Brief an Clara Zetkin

Berlin, Hotel Moltke, Rosa Luxemburg am 18. November 1918

Liebste,

    in aller Eile nur zwei Zeilen. Ich bin, seitdem ich aus dem Zug gestiegen bin, noch nicht mit einem Fuß in meiner Wohnung gewesen. Die ganze Zeit bis gestern war Jagd hinter der »Roten Fahne« her. Erscheint sie — erscheint sie nicht? Darum drehte sich der Kampf von früh bis spät. Endlich ist sie da. Du mußt Geduld mit ihr haben, sie ist technisch noch nicht auf der Höhe, das kommt alles nach und nach. Vor allem aber will ich Dein Urteil über den Inhalt hören. Ich habe das Gefühl, daß wir völlig konform gehen werden, und das macht mich glücklich. Alle meine Gedanken und mein Herz sind bei Dir. Wenn ich nur zu Dir für einen Tag könnte! Aber das wird jetzt gehen, sobald die Züge wieder funktionieren. Einstweilen schreibe mir Eilbrief. Ich warte sehnlichst auf Deinen Artikel — ganz kurz! Mach Dir nicht viel Arbeit. Deinen Namen wollen wir gleich haben. Schreibe etwas vielleicht über Frauen1, das ist so wichtig jetzt, und niemand von uns hier versteht was davon.

     Liebste, in Eile tausend Grüße und Umarmungen
     Deine R


1 Der Artikel von Clara Zetkin erschien unter dem Titel «Die Revolution – der Frauen Dank» in der «Roten Fahne» vom 22. November 1918.


Zitiert nach Rosa Luxemburg: Gesammelte Briefe, Bd. 5., August 1914 bis Januar 1919, Berlin, S. 416-417.