14 Tote - 1 Frau ermordet
Rosa Luxemburg am 7. Dezember 1918
Gestern, am 6., ist Berlin Schauplatz eines blutigen Anschlags der Gegenrevolution gewesen. Um 5 Uhr setzten sich, unter Anführung Scheidemann-treuer Offiziere, mehrere Truppenteile: die Franzer, Flammenwerfer, Pioniere, Funker in demonstrativem Zug durch die Straßen, besetzten das Abgeordnetenhaus, in dem der Vollzugsrat des A[rbeiter]- und S[oldaten]-Rates Sitzung hatte, ein Teil der Mannschaften mit einem Unteroffizier an der Spitze drang in die Sitzung ein und erklärte den Vollzugsrat für verhaftet, und zwar aufgrund eines angeblichen Befehls der Regierung Ebert-Haase. Die Putschisten erklärten weiter: Sie seien gekommen, um den Vollzugsrat zu beseitigen und Ebert als den Präsidenten der deutschen Republik auszurufen.
Dem in der Sitzung anwesende Vertreter des bayerischen A[rbeiter]- und S[oldaten]-Rates, Genossen Hederich, gelang es, den Soldaten klarzumachen, zu welchem unerhörten Anschlag sie von ihren Anführern mißbraucht worden sind. Die Soldaten erklärten, sie hätten keine Ahnung davon, gegen wen und für welche Zwecke man sie mobil gemacht hatte. Sie wußten nur, daß man ihnen 5 Mark pro Mann versprochen hatte! Nachdem sie über die Infamie des Putsches klargeworden waren, beschlossen sie, ihre Anführer zu verhaften, und zogen ab.
Auch hier erschien der bayerische Vertreter Hederich und klärte die Soldaten über die Fälschung auf, worauf sie gedrückt abzogen.
In den Straßen Berlins ist Blut geflossen! Auf friedliche demonstrierende, unbewaffnete Soldaten, die aus einer Versammlung in den Germaniasälen die Chausseestraße hinunterzogen und deren Demonstration dem Polizeipräsidenten am Tage vorher mitgeteilt war, wurde mit Maschinengewehren geschossen, die im Hinterhalt wohlvorbereitet standen. Vierzehn Tote blieben auf dem Pflaster liegen, darunter eine Frau! Die Zahl der Verwundeten ist noch unbekannt.
Arbeiter! Soldaten! Genossen! Jetzt seht Ihr, wer Putsche veranstaltet, wer Anarchie sät, wer die Revolution im Blute ersticken will! Jetzt seht Ihr, wer den brudermörderischen Krieg anzettelt, wer eine Diktatur – aber eine Säbeldiktatur der Gegenrevolution errichten will!
Jetzt seht Ihr, wer die Freiheit der öffentlichen Meinung in Deutschland erdrücken will!
Die Soldaten, die sich zu diesem verbrecherischen Anschlag auf den Vollzugsrat der A[rbeiter]- und S[oldaten]-Räte und auf die »Rote Fahne« haben mißbrauchen lassen, sind nicht die Schuldigen. Sie sind traurige, bedauernswerte Opfer der Hetzer, die sie heute genauso als Henker der Revolution mißbrauchen, wie Hindenburg und die Hohenzollern sie vier Jahre lang als Kanonenfutter gebraucht haben.
Die wahren Verbrecher sind die Hetzer, die dahinter stehen, die den Anschlag im geheimen angestiftet haben.
Diese Verbrecher sind die Wels und Genossen, die Scheidemann-Ebert und Komp., die seit Wochen die Soldaten aufhetzen, die alle gegenrevolutionären Elemente in Schutz nehmen, die eine systematische Spartakus-Hetze betreiben, die sich eine weiße Garde aus Unteroffizieren bilden, die mit dem Popanz des »Bolschewismus« eine wahre Pogromatmosphäre in Berlin geschaffen haben.
Arbeiter! Soldaten! Genossen! Die Revolution ist in höchster Gefahr! Rettet, rettet, rettet euer Werk des 9. November! Rettet die Revolution, die Freiheit, den Sozialismus! Erhebt eure Donnerstimme und eure Millionen Arme gegen die Verbrecherbande, die Putsche, Anarchie und Morde veranstaltet! Arbeiter! Soldaten! Genossen! 14 Leichen liegen auf dem Pflaster Berlins! Wehrlose, friedliche Soldaten, durch feigen Meuchelmord niedergemacht! Zieht zur Verantwortung die Schuldigen dieses blutigen Verbrechens! Fegt hinweg von der Regierung die wahren Schuldigen, die infamen Hetzer, die Verführer der unaufgeklärten Soldatenmassen, die Wels, Ebert und Scheidemann mit Genossen!
Ihre Namen sind jetzt zum Schlachtruf der Gegenrevolution, zum Feldzeichen der Anarchie und des Brudermordes, zum Banner des Hochverrats an der Revolution geworden!
Energie! Geschlossenheit! Festigkeit! Es gilt zu handeln! Das blutige Verbrechen muß geahndet, die Verschwörung der Wels-Ebert-Scheidemann muß mit eiserner Faust niedergemacht, die Revolution gerettet werden.
Nieder mit den Wels-Ebert-Scheidemann und Genossen!
Die ganze Macht an die A.- und S.-Räte!
Ans Werk! Auf die Schanzen! Zum Kampf!
Nieder mit den blutbesudelten feigen Veranstaltern des Putsches!
Hoch die Revolution!
Zuerst veröffentlicht in: Die Rote Fahne. Zentralorgan des Spartakusbundes,
1. Jg., Nr. 22, 7. Dezember 1918.
Hier zitiert nach Paul Levi: Spartakus, Bd. 1, Das Leben bis zur Ermordung des Leo Jogiches, Berlin, S. 632-634.