workshops war es einer der wenigen Orte, an dem sie für sich eine aktive Auseinandersetzung gefunden haben. Und es sind mindestens zwei konkrete Kooperationen zwischen dem Jugendbildungsnetzwerk und den Beteiligten entstanden.
Der österreichische Vertreter von Aktion Kritischer Schüler/innen wird zur Netzwerkstatt eingeladen und mit den polnischen Vertreter/innen ist vereinbart worden, dass eine Zusammenarbeit entwickelt wird, was zum Beispiel für uns eine gute Möglichkeit bietet auf das Auslandbüro der Rosa Luxemburg Stiftung in Polen mit einem Vorschlag heranzutreten. Für uns war der workshop inhaltlich, konzeptionell und von den Ergebnissen am Ende ein voller Erfolg. Der randständige Charakter hatte sich auf diesem ESF als Vorteil herausgestellt. Jedoch bleibt in Bezug auf das Vorfeld zu kritisieren und ist beim nächsten Mal besser zu machen: - Man müsste auf jeden Fall pünktlich da sein, um eventuell interessante und interessierte Personen zu erreichen. Entweder hört man noch von der einen oder anderen Person oder geht in Veranstaltungen zum Themenkomplex und bewirbt mit Flyern die eigene Veranstaltung. - Die Ankündigung im Gesamtprogramm sowie auch auf dem Flyer des europäischen Netzwerk, in dem die Rosa-Luxemburg-Stiftung ihre Veranstaltungen extra aufgeführt hatte (Transform), war keine Kurzbeschreibung des workshops, sondern nur der Titel. Eine Kurzbeschreibung des Vorhabens sollte jedoch auf jeden Fall mit in das Programm, damit der allgemeinen Unverbindlichkeit in den Veranstaltungen eine bewusste Entscheidung entgegengesetzt werden kann.

Verhältnis unseres workshops zum ESF

Ohne den eigenen workshop allzu über zu bewerten, würde ich sagen, dass es für einen beachtlichen Teil des gesamten Veranstaltungsprogramms positiv wäre, sich die eine oder andere didaktisch methodische Überlegung unseres workshop zu eigen zu machen: - nicht bloß technische sondern auch inhaltliche Umgangsweisen mit der Frage der Entwicklung von Fähigkeiten in einer mehrsprachigen Gesellschaft
- Möglichkeiten zur aktiven Beteiligung
- Austausch anstatt einseitige Erklärungsmuster
- Entwicklung von Formen, die an sich mehr Verbindlichkeit für den Arbeitsprozess erfordern
- Suche nach gemeinsamen Fragestellungen
- Diskussionen über eigene Strategien und Zugänge. Diese Konsequenzen knüpfen wieder an die Frage des Politikverständnisses der Foren an: Herrscht ein Verständnis mit mehr oder minder einseitigen Analysen der Verhältnisse vor, die einem „Publikum“ vermittelt werden oder sind die Foren ein Ort der multiperspektivischen Analyse von Wirklichkeit, in denen verschiedene Herrschaftsverhältnisse und deren Auswirkungen verschränkt miteinander gedacht werden und zugleich ihre Spezifik nicht verlieren. Hierfür sind Formen der Auseinandersetzung nötig, zu deren Entwicklung wir als Jugendbildungsnetzwerk etwas beizutragen hätten.

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