Der erste Parteitag

Rosa Luxemburg am 3. Januar 1919

Der revolutionäre Vortrupp des deutschen Proletariats hat sich zu einer selbständigen politischen Partei zusammengeschlossen. Die Gründung der Kommunistischen Partei Deutschlands ist erfolgt, wie die Spartakusgruppe es im Rahmen ihrer allgemeinen Auffassung von Anfang an zielbewußt anstrebte und voraussah, nicht als Konventikelangelegenheit, nicht als eine von einer Handvoll radikaler Führer aus freien Stücken und unter Ausschluß der Öffentlichkeit «gemachte» Spaltung. Sie hat sich als natürliches Produkt der historischen Entwicklung, als Fragment im Werdegang der deutschen Revolution, somit als Erscheinung des politischen Lebens der proletarischen Massen ergeben. Die Gründung der Kommunistischen Partei knüpft sich an den Wendepunkt, der die erste Phase der deutschen Revolution abschließt und die zweite Phase eröffnet. 

     Die Illusionen des 9. November sind zerstört, seine Unzulänglichkeiten offen an den Tag getreten. Die entschleierte Gegenrevolution Ebert-Scheidemann auf dem einen Pol bedingt die hemmungslose und rücksichtslose Entrollung der revolutionären Fahne auf dem andern Pol, der schroffe Ruck nach rechts an der offiziellen Spitze des Reiches bedingt eine energische Orientierung nach links in den Fundamenten, in der Arbeiter- und Soldatenmasse.

     Klärung der Gegensätze, Verschärfung des Kampfes, das Reifen und die Selbstbestimmung der Revolution, das sind die Momente, aus denen die Kommunistische Partei Deutschlands geboren und denen zu dienen sie ihrerseits berufen ist. Als Teilerscheinungen dieses Prozesses sind der Anschluß der Gruppen der Internationalen Kommunisten sowie die begonnenen Verhandlungen über den organisatorischen Zusammenschluß der neugegründeten Partei mit den revolutionären Obleuten und Vertrauensleuten der Berliner Großbetriebe zu werten. Haben auch die Verhandlungen für den Augenblick noch kein positives Ergebnis gezeitigt, so sind sie doch nur der Anfang eines ganz selbstverständlichen, unaufhaltsamen Prozesses der Vereinigung aller wirklich proletarischen und revolutionären Elemente in einem organisatorischen Rahmen. Daß die revolutionären Obleute Groß-Berlins, die moralischen Vertreter des Kerntrupps des Berliner Proletariats, mit dem Spartakusbund zusammengehen, hat die Zusammenwirkung beider Teile in allen bisherigen revolutionären Aktionen der Berliner Arbeiterschaft bewiesen. Solche durch Taten hergestellten Bande sind die einzig reale und wirkliche Basis des organisatorischen Zusammenschlusses, sie sind aus den Klasseninteressen der proletarischen Masse, aus dem Lebensinteresse der Revolution geboren, und darin liegt die Gewähr, daß die innere Logik der Dinge die revolutionären Ob- und Vertrauensleute über kurz oder lang in das einzige rein proletarisch-revolutionäre Lager, zur Kommunistischen Partei Deutschlands, führen wird. Die Hemmungen, die Unentschlossenheiten, die sich diesem Schritt zur Stunde noch in den Weg stellen, sind selbst ein Überbleibsel des Zersetzungsprozesses der USP, ein Rest der zerrüttenden und paralysierenden Halbheiten, an denen diese Partei zugrunde geht. Damit ist aber gegeben, daß die gesunden und wirklich revolutionären Elemente der USP auch über diesen letzten Rest hinweggehen werden, daß sie sich aus der erstickenden Atmosphäre der Partei, die in Wirklichkeit nur noch ein Kadaver ist, sehr bald dorthin werden retten müssen, wo der revolutionäre Kampf seinen klarsten und entschlossensten Ausdruck gefunden hat.

     Zum geschlossenen Wirken ohne Zeitverlust ruft die Revolution in der Tat mit gebieterischer Stimme. Mit dem Übergang zu ihrer zweiten Phase hat sie die Aufgaben, die sie den Massen des Proletariats stellt, ins Ungemessene gesteigert, ihren Rahmen enorm erweitert, ihre revolutionäre Pflugschar tiefer in das Erdreich gebohrt. Der Umschlag der vorwiegend soldatischen Revolution des 9. November in eine ausgesprochene Arbeiterrevolution, der oberflächlichen, rein politischen Umwälzung in den langatmigen Prozeß der wirtschaftlichen Generalauseinandersetzung zwischen Arbeit und Kapital erfordert von der revolutionären Arbeiterklasse einen ganz anderen Grad der politischen Reife, Schulung, Zähigkeit, als wie sie der ersten anfänglichen Phase genügten.

     Es gilt nunmehr, an Stelle der revolutionären Stimmung allenthalben die unbeugsame revolutionäre Überzeugung, an Stelle des Spontanen das Systematische zu setzen. Es gilt, um die ganze Summe der Erfahrungen der ersten Periode bereichert, nunmehr an die Fundamentlegung für den sozialistischen Bau heranzugehen. Es gilt, das A.- u. S.-Rätesystem aus einer Improvisation der Stunde zu jenem ehernen Panzer zu machen, der dem Proletariat alle öffentliche Macht der Gesellschaft sichert.

     Und noch eins! Was wir bisher seit dem 9. November erlebt haben, war eigentlich keine deutsche Revolution: Es war eine Lange Reihe zersplitterter lokaler Revolutionen und Revolutiönchen, zum Teil nicht ohne operettenhafte Züge, in deren wirrem, buntem Bilde sich die ganze Musterkarte der deutschen Zerrissenheit und Zurückgebliebenheit und demgemäß auch die Zerrissenheit der revolutionären Armee des Proletariats spiegelt. Auch diese natürlichen Schwächen der Anfangsphase müssen überwunden werden. Die große einheitliche deutsche Revolution muß, durch die politische und soziale Reife der proletarischen Massen in ganz Deutschland vorbereitet werden, durch die Vorantreibung der Bewegung über ihre lokalen Schranken und Zufälligkeiten zu dem gemeinsamen Ziel, auf die gemeinsame Kampffront.

     Entgegen der traditionellen «Markstein»-Anpreisung des eben geschlossenen Parteitages und seines Werkes sei es offen gestanden, daß der Parteitag das ihm vorliegende enorme Werk nur bruchstückweise, nur andeutungsweise hat vollbringen können. Selbst ein Fragment der Revolution, teilt er auch darin ihr Los, sich keiner genügenden Gründlichkeit, keiner erschöpfenden Arbeit rühmen zu können.

     Was er aber geleistet hat, scheint uns dennoch im Wesen das Wichtigste zu sein: Er hat die Summa unter den geschichtlichen Lehren der bisherigen Revolution gezogen, die großen Richtlinien der kommenden Entwicklung gewiesen, einen starken Appell an das Gesamtproletariat Deutschlands zum rücksichtslosen Kampf erhoben.

     Der Geist, der aus den Delegierten aller Teile des Reiches sprach, läßt zuversichtlich hoffen, daß tüchtige Arbeit geleistet, daß der Appell nicht ohne Echo bleiben, daß die Kommunistische Partei Deutschlands als Stoßtrupp der proletarischen Revolution zum Totengräber der bürgerlichen Gesellschaft wird.

     Jetzt gilt es, mit aller Kraft ans Werk zu gehen. Wie Liebknecht am Schluß seiner Ausführungen sagte:   

     Die grausamen politischen und sozialen Enttäuschungen, der Zusammensturz der kapitalistischen Wirtschaft, das sind die beredtesten Propagandisten der sozialen Revolution.

     Unsere Aufgabe ist, diese Propaganda der objektiven Verhältnisse mit Klarheit, Energie und Begeisterung zu unterstützen und zu leiten. Das deutsche Proletariat zu dem gewaltigen Hammer zu schmieden, der die Klassenherrschaft zerschmettern wird, das ist die geschichtliche Mission der Kommunistischen Partei Deutschlands.

 


Zuerst veröffentlicht in: Die Rote Fahne (Berlin), Nr. 3 vom 3. Januar 1919.

Hier zitiert nach Rosa Luxemburg: Gesammelte Werke, Bd. 4., August 1914 bis Januar 1919, Berlin, S. 512-515.