Frieden und Gerechtigkeit im Nahen Osten brauchen den Dialog

Der Gesprächskreis Frieden und Sicherheitspolitik der Rosa-Luxemburg-Stiftung zur Nahostkonferenz (3.-5. November 2006 in Berlin)

Der Gesprächskreis Frieden und Sicherheitspolitik der Rosa-Luxemburg-Stiftung zur Nahostkonferenz (3.-5. November 2006 in Berlin) Die Fraktion DIE LINKE im Deutschen Bundestag veranstaltet vom 3. bis 5. November 2006 in Berlin eine Nahost-Konferenz zum Thema: „Frieden im Nahen Osten. Für die Stärkung zivilgesellschaftlicher Lösungsansätze in Israel und Palästina“. Dies wird das repräsentativste Treffen von Friedenskräften aus Israel, Palästina und Europa nach dem Libanonkrieg sein. Mitglieder des Gesprächskreises Frieden und Sicherheitspolitik der Rosa-Luxemburg-Stiftung haben die Notwendigkeit einer solchen Konferenz bereits vor den jüngsten Ereignissen ausführlich diskutiert und unterstützen dieses Vorhaben nachdrücklich. Dafür sprechen vor allem folgende Gründe: 1. Der Nahost-Konflikt (das heißt der Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern) ist seit Jahrzehnten der zentrale Konflikt in der Region. An ihm machen sich auch die neuen Paradigmen der Internationalen Politik fest, die seit Ende des Ost-West-Konflikts zu einer Polarisierung zwischen „dem Westen“ und „dem Islam“ geführt haben – von Huntingtons „Kampf der Kulturen“ bis zu George W. Bushs „Krieg gegen den Terror“. In den Augen der arabischen und islamischen Welt, aber auch nach den Maßstäben des Völkerrechts (s. unten) betreiben die USA, aber auch „der Westen“, vor allem aber Israel eine Politik ungleicher Maßstäbe: Während das Existenzrecht Israels (zu Recht!) – abgesehen wohl vom derzeitigen iranischen Präsidenten und maßgeblichen Kräften innerhalb der Hamas – international anerkannt ist und nirgendwo mehr in Frage gestellt wird, existiert nach fast sechs Jahrzehnten des Konflikts der von den UN als Teil der Lösung geforderte palästinensische Staat noch immer nicht, trotz aller sowohl von israelischer Seite (Oslo) wie von der „internationalen Gemeinschaft“ (s. die UN, das „Quartett“ zur Umsetzung der Roadmap etc.) geforderten und anerkannten Prinzipien. 2. Die „besondere“ Freundschaft zwischen Deutschland und Israel. Zunächst stellt sich die Frage, ob Begriffe wie „Freundschaft“ auf große Kollektive wie Nationen oder Staaten übertragbar sind oder ob Staaten primär und grundsätzlich nach Interessen handeln, die sie im Rahmen politischer Konstellationen durchzusetzen suchen. Hinzu kommt, dass Staaten von Regierungen repräsentiert werden, die keineswegs notwendigerweise die Interessen der Gesamtheit der Bürgerinnen und Bürger vertreten. Dass die Beziehungen Deutschlands, das als Rechtsnachfolger des Deutschen Reiches – also gerade auch der Nazibarbarei – international agiert, zu Israel, das sich als Heimstätte aller Juden der Welt und als deren sichere Zufluchtstätte für den Fall neuer antisemitischer Gewalt wo auch immer auf der Welt versteht, von einer besonderen Verantwortung geprägt sein müssen, ist eine Selbstverständlichkeit: Der aus dem Grauen der deutschen Vergangenheit erwachsenen besonderen Gefühle überall in der Welt, aber gerade auch in Israel, muss deutsche Politik sich immer bewusst sein. Unterstellen wir aber für einen Augenblick das Freundschaftsparadigma und vergegenwärtigen uns nur den jüngsten Krieg im Libanon: Kann „Freundschaft“ die Unverhältnismäßigkeit und Völkerrechtswidrigkeit einer Kriegsführung rechtfertigen, die die Zerstörung eines Großteils der Infrastruktur des Libanon inkl. der Wasser-, Elektrizitäts- und Ölversorgung sowie des Tourismus durch einen Ölteppich vor der Küste, Vertreibung der Bevölkerung aus dem Südlibanon, bewusste Inkaufnahme hoher ziviler Opfer, die Verweigerung humanitärer Korridore zur Versorgung derjenigen, die nicht fliehen konnten, die vollständige Zerstörung der Schiitenviertel in den libanesischen Städten, wochenlange Blockade der Küste und der Flughäfen und Einsatz von Streubomben in Kauf nehmen? Erfordert „Freundschaft“ nicht auch Kritik und zumindest das Anmahnen von Verhältnismäßigkeit? Denn ganz offenkundig hat solche Kriegsführung nichts mehr mit dem in Art. 51 der UN-Charta verbrieften Recht auf Selbstverteidigung zu tun. Freundschaft beinhaltet keineswegs unkritische und bedingungslose Akzeptanz des Verhaltens eines Freundes, es impliziert auch Kritik oder Distanzierung von ethisch und politisch inakzeptablen Handlungen. Und das Freundschaftsparadigma geht im Falle von Kollektiven auch weiter: Eine linke Partei oder Bewegung, die sich dem Frieden, dem Ausgleich, der Völkerverständigung verpflichtet fühlt, kann nicht bedingungslos die Politik einer Regierung übernehmen und rechtfertigen und sich damit zugleich von den – (wie hierzulande auch) nicht die Mehrheit repräsentierenden – kritischen Stimmen und konsequenten Friedenskräften in diesem Lande absetzen. Dies käme der Anmaßung gleich, diese Kräfte im Namen der dortigen Regierungsmehrheit zu kritisieren und zu desavouieren. Die Solidarität mit den Friedenskräften in Israel als anti-israelisch oder gar antisemitisch zu bezeichnen, resultiert aus dem Fehler, einen Staat und seine Regierung als Repräsentanten eines so nicht existierenden Kollektivs wahrzunehmen: So als ob Kritik an der Kriegspolitik der Bush-Administration „antiamerikanisch“ oder an der Aufrüstungs- und Kriegspolitik der derzeitigen Bundesregierung gegen „die Deutschen“ schlechthin gerichtet wäre. 3. Die Eskalation der Gewalt. Gewalt gebiert Gewalt. Im Falle asymmetrischer Kriegsführung, die seitens des Staates Israel seit Jahren gegenüber der palästinensischen Bevölkerung betrieben wird, die unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten nicht akzeptablen „gezielten Tötungen“, bei denen regelmäßig der Tod vieler unschuldiger Opfer in Kauf genommen wird, die illegalen Landnahmen, die Errichtung der völkerrechtswidrigen Mauer auf den Resten der palästinensischen Gebiete, die z. T. seit Jahren in unter rechtsstaatlichen Bedingungen inakzeptabler „Administrativhaft“ eingekerkerten Menschen, die Zerstörung elementarer Infrastruktur wie insbesondere der Wasserversorgung im Gaza-Streifen etc. etc. begünstigen eine wechselseitige Eskalation der Gewalt, deren Formen – insbesondere seit den die zweite Intifada begleitenden unsäglichen Selbstmordattentaten – immer abscheulicher werden. Diese Eskalation der Gewalt hat dazu geführt, dass nirgendwo in der Welt heute Juden gefährlicher leben als in Israel, dem Staat, dessen erklärtes Ziel es ist, deren sichere Zufluchtsstätte zu sein. Die Sicherheit des einen kann nur gewährleistet werden, wenn auch die Sicherheit des Anderen gewährleistet ist. Diese Voraussetzung aber kann nur erreicht werden, wenn gegenseitige Anerkennung und Respekt der legitimen Interessen des jeweils anderen gesichert sind. Nirgendwo kann dies besser verdeutlicht werden als gerade am Nahostkonflikt: Bis zum Beginn des Oslo-Prozesses galt die PLO als Terrororganisation. Mit ihrer Anerkennung als legitime Vertretung des palästinensischen Volkes anerkannte die PLO das Existenzrecht Israels. So könnte die Anerkennung der derzeitigen palästinensischen Regierung, die von der Hamas gestellt wird, als - neben dem Libanon - einziger demokratisch gewählter Regierung im gesamten arabischen Raum auch deren Anerkennung Israels zur Folge haben. Dies ist eine Frage von Verhandlungen und des Austrags rationaler Interessen, nicht von wechselseitigen propagandistisch motivierten Hass-Erklärungen.[1] Wer von Frieden spricht, muss der Eskalation der Gewalt ein Ende setzen wollen. Dies geht nicht durch Steigerung der Gewalt, sondern nur durch De-Eskalation und Verhandlungen zwischen den Kräften, die die jeweilige Bevölkerungsmehrheit repräsentieren. Dies war so in den Dekolonisationskonflikten (erinnert sei hier nur an Algerien und Vietnam), dies ist auch so im israelisch-palästinensischen Konflikt. Das fordern vor allem auch zahlreiche internationale jüdische wie israelische Friedensgruppen bis hin zu der von der israelischen Linken (und Teilen der PLO) getragenen „Genfer Initiative“. 4. Völkerrecht. Es ist kein Zufall, dass das Völkerrecht als Instrument zur Verhinderung von Gewalt in den Internationalen Beziehungen nach dem Zweiten Weltkrieg – also dem Ende der Nazi-Barbarei – eine ungeheure Entwicklung erfahren hat, basierend u. a. auf der die spätere Menschenrechtserklärung vorwegnehmenden Formulierung des Absatzes 3 des Artikels 1 der UN-Charta, die als Ziel der Vereinten Nationen erklärte: „eine internationale Zusammenarbeit herbeizuführen, um internationale Probleme wirtschaftlicher, sozialer, kultureller und humanitärer Art zu lösen und die Achtung vor den Menschenrechten und Grundfreiheiten für alle ohne Unterschied der Rasse, des Geschlechts, der Sprache oder der Religion zu fördern und zu festigen“. Es ist hier nicht der Raum, auf die umfangreichen und detaillierten Vertragssysteme einzugehen, zu denen sich die Staatenwelt bekannt hat und bekennt und die den Rahmen setzen für innerstaatliche Gesetze. Festzuhalten ist: Die völkerrechtlichen Bestimmungen, wie insbesondere die UN-Menschenrechtserklärung, die Genfer Konventionen, aber auch die Stellungnahmen des Internationalen Gerichtshofs sind nicht nur unverzichtbare Grundlagen für das friedliche Zusammenleben der Völker und Staaten, sie sind zugleich auch das zivilisatorische Fundament einer Welt, die Gewalt nicht mehr als Mittel der Politik betrachtet. 5. Der Nahost-Konflikt aus der Perspektive linker Politik. Auf den Kern gebracht zielt linke Politik darauf ab, die Lebensverhältnisse der Menschen, und zwar aller Menschen, entsprechend den historisch und gesellschaftlich gegebenen Verhältnissen zu verbessern. Hierzu gehört insbesondere das Recht auf körperliche Unversehrtheit und ein menschenwürdiges Leben. Erste Voraussetzung hierfür ist die Anerkennung der Gleichwertigkeit und Gleichberechtigung aller Menschen – ungeachtet ihrer Rasse, ihres Geschlechts, ihrer Sprache oder Religion. Nur die Anerkennung des Anderen als gleichberechtigtes und gleichwertiges Wesens kann zugleich Sicherheit für alle schaffen. Es scheint uns daher eine wichtige und zugleich humanistische Aufgabe, einen solchen Prozess zu fördern, der letztlich in eine Friedensregelung dieses nun mehr als sechs Jahrzehnte dauernden Konfliktes auf der Grundlage gegenseitiger Anerkennung, Sicherheit und Lebensfähigkeit münden muss. In der gegenwärtigen Situation, die gekennzeichnet ist durch eine stetig wachsende Gewalt gerade im Nahen Osten, könnten ein Ausgleich und schließlich eine Friedensregelung im Nahen Osten ein fundamentaler Beitrag zur friedlichen Lösung eines Gewaltprozesses sein, der der politischen Regelung immer mehr zu entgleiten scheint. Und genau hier kommt die besondere deutsche Verantwortung zum Tragen: Der Nahostkonflikt ist mittelbar bedingt durch die Gräuel der Nazi-Barbarei und den industriell organisierten Massenmord an sechs Millionen Juden. Dieses historisch einmalige Völkerverbrechen ist ein wesentlicher Grund für die Gründung des Staates Israel und für die moralische Legitimation seiner Existenz. Zugleich aber ist damit der Nationalsozialismus auch Mitverursacher des Konflikts, um den es hier geht. Wer – zu Recht - von „besonderer Verantwortung“ Deutschlands“ spricht, muss dies bedenken. Er muss auch bedenken, dass sich daraus zugleich auch eine besondere Verantwortung gegenüber dem palästinensischen Volk und seinem Schicksal herleitet. Gerade deshalb ist es mehr als angemessen, dass sich gerade die deutsche Linke in das Ringen um eine friedliche, dauerhafte Lösung des Konflikts auf der Grundlage der Existenzinteressen Israels wie der Palästinenser einbringt und somit einen Beitrag zur Lösung einer Situation leistet, der – auf beiden Seiten – immer mehr unschuldige Menschen zum Opfer fallen, wodurch Hass immer mehr zum handlungsleitenden Motiv wird. Die jahrzehntelange Geschichte des israelisch-palästinensischen Konflikts zeigt vor allem eines: In Ergänzung zum westlichen Beistand für Israel ist dessen Sicherheit perspektivisch nur durch sein Akklimatisieren in der Region und Einbeziehen in eine breitere regionale Ordnung friedlicher Koexistenz nachhaltig gewährleistet. Berlin, den 1. November 2006 Dr. Erhard Crome Wolfgang Grabowski, Botschafter a.D. Prof. Dr. Hans Jürgen Krysmanski Dr. Ingrid El Masry Prof. Dr. John Neelsen Tobias Pflüger, MdEP Prof. Dr. Werner Ruf Paul Schäfer, MdB Jochen Scholz, Oberstleutnant a.D. Dr. Arne Seifert, Botschafter a.D. Dr. Peter Strutynski Joachim Wahl Dr. Heinz-Dieter Winter, Botschafter a.D.

[1] Das solch „rationaler“ Umgang möglich ist, zeigt allein die Tatsache, dass die Gründung der Hamas von Israel selbst unterstützt wurde, erhoffte sich die Regierung damals davon doch die Spaltung und damit die Schwächung der PLO.