Sachbericht zur XI. Internationalen InkriT-Tagung »Die 'Linie Luxemburg-Gramsci' und linke Theorie und Praxis heute«
vom 7. bis 10. Juni 2007 in Esslingen
Christian Wille, Thomas Pappritz
Juni 2007 Die Tagung wurde gemeinsam vom InkriT und der Rosa-Luxemburg-Stiftung veranstaltet. Das Tagungsthema nimmt eine Notiz von Peter Weiss auf. Die „Linie Luxemburg-Gramsci“ verweist auf eine Art und Weise, historische Fehler aufzuklären und eine lebendige kritische Perspektive für politische Praxis und Theorie zu entwickeln. In diesem Geiste wurden aktuelle Brennpunkte besichtigt, z.B. Kommunistische Neugründung, revolutionäre Realpolitik oder Klimakatastrophe. Vorträge und Rundtischgespräche gaben den Werkstätten zu Artikelentwürfen für die Bände 7/1, 7/2 und 8 des Historisch-kritischen Wörterbuchs des Marxismus (HKWM) eine aktuelle Einbettung. Die Zusammenkunft vieler Mitstreiter wurde genutzt, um über Entwicklungen, Weiterarbeit und Organisation des Projekts sowie über die Arbeit der Zeitschrift Das Argument nachzudenken. Für Autoren und Redakteure wurde eine Schreibwerkstatt veranstaltet. An der Tagung beteiligten sich 98 Menschen aus 19 Ländern. Durch die Altersspanne von 17 bis weit über 70 Jahre fand ein reger Austausch zwischen den Generationen statt. Alle partizipierten an der konzentrierten Arbeit in den Werkstätten nicht nur konsumierend, sondern produktiv: mit eigenen Texten fürs HKWM, Voten, Moderationen oder Protokollen. Die Konferenzsprachen waren Deutsch und Englisch. Das InkriT vergab 28 Stipendien an diejenigen, die als Studierende oder aufgrund geringen Einkommens auf Unterstützung angewiesen sind. In dieser Zahl sind auch die Gäste der RLS aus dem Ausland (zwei aus Indien und eine aus Brasilien) enthalten. Die Tagung wurde von den Beteiligten als großer Erfolg empfunden. Nicht zuletzt die reibungslose Organisation und günstige Arbeits- und Erholungsmöglichkeiten in der Tagungsstätte waren Bedingungen der Produktivität. Die Folgetagung soll 2008 wieder in Esslingen stattfinden. Daneben wurden weitere Aktivitäten wie u.a. eine Gramsci-Tagung 2008 in Wien vereinbart. Folgende Wörterbuch-Werkstätten wurden verwirklicht: Kategorie, Kinder, Klassenherrschaft, klassisch, Klima/Klimapolitik (noch für Band 7/1), kommunistische Neugründung (für Band 7/2), Kultur, Kulturpolitik, kulturelle Revolution, Landlosenbewegung, Lassalleanismus, Liebesverhältnisse, Linkssozialismus, Lüge, Luxemburgismus (für Band 8), gesellschaftliche Naturverhältnisse, Open Source (Band 9). Die Vorträge und Rundtischgespräche zum Dachthema „Die ‚Linie Luxemburg-Gramsci’“ – und zur Ausstrahlung dieser Linie auf „politische Bildung und Pädagogik“, zu „Revolutionärer Realpolitik?“ und „Peter Weiss und eine neue Politik der Erinnerung“ – versuchten auf neue Weise Felder linker Politik und Theorie durchzuarbeiten. Kontrovers verliefen die politisch-theoretischen Veranstaltungen „Wie der ‚westliche Marxismus’ zugrunde ging“ und „Kommunistische Neugründung“. Zwei Veranstaltungen diskutierten aus aktuellem Anlass die „Klimakatastrophe und gesellschaftliche Naturverhältnisse“. Den Auftakt der Tagung bildeten zwei Sitzungen zur Lage und künftigen Arbeit des HKWM und der im Auftrag des InkriT herausgegebenen Zeitschrift Das Argument. „Fragen der Weiterführung der Zeitschrift“ stellten sich nach 50 Jahren besonders vor dem Hintergrund von Erfahrungen mit einer neuen redaktionellen Produktionsform: den vor einem Jahr eingeführten Projektredaktionen. Die ins Auge gefassten organisatorischen Änderungen betreffen v.a. die Erweiterung des festen Herausgeberkreises und die Gewinnung zusätzlicher Experten als Herausgeber für bestimmte Heftthemen. Um die Heftqualität zu steigern, bedarf es erweiterter Mitarbeit, und es sollen Qualifikationen beim Redigieren systematischer weitergegeben werden (etwa mithilfe eines Handbuchs). Ähnlich die Krisendiagnose beim HKWM: Auch dessen Autoren und Redakteure fragten nach Richtlinien und klareren Vorgaben. Es soll regelmäßig Schreib- und Redigierwerkstätten geben, deren erste auf der Tagung stattfand. Für den aus persönlichen Gründen aus dem Vorstand ausscheidenden und vom stellvertretenden Vorsitz des InkriT zurücktretenden Historiker Wolfgang Küttler rückt der Ostberliner Musikwissenschaftler und Eisler-Herausgeber Günter Mayer auf diese Positionen nach. Werner Goldschmidt (Hamburg) tritt in den Herausgeberkreis ein und wird an den regelmäßigen Werkstattsitzungen des HKWM als Redakteur teilnehmen. Richard Gebhardt aus Aachen startete eine Initiative zur Verbreitung des HKWM; er rief dazu auf, für die Bibliotheksbestände an Universitäten und anderen Bildungs- und Forschungseinrichtungen das Wörterbuch zu bestellen. Ein Tagungsteilnehmer rühmte den Blick aus dem Plenarsaal des Tagungshauses übers Neckartal und Esslingen; mit der Weitläufigkeit des Blicks könnten auch die Gedanken freier schweifen. In der Tat bietet der Tagungsort Möglichkeiten zur Entspannung nach konzentrierter Arbeit. Die Altstadt und die angrenzenden Weinhänge wurden an einem Abend per pedes erkundet. Der Esslinger Pfarrer Roland Spur führte anregend durch die Stadt und ihre Geschichte. Ein Abend ist traditionell für ein Kulturprogramm reserviert. Den ersten Teil des Abends gestaltete Günter Mayer. Seiner anschaulichen Einführung in Adornos und Eislers Arbeiten zur Filmmusik folgte ein Film mit der Musik von Eisler. Den zweiten Teil des Abends bestritt der Liedermacher Kai Degenhardt, der direkt von einem Auftritt in den Rostocker Protestcamps gegen den G8-Gipfel kam. Inhaltliche Aspekte Den Einstieg in die inhaltliche Diskussion machte ein Block aus Plenarveranstaltungen und Werkstätten, die die mit der „Linie Luxemburg-Gramsci“ angesprochene Problematik für die Gegenwart durchdachten (Diskussion von Frigga Haugs Vortrag „Die Linie ‚Luxemburg-Gramsci‘“ und Debatte zur „Revolutionären Realpolitik“). Während Antonio Gramsci die Massenstreik-Schrift Rosa Luxemburgs als das bedeutendste Beispiel des „Bewegungskriegs“ las, darin aber das Bewusstsein des freiwilligen organisierenden Elements vermisste, buchstabierte Frigga Haug Luxemburgs „revolutionäre Realpolitik“ gerade unter der Frage von Alltagspolitik durch. Sie untersuchte, wie diese über Tagespolitik hinausweisende theoretisch-politische Brennpunkte aufgreift und verschiebt, nicht Definitionen, Pro und Kontra, Verelendungsdiskurse bietet, sondern Formen des Parlamentarismus, der Demokratie, der Regierungsgewalt etc. als in den Zerfall treibende Produkte, als „Tat der herrschenden Klasse“ analysiert – und zugleich als Felder der Politik der Volksklassen. Ehernes Gesetz (kapitalistische Umwälzungsdynamik) und unterirdische Wühlarbeit (der ‚Maulwurf‘) sind gleichermaßen Determinanten einer Politik für sozialistische Hegemonie, die sich durch das Bewusstsein qualifiziert, dass die Überwindung der herrschenden Ordnung notwendig ist. Von Gramsci analysierte Erfahrungen aufgreifend und im Blick auf gegenwärtige Veränderungen diskutierte Haug von Luxemburg nicht erkannte Stabilisierungselemente der bürgerlichen Ordnung: die Politik des Kulturellen und die Arbeit der Intellektuellen, Produktivkraftsteigerung und damit wechselnde Subjektanforderungen, die bis in die Individuen reichende Durchdringung der Gesellschaft durch den (‚integralen‘) Staat und Fragen der Subalternität. In der Diskussion kam zum Ausdruck, dass ein Nachdenken über revolutionäre Realpolitik zu Beginn des 21. Jahrhunderts nicht mehr möglich ist, ohne den Zusammenbruch des Sozialismus des 20. Jahrhunderts kritisch zu analysieren und ohne Rechenschaft darüber abzulegen, welche Subjekte die von Luxemburg und Gramsci noch als wirkmächtig anzunehmenden sozialistischen Organisationen vertreten können. Wie wichtig der Umgang mit inneren Widersprüchen für die Handlungsfähigkeit einer lebendigen linken Bewegung ist, zeigte Klaus Kinner an dem seit 1924 in KPD und Komintern gängigen „Luxemburgismus“-Vorwurf (HKWM-Werkstatt). Vor dem Hintergrund des ausgebliebenen „deutschen Oktobers“ entzündeten sich Parteikämpfe, in deren Verlauf (mit zunehmender Verhärtung der Fronten im Zuge von Stalinisierung und Sozialfaschismusthese) Rosa Luxemburgs Denken – bei fortgesetzter ‚Ehrung‘ der Politikerin – als ‚falsches‘ System deklariert wurde. So wurde einer der fruchtbarsten Versuche, den Marxismus schöpferisch weiterzuentwickeln, geschichtlich still gestellt. Allerdings, und das ergab die internationale Diskussion des auf Mitteleuropa konzentrierten Stichwortentwurfs, gab und gibt es v.a. im romanischen Sprachraum Strömungen von Luxemburgismus, die nicht an das ML-offizielle Verdikt gekettet blieben, z.T. sogar eine antistalinistische Stoßrichtung nahmen (etwa in Kuba). – Diese Diskussion verweist auf die Notwendigkeit historisch-kritischer Aufarbeitung linker Theorieströmungen, zu der auch die Werkstätten zu „Lasalleanismus“ und „Linkssozialismus“ Beiträge lieferten. Wie und warum ging der ‚Westliche Marxismus‘ zugrunde? Domenico Losurdos Antwort lautet: Verkürzte Analysen nationaler Befreiungskämpfe gegen koloniale Herrschaft hätten ihn um seine analytische Kraft gebracht. Demonstrative Machtferne, Schwerpunktlegung auf Überbau-Phänomene, Antihumanismus, eine Art eurozentrischer Provinzialismus in so unterschiedlichen Ansätzen wie denen von Althusser, Negri, Foucault und Holloway hätten verhindert, den Zusammenhang von besonderen Kampffronten und Kampf im Weltmaßstab – im Sinne eines universellen Humanismus – wahrzunehmen. Losurdos Problemaufriss provozierte nicht nur den Einspruch, der ‚Westliche Marxismus‘ habe sowohl Kolonial- und Rassismusanalysen als auch kapitallogische Ansätze hervorgebracht, sondern, grundsätzlicher, Fragen nach Brauchbarkeit und Grenzen des Begriffs. Angesichts des Zusammenbruchs des ‚Westlichen Marxismus‘ wie des Staatssozialismus müsse von der anstehenden ‚Neuerfindung‘ des Marxismus her gedacht werden. Die Suche nach Anknüpfungspunkten könne sich nicht vom Schema Östlicher/Westlicher Marxismus leiten lassen, sondern müsse auf quer verlaufende Problematiken achten. Möglichkeiten und Bedingungen kommunistischer Politik sind durch den Epochenbruch von 1989/90 so grundlegend umgewälzt worden, dass von dieser, so kann man sich auf die Entwicklung der Kräfte etwa in Italien, Venezuela und China beziehen, nurmehr im Sinne einer „Kommunistischen Neugründung“ zu sprechen ist. Renato Caputo näherte sich der Re-Formation des politischen Feldes links der neoliberal gewendeten Sozialdemokratie bilanzierend: Während eine Neudefinition des Kommunismus angesichts imperialistischer Bedrohung stets angesagt war, ist seine Neugründung erst mit dem Untergang des Staatssozialismus nötig geworden; nun seien Verteilungsfragen, nicht Umwälzung der Produktion, vorrangig gewesen, Bündnispolitik, Teilhaberechte und Globalisierungskritik hätten Arbeiterorganisation, Parteiaufbau und Kampf gegen den Imperialismus verdrängt. Als Beispiele nannte er die KP China, die einen kapitalistischen Übergang unter kommunistischer Kontrolle organisiert, die sozialdemokratisierte Rifondazione Comunista und das venezolanische Sozialismus-Projekt, das mit seiner von einer popularen Basis getragenen Nationalisierungspolitik am ehesten ins Bild einer Kontinuität des Kommunismus passt. Fraglich bleibt, wie der Begriff der kommunistischen Neugründung mit der Analyse des Scheiterns des Kommunismus des 20. Jahrhunderts verbunden und wie weit damit tatsächlich eine neue Perspektive ausgedrückt werden kann. In einem weiteren Themenfeld ging es darum, den Bogen zu den von einer Erneuerung linker Politik zu erreichenden Subjekten zu schlagen. Deren Handlungsmöglichkeiten durch eingreifende Erinnerungspolitik freizulegen („Peter Weiss und eine neue Politik der Erinnerung”) oder pädagogisches Handeln in gegenhegemonialer Stoßrichtung zu etablieren („Die ‚Linie Luxemburg-Gramsci‘ in der politischen Bildung und Pädagogik“), ist für die Zukunftsfähigkeit linker Projekte mitentscheidend. Wie pädagogische Verhältnisse mit Luxemburg und Gramsci neu durchgearbeitet werden können, prüften bei einem Rundtischgespräch Andreas Merkens, Georg Auernheimer, Gerhardt Zimmer und Dieter Schlönvoigt (RLS). Während erstere eher theoretische Konzepte darstellten, berichtete Schlönvoigt von Erfahrungen aus der politischen Jugendbildung der Stiftung. Besonders die an Augusto Boals Konzeption des „Theaters der Unterdrückten“ angelehnte Arbeit habe zu Erfolgen geführt. Ein Ziel nicht nur der Jugendbildung müsse sein, verschüttete Konzepte der Arbeiterbewegung wieder zu entdecken, wofür von der RLS eine eigene Seminarreihe organisiert wird. Josef Held rekonstruierte das Auftauchen von „Kindern“ im Bewusstsein der modernen bürgerlichen Gesellschaften von zwei Seiten, von den zeit-, kultur- und schichtspezifisch vorherrschenden Kindheitsbildern und von der entwicklungspsychologischen Forschung über konkrete Kinder her. Er hebt die Wechselwirkung beider Perspektiven hervor und beschreibt, wie die Aufmerksamkeit für den Akteursstatus von Kindern steigt. Wenn er nach dem Kritikpotenzial von Vorstellungen von Kindern als Opfern, ‚autonomen‘ Wesen und kompetenten Sozialpartnern fragt, kommen Widersprüche zwischen der scheinbaren Eigenwelt der Kinder und ihrer alltäglichen Zurichtung, zwischen Akteurszuschreibungen und gesteigerten Abhängigkeiten in den Blick. Es tauchen an Produktivkraftentwicklung und Qualifikationserfordernisse gebundene Bedeutungskonstellationen kindlicher Lebensweise auf, die sowohl im Kontext von aktuellen Debatten, z.B. um Frühförderung oder Strafrechtsmündigkeit, als auch für eine von Kindern im Bündnis mit Erwachsenen zu erstreitende Erweiterung von Einflussmöglichkeiten wichtig sind. In der Wörterbuchwerkstatt „Liebesverhältnisse“ ging es um ein Stichwort, dessen Konzeption gerade erst in einem gleichnamigen, im Herbst 2007 erscheinenden Argument-Doppelheft ausgearbeitet wird. Der Begriff soll tauglich sein, die Einspannung dessen, was Liebe genannt wird, in die Reproduktion herrschender Gesellschaft zu fassen. Damit ist er stets im Plural zu gebrauchen, soll er doch nicht auf Beziehungen zwischen Personen verweisen – ein Liebesverhältnis –, sondern auf Verhältnisse, in denen spezifisch herausgebildet wird, was jeweils unter Liebe zu verstehen ist und wie es durchgesetzt wird. „Liebe ist eine Produktion“, sagt Brecht. Die Verhältnisse solcher Produktion sollen Liebesverhältnisse genannt werden. In der Diskussion verdeutlichte sich, dass Liebespraxen permanent von Herrschaftspraxen durchzogen sind, in so verschiedenartigen Momenten wie Erotik oder Nächstenliebe gleichermaßen. Die von Rosa Luxemburg erahnte, von Gramsci sorgfältig untersuchte Bedeutung einer Politik des Kulturellen, deren integrative Funktion im Herrschaftsgefüge des globalisierten Kapitalismus eher noch zugenommen hat, gab einer Reihe von Werkstätten den Einsatz, in denen eine Disposition für die Einträge „Kultur“ und „Kulturpolitik“ erarbeitet, den Vergesellschaftungseffekten einer als Hegemonialkategorie aufgefassten Wertung „klassisch“ nachgegangen (Peter Jehle) und die Frage der im Zuge von Systembrüchen (so in der Französischen und Russischen Revolution, aber auch der ‚Kultur der Postmoderne‘) stets virulent werdenden „Kulturrevolution“ aufgegriffen wurde (Fredric Jameson). Marxistische Denkmittel zu schärfen bemühte sich Wolfgang Fritz Haug in der einzigen direkt auf methodische Weiterentwicklung angelegten Werkstatt „Kategorie“. Gegen die Denkgewohnheit, Kategorie und Begriff synonym zu setzen, geht es ihm um die Rekonstruktion und Zuspitzung einer kritisch-differenzierenden Anordnung beider Terme, die zwar in Marx’ insgesamt flüssiger Verwendung zu finden ist, von diesem aber nicht explizit reflektiert wird. Angesichts des fast zeitgleich stattfindenden G8-Treffens in Heiligendamm kam dem eine Serie von aktuellen Debatten (Klima, Landlosenbewegung, Freie Software-Bewegung) eröffnenden Podium „‚Klimakatastrophe‘ und gesellschaftliche Naturverhältnisse“ die Funktion einer Simultanübersetzung aus dem herrschenden Diskurs zu. Oliver Walkenhorst, Rolf Czeskleba-Dupont, Athanasios Karathanassis, Victor Wallis und Christoph Ohm setzten in ihren Beiträgen an der Frage an, wie die Konjunktur der Klimafrage zu erklären ist und welche Folgerungen für eine ökologisch-emanzipatorische Politik zu ziehen sind. Neben der Einschätzung, welche Kräfte mit welchen Interessen unmittelbar an der Kampagne beteiligt sind (Kapitalfraktionen, Medien, Umweltbewegung, Wissenschaftler, Versicherungswirtschaft), ist v.a. ein scharfes Auge für die ideologische Instrumentalisierung der Thematik nötig, die im Kontext sich ausweitender imperialer Kriege, geostrategischer Überlegungen, von Bemühungen um ein neues globales „Allgemeines“ (Krieg für das Klima nach dem Scheitern des Kriegs gegen den Terror), neuen Konfliktaustragungsformen im binnenimperialistischen Kampf und der Rückkehr der so genannten Sozialen Fragen um sich greift. Bestand Übereinstimmung darin, dass Antworten nur ausgehend vom Zusammenhang von Klassenherrschaft und Naturbeherrschung möglich sind, war doch umstritten, an welche Grenzen kapitalismusimmanente Regulation stößt und welche Fragen sich eine über den Kapitalismus hinausweisende Gegenbewegung stellen muss. Zusammengetragen wurden: Wie kann radikale Klimapolitik von unten aussehen, die von den unmittelbaren Produzenten getragen wird? Wie können sich die Produzenten des Raubbaus der hochtechnologischen kapitalistischen Produktionsweise bewusst werden? Muss das Thema als Ganzes verschoben werden, weg vom klimapolitischen Verelendungsdiskurs, hin zu einer Wachstums- und Ressourcen-Debatte, die die Möglichkeiten und Widersprüche einer weitergehenden Vergesellschaftung der Produktion offensiv aufgreift? Auf einen durch die eigene Bewegung ausgearbeiteten Diskurs (auf Agrarreformen in der Perspektive einer gerechten Gesellschaft zielend, Bildung, Geschlechterfragen und Umweltschutz einschließend) kann sich die „Landlosenbewegung“ in Brasilien beziehen. Sie sieht sich verstärkt Angriffen durch neoliberale Kräfte und Agrobusiness ausgesetzt, denen sie, so Isabel Loureiro, ihr nichtkapitalistisches, agroökologisch orientiertes Bauernlandwirtschaftsmodell entgegen stellt. Die Frage nach den Keimformen einer über den Kapitalismus hinausweisenden Produktionsweise bestimmt das Interesse der Linken an den Diskursen um die so genannte Freie Software-Bewegung und die „Open Source“-Community. Was als Produkt allgemeiner Arbeit keinen Wert hat, so Stefan Meretz, findet sich in vielfältigen Formen in kapitalistische Verwertungsprozesse einbezogen. Die neuen Tendenzen der Produktivkraftentwicklung sind sowohl als Vergesellschaftungsform, mit neuen Subjektanforderungen, Kooperationsmöglichkeiten und Konfliktregulationen, als auch als Umwälzungsferment innerhalb des High-Tech-Kapitalismus zu analysieren, wobei die kapitalistische Formierung v.a. über prekäre Arbeitsverhältnisse der Produzenten und Strategien zur privaten Aneignung und Sicherung der Arbeitsergebnisse geschieht. Auch für die Produktionsweise des HKWM selbst spielen die durch die Bewegung repräsentierten technischen und organisatorischen Innovationen und Schranken eine Rolle, da sich daraus Ansatzpunkte für Verbesserungen der Kommunikationsstruktur, der Kooperations- und der Rezeptionsformen ergeben können, wie in einer die HKWM-Nutzung des Internets prüfenden Ad-hoc-Werkstatt diskutiert wurde. Die Abschlussdebatte über einen von Werner Goldschmidt und Bob Jessop vorgelegten Entwurf rückte mit der Frage nach der Funktionsweise der ökonomischen, politischen und ideologischen Formen der „Klassenherrschaft“ und nach deren Artikulation in den Klassenkämpfen eine Ebene ins Blickfeld, die in Form konkreter Brennpunkte in allen vorangegangenen Veranstaltungen immer schon angezielt war. Ausgehend von Überlegungen von Marx, Engels, Gramsci und Poulantzas wird kapitalistische Klassenherrschaft dadurch gekennzeichnet, dass sie ihren Klassencharakter zu verschleiern sucht. Die Art und Weise der Übersetzung ökonomischer Klassenkämpfe in politische Kämpfe bringt spezifische institutionelle Formen des liberalen, interventionistischen usw. Staates hervor. Die transnationale Restrukturierung der kapitalistischen Produktionsweise ruft allerdings neue Klassenkräfte auf den Plan. Inwieweit verändert dies die Ausübung der Klassenherrschaft in den Nationalstaaten, fragten sich die beiden Autoren. So kann man nicht nur in antikapitalistisch auftretenden Ideologien, wie etwa dem Islamismus, gleichfalls eine Verschleierung von Klassenherrschaft feststellen – im kapitalistischen Führungsstaat, den USA, herrscht eine weitgehend sich offen darbietende Klassengesellschaft, die von der Privatmacht im Mediensektor über private Armeen bis zur Elitenreproduktion auf kurzem Weg zwischen Großkonzernen und Staatsapparat reicht. Die XI. Internationale Tagung des InkriT war eine Praxis des Lernens und der Analyse. Aktuelle gesellschaftliche Brennpunkte und Kampffelder wurden analysiert und die Mittel marxistischer Analyse geprüft und weiterentwickelt. Von Rosa Luxemburg ist die Perspektive zu lernen, die die Arbeitsweise bestimmt: „Ich meine, die Geschichte macht es uns nicht so bequem, wie es in den bürgerlichen Revolutionen war, dass es genügte, im Zentrum die offizielle Gewalt zu stürzen und durch ein paar oder ein paar Dutzend neue Männer zu ersetzen. Wir müssen von unten arbeiten, […] dass wir die Eroberung der politischen Macht nicht von oben, sondern von unten machen müssen.“ („Unser Programm und die politische Situation“, zum „Gründungsparteitag der Kommunistischen Partei Deutschlands vom 30. Dezember 1918 bis 1. Januar 1919 in Berlin“, GW 4, 510)
Juni 2007 Die Tagung wurde gemeinsam vom InkriT und der Rosa-Luxemburg-Stiftung veranstaltet. Das Tagungsthema nimmt eine Notiz von Peter Weiss auf. Die „Linie Luxemburg-Gramsci“ verweist auf eine Art und Weise, historische Fehler aufzuklären und eine lebendige kritische Perspektive für politische Praxis und Theorie zu entwickeln. In diesem Geiste wurden aktuelle Brennpunkte besichtigt, z.B. Kommunistische Neugründung, revolutionäre Realpolitik oder Klimakatastrophe. Vorträge und Rundtischgespräche gaben den Werkstätten zu Artikelentwürfen für die Bände 7/1, 7/2 und 8 des Historisch-kritischen Wörterbuchs des Marxismus (HKWM) eine aktuelle Einbettung. Die Zusammenkunft vieler Mitstreiter wurde genutzt, um über Entwicklungen, Weiterarbeit und Organisation des Projekts sowie über die Arbeit der Zeitschrift Das Argument nachzudenken. Für Autoren und Redakteure wurde eine Schreibwerkstatt veranstaltet. An der Tagung beteiligten sich 98 Menschen aus 19 Ländern. Durch die Altersspanne von 17 bis weit über 70 Jahre fand ein reger Austausch zwischen den Generationen statt. Alle partizipierten an der konzentrierten Arbeit in den Werkstätten nicht nur konsumierend, sondern produktiv: mit eigenen Texten fürs HKWM, Voten, Moderationen oder Protokollen. Die Konferenzsprachen waren Deutsch und Englisch. Das InkriT vergab 28 Stipendien an diejenigen, die als Studierende oder aufgrund geringen Einkommens auf Unterstützung angewiesen sind. In dieser Zahl sind auch die Gäste der RLS aus dem Ausland (zwei aus Indien und eine aus Brasilien) enthalten. Die Tagung wurde von den Beteiligten als großer Erfolg empfunden. Nicht zuletzt die reibungslose Organisation und günstige Arbeits- und Erholungsmöglichkeiten in der Tagungsstätte waren Bedingungen der Produktivität. Die Folgetagung soll 2008 wieder in Esslingen stattfinden. Daneben wurden weitere Aktivitäten wie u.a. eine Gramsci-Tagung 2008 in Wien vereinbart. Folgende Wörterbuch-Werkstätten wurden verwirklicht: Kategorie, Kinder, Klassenherrschaft, klassisch, Klima/Klimapolitik (noch für Band 7/1), kommunistische Neugründung (für Band 7/2), Kultur, Kulturpolitik, kulturelle Revolution, Landlosenbewegung, Lassalleanismus, Liebesverhältnisse, Linkssozialismus, Lüge, Luxemburgismus (für Band 8), gesellschaftliche Naturverhältnisse, Open Source (Band 9). Die Vorträge und Rundtischgespräche zum Dachthema „Die ‚Linie Luxemburg-Gramsci’“ – und zur Ausstrahlung dieser Linie auf „politische Bildung und Pädagogik“, zu „Revolutionärer Realpolitik?“ und „Peter Weiss und eine neue Politik der Erinnerung“ – versuchten auf neue Weise Felder linker Politik und Theorie durchzuarbeiten. Kontrovers verliefen die politisch-theoretischen Veranstaltungen „Wie der ‚westliche Marxismus’ zugrunde ging“ und „Kommunistische Neugründung“. Zwei Veranstaltungen diskutierten aus aktuellem Anlass die „Klimakatastrophe und gesellschaftliche Naturverhältnisse“. Den Auftakt der Tagung bildeten zwei Sitzungen zur Lage und künftigen Arbeit des HKWM und der im Auftrag des InkriT herausgegebenen Zeitschrift Das Argument. „Fragen der Weiterführung der Zeitschrift“ stellten sich nach 50 Jahren besonders vor dem Hintergrund von Erfahrungen mit einer neuen redaktionellen Produktionsform: den vor einem Jahr eingeführten Projektredaktionen. Die ins Auge gefassten organisatorischen Änderungen betreffen v.a. die Erweiterung des festen Herausgeberkreises und die Gewinnung zusätzlicher Experten als Herausgeber für bestimmte Heftthemen. Um die Heftqualität zu steigern, bedarf es erweiterter Mitarbeit, und es sollen Qualifikationen beim Redigieren systematischer weitergegeben werden (etwa mithilfe eines Handbuchs). Ähnlich die Krisendiagnose beim HKWM: Auch dessen Autoren und Redakteure fragten nach Richtlinien und klareren Vorgaben. Es soll regelmäßig Schreib- und Redigierwerkstätten geben, deren erste auf der Tagung stattfand. Für den aus persönlichen Gründen aus dem Vorstand ausscheidenden und vom stellvertretenden Vorsitz des InkriT zurücktretenden Historiker Wolfgang Küttler rückt der Ostberliner Musikwissenschaftler und Eisler-Herausgeber Günter Mayer auf diese Positionen nach. Werner Goldschmidt (Hamburg) tritt in den Herausgeberkreis ein und wird an den regelmäßigen Werkstattsitzungen des HKWM als Redakteur teilnehmen. Richard Gebhardt aus Aachen startete eine Initiative zur Verbreitung des HKWM; er rief dazu auf, für die Bibliotheksbestände an Universitäten und anderen Bildungs- und Forschungseinrichtungen das Wörterbuch zu bestellen. Ein Tagungsteilnehmer rühmte den Blick aus dem Plenarsaal des Tagungshauses übers Neckartal und Esslingen; mit der Weitläufigkeit des Blicks könnten auch die Gedanken freier schweifen. In der Tat bietet der Tagungsort Möglichkeiten zur Entspannung nach konzentrierter Arbeit. Die Altstadt und die angrenzenden Weinhänge wurden an einem Abend per pedes erkundet. Der Esslinger Pfarrer Roland Spur führte anregend durch die Stadt und ihre Geschichte. Ein Abend ist traditionell für ein Kulturprogramm reserviert. Den ersten Teil des Abends gestaltete Günter Mayer. Seiner anschaulichen Einführung in Adornos und Eislers Arbeiten zur Filmmusik folgte ein Film mit der Musik von Eisler. Den zweiten Teil des Abends bestritt der Liedermacher Kai Degenhardt, der direkt von einem Auftritt in den Rostocker Protestcamps gegen den G8-Gipfel kam. Inhaltliche Aspekte Den Einstieg in die inhaltliche Diskussion machte ein Block aus Plenarveranstaltungen und Werkstätten, die die mit der „Linie Luxemburg-Gramsci“ angesprochene Problematik für die Gegenwart durchdachten (Diskussion von Frigga Haugs Vortrag „Die Linie ‚Luxemburg-Gramsci‘“ und Debatte zur „Revolutionären Realpolitik“). Während Antonio Gramsci die Massenstreik-Schrift Rosa Luxemburgs als das bedeutendste Beispiel des „Bewegungskriegs“ las, darin aber das Bewusstsein des freiwilligen organisierenden Elements vermisste, buchstabierte Frigga Haug Luxemburgs „revolutionäre Realpolitik“ gerade unter der Frage von Alltagspolitik durch. Sie untersuchte, wie diese über Tagespolitik hinausweisende theoretisch-politische Brennpunkte aufgreift und verschiebt, nicht Definitionen, Pro und Kontra, Verelendungsdiskurse bietet, sondern Formen des Parlamentarismus, der Demokratie, der Regierungsgewalt etc. als in den Zerfall treibende Produkte, als „Tat der herrschenden Klasse“ analysiert – und zugleich als Felder der Politik der Volksklassen. Ehernes Gesetz (kapitalistische Umwälzungsdynamik) und unterirdische Wühlarbeit (der ‚Maulwurf‘) sind gleichermaßen Determinanten einer Politik für sozialistische Hegemonie, die sich durch das Bewusstsein qualifiziert, dass die Überwindung der herrschenden Ordnung notwendig ist. Von Gramsci analysierte Erfahrungen aufgreifend und im Blick auf gegenwärtige Veränderungen diskutierte Haug von Luxemburg nicht erkannte Stabilisierungselemente der bürgerlichen Ordnung: die Politik des Kulturellen und die Arbeit der Intellektuellen, Produktivkraftsteigerung und damit wechselnde Subjektanforderungen, die bis in die Individuen reichende Durchdringung der Gesellschaft durch den (‚integralen‘) Staat und Fragen der Subalternität. In der Diskussion kam zum Ausdruck, dass ein Nachdenken über revolutionäre Realpolitik zu Beginn des 21. Jahrhunderts nicht mehr möglich ist, ohne den Zusammenbruch des Sozialismus des 20. Jahrhunderts kritisch zu analysieren und ohne Rechenschaft darüber abzulegen, welche Subjekte die von Luxemburg und Gramsci noch als wirkmächtig anzunehmenden sozialistischen Organisationen vertreten können. Wie wichtig der Umgang mit inneren Widersprüchen für die Handlungsfähigkeit einer lebendigen linken Bewegung ist, zeigte Klaus Kinner an dem seit 1924 in KPD und Komintern gängigen „Luxemburgismus“-Vorwurf (HKWM-Werkstatt). Vor dem Hintergrund des ausgebliebenen „deutschen Oktobers“ entzündeten sich Parteikämpfe, in deren Verlauf (mit zunehmender Verhärtung der Fronten im Zuge von Stalinisierung und Sozialfaschismusthese) Rosa Luxemburgs Denken – bei fortgesetzter ‚Ehrung‘ der Politikerin – als ‚falsches‘ System deklariert wurde. So wurde einer der fruchtbarsten Versuche, den Marxismus schöpferisch weiterzuentwickeln, geschichtlich still gestellt. Allerdings, und das ergab die internationale Diskussion des auf Mitteleuropa konzentrierten Stichwortentwurfs, gab und gibt es v.a. im romanischen Sprachraum Strömungen von Luxemburgismus, die nicht an das ML-offizielle Verdikt gekettet blieben, z.T. sogar eine antistalinistische Stoßrichtung nahmen (etwa in Kuba). – Diese Diskussion verweist auf die Notwendigkeit historisch-kritischer Aufarbeitung linker Theorieströmungen, zu der auch die Werkstätten zu „Lasalleanismus“ und „Linkssozialismus“ Beiträge lieferten. Wie und warum ging der ‚Westliche Marxismus‘ zugrunde? Domenico Losurdos Antwort lautet: Verkürzte Analysen nationaler Befreiungskämpfe gegen koloniale Herrschaft hätten ihn um seine analytische Kraft gebracht. Demonstrative Machtferne, Schwerpunktlegung auf Überbau-Phänomene, Antihumanismus, eine Art eurozentrischer Provinzialismus in so unterschiedlichen Ansätzen wie denen von Althusser, Negri, Foucault und Holloway hätten verhindert, den Zusammenhang von besonderen Kampffronten und Kampf im Weltmaßstab – im Sinne eines universellen Humanismus – wahrzunehmen. Losurdos Problemaufriss provozierte nicht nur den Einspruch, der ‚Westliche Marxismus‘ habe sowohl Kolonial- und Rassismusanalysen als auch kapitallogische Ansätze hervorgebracht, sondern, grundsätzlicher, Fragen nach Brauchbarkeit und Grenzen des Begriffs. Angesichts des Zusammenbruchs des ‚Westlichen Marxismus‘ wie des Staatssozialismus müsse von der anstehenden ‚Neuerfindung‘ des Marxismus her gedacht werden. Die Suche nach Anknüpfungspunkten könne sich nicht vom Schema Östlicher/Westlicher Marxismus leiten lassen, sondern müsse auf quer verlaufende Problematiken achten. Möglichkeiten und Bedingungen kommunistischer Politik sind durch den Epochenbruch von 1989/90 so grundlegend umgewälzt worden, dass von dieser, so kann man sich auf die Entwicklung der Kräfte etwa in Italien, Venezuela und China beziehen, nurmehr im Sinne einer „Kommunistischen Neugründung“ zu sprechen ist. Renato Caputo näherte sich der Re-Formation des politischen Feldes links der neoliberal gewendeten Sozialdemokratie bilanzierend: Während eine Neudefinition des Kommunismus angesichts imperialistischer Bedrohung stets angesagt war, ist seine Neugründung erst mit dem Untergang des Staatssozialismus nötig geworden; nun seien Verteilungsfragen, nicht Umwälzung der Produktion, vorrangig gewesen, Bündnispolitik, Teilhaberechte und Globalisierungskritik hätten Arbeiterorganisation, Parteiaufbau und Kampf gegen den Imperialismus verdrängt. Als Beispiele nannte er die KP China, die einen kapitalistischen Übergang unter kommunistischer Kontrolle organisiert, die sozialdemokratisierte Rifondazione Comunista und das venezolanische Sozialismus-Projekt, das mit seiner von einer popularen Basis getragenen Nationalisierungspolitik am ehesten ins Bild einer Kontinuität des Kommunismus passt. Fraglich bleibt, wie der Begriff der kommunistischen Neugründung mit der Analyse des Scheiterns des Kommunismus des 20. Jahrhunderts verbunden und wie weit damit tatsächlich eine neue Perspektive ausgedrückt werden kann. In einem weiteren Themenfeld ging es darum, den Bogen zu den von einer Erneuerung linker Politik zu erreichenden Subjekten zu schlagen. Deren Handlungsmöglichkeiten durch eingreifende Erinnerungspolitik freizulegen („Peter Weiss und eine neue Politik der Erinnerung”) oder pädagogisches Handeln in gegenhegemonialer Stoßrichtung zu etablieren („Die ‚Linie Luxemburg-Gramsci‘ in der politischen Bildung und Pädagogik“), ist für die Zukunftsfähigkeit linker Projekte mitentscheidend. Wie pädagogische Verhältnisse mit Luxemburg und Gramsci neu durchgearbeitet werden können, prüften bei einem Rundtischgespräch Andreas Merkens, Georg Auernheimer, Gerhardt Zimmer und Dieter Schlönvoigt (RLS). Während erstere eher theoretische Konzepte darstellten, berichtete Schlönvoigt von Erfahrungen aus der politischen Jugendbildung der Stiftung. Besonders die an Augusto Boals Konzeption des „Theaters der Unterdrückten“ angelehnte Arbeit habe zu Erfolgen geführt. Ein Ziel nicht nur der Jugendbildung müsse sein, verschüttete Konzepte der Arbeiterbewegung wieder zu entdecken, wofür von der RLS eine eigene Seminarreihe organisiert wird. Josef Held rekonstruierte das Auftauchen von „Kindern“ im Bewusstsein der modernen bürgerlichen Gesellschaften von zwei Seiten, von den zeit-, kultur- und schichtspezifisch vorherrschenden Kindheitsbildern und von der entwicklungspsychologischen Forschung über konkrete Kinder her. Er hebt die Wechselwirkung beider Perspektiven hervor und beschreibt, wie die Aufmerksamkeit für den Akteursstatus von Kindern steigt. Wenn er nach dem Kritikpotenzial von Vorstellungen von Kindern als Opfern, ‚autonomen‘ Wesen und kompetenten Sozialpartnern fragt, kommen Widersprüche zwischen der scheinbaren Eigenwelt der Kinder und ihrer alltäglichen Zurichtung, zwischen Akteurszuschreibungen und gesteigerten Abhängigkeiten in den Blick. Es tauchen an Produktivkraftentwicklung und Qualifikationserfordernisse gebundene Bedeutungskonstellationen kindlicher Lebensweise auf, die sowohl im Kontext von aktuellen Debatten, z.B. um Frühförderung oder Strafrechtsmündigkeit, als auch für eine von Kindern im Bündnis mit Erwachsenen zu erstreitende Erweiterung von Einflussmöglichkeiten wichtig sind. In der Wörterbuchwerkstatt „Liebesverhältnisse“ ging es um ein Stichwort, dessen Konzeption gerade erst in einem gleichnamigen, im Herbst 2007 erscheinenden Argument-Doppelheft ausgearbeitet wird. Der Begriff soll tauglich sein, die Einspannung dessen, was Liebe genannt wird, in die Reproduktion herrschender Gesellschaft zu fassen. Damit ist er stets im Plural zu gebrauchen, soll er doch nicht auf Beziehungen zwischen Personen verweisen – ein Liebesverhältnis –, sondern auf Verhältnisse, in denen spezifisch herausgebildet wird, was jeweils unter Liebe zu verstehen ist und wie es durchgesetzt wird. „Liebe ist eine Produktion“, sagt Brecht. Die Verhältnisse solcher Produktion sollen Liebesverhältnisse genannt werden. In der Diskussion verdeutlichte sich, dass Liebespraxen permanent von Herrschaftspraxen durchzogen sind, in so verschiedenartigen Momenten wie Erotik oder Nächstenliebe gleichermaßen. Die von Rosa Luxemburg erahnte, von Gramsci sorgfältig untersuchte Bedeutung einer Politik des Kulturellen, deren integrative Funktion im Herrschaftsgefüge des globalisierten Kapitalismus eher noch zugenommen hat, gab einer Reihe von Werkstätten den Einsatz, in denen eine Disposition für die Einträge „Kultur“ und „Kulturpolitik“ erarbeitet, den Vergesellschaftungseffekten einer als Hegemonialkategorie aufgefassten Wertung „klassisch“ nachgegangen (Peter Jehle) und die Frage der im Zuge von Systembrüchen (so in der Französischen und Russischen Revolution, aber auch der ‚Kultur der Postmoderne‘) stets virulent werdenden „Kulturrevolution“ aufgegriffen wurde (Fredric Jameson). Marxistische Denkmittel zu schärfen bemühte sich Wolfgang Fritz Haug in der einzigen direkt auf methodische Weiterentwicklung angelegten Werkstatt „Kategorie“. Gegen die Denkgewohnheit, Kategorie und Begriff synonym zu setzen, geht es ihm um die Rekonstruktion und Zuspitzung einer kritisch-differenzierenden Anordnung beider Terme, die zwar in Marx’ insgesamt flüssiger Verwendung zu finden ist, von diesem aber nicht explizit reflektiert wird. Angesichts des fast zeitgleich stattfindenden G8-Treffens in Heiligendamm kam dem eine Serie von aktuellen Debatten (Klima, Landlosenbewegung, Freie Software-Bewegung) eröffnenden Podium „‚Klimakatastrophe‘ und gesellschaftliche Naturverhältnisse“ die Funktion einer Simultanübersetzung aus dem herrschenden Diskurs zu. Oliver Walkenhorst, Rolf Czeskleba-Dupont, Athanasios Karathanassis, Victor Wallis und Christoph Ohm setzten in ihren Beiträgen an der Frage an, wie die Konjunktur der Klimafrage zu erklären ist und welche Folgerungen für eine ökologisch-emanzipatorische Politik zu ziehen sind. Neben der Einschätzung, welche Kräfte mit welchen Interessen unmittelbar an der Kampagne beteiligt sind (Kapitalfraktionen, Medien, Umweltbewegung, Wissenschaftler, Versicherungswirtschaft), ist v.a. ein scharfes Auge für die ideologische Instrumentalisierung der Thematik nötig, die im Kontext sich ausweitender imperialer Kriege, geostrategischer Überlegungen, von Bemühungen um ein neues globales „Allgemeines“ (Krieg für das Klima nach dem Scheitern des Kriegs gegen den Terror), neuen Konfliktaustragungsformen im binnenimperialistischen Kampf und der Rückkehr der so genannten Sozialen Fragen um sich greift. Bestand Übereinstimmung darin, dass Antworten nur ausgehend vom Zusammenhang von Klassenherrschaft und Naturbeherrschung möglich sind, war doch umstritten, an welche Grenzen kapitalismusimmanente Regulation stößt und welche Fragen sich eine über den Kapitalismus hinausweisende Gegenbewegung stellen muss. Zusammengetragen wurden: Wie kann radikale Klimapolitik von unten aussehen, die von den unmittelbaren Produzenten getragen wird? Wie können sich die Produzenten des Raubbaus der hochtechnologischen kapitalistischen Produktionsweise bewusst werden? Muss das Thema als Ganzes verschoben werden, weg vom klimapolitischen Verelendungsdiskurs, hin zu einer Wachstums- und Ressourcen-Debatte, die die Möglichkeiten und Widersprüche einer weitergehenden Vergesellschaftung der Produktion offensiv aufgreift? Auf einen durch die eigene Bewegung ausgearbeiteten Diskurs (auf Agrarreformen in der Perspektive einer gerechten Gesellschaft zielend, Bildung, Geschlechterfragen und Umweltschutz einschließend) kann sich die „Landlosenbewegung“ in Brasilien beziehen. Sie sieht sich verstärkt Angriffen durch neoliberale Kräfte und Agrobusiness ausgesetzt, denen sie, so Isabel Loureiro, ihr nichtkapitalistisches, agroökologisch orientiertes Bauernlandwirtschaftsmodell entgegen stellt. Die Frage nach den Keimformen einer über den Kapitalismus hinausweisenden Produktionsweise bestimmt das Interesse der Linken an den Diskursen um die so genannte Freie Software-Bewegung und die „Open Source“-Community. Was als Produkt allgemeiner Arbeit keinen Wert hat, so Stefan Meretz, findet sich in vielfältigen Formen in kapitalistische Verwertungsprozesse einbezogen. Die neuen Tendenzen der Produktivkraftentwicklung sind sowohl als Vergesellschaftungsform, mit neuen Subjektanforderungen, Kooperationsmöglichkeiten und Konfliktregulationen, als auch als Umwälzungsferment innerhalb des High-Tech-Kapitalismus zu analysieren, wobei die kapitalistische Formierung v.a. über prekäre Arbeitsverhältnisse der Produzenten und Strategien zur privaten Aneignung und Sicherung der Arbeitsergebnisse geschieht. Auch für die Produktionsweise des HKWM selbst spielen die durch die Bewegung repräsentierten technischen und organisatorischen Innovationen und Schranken eine Rolle, da sich daraus Ansatzpunkte für Verbesserungen der Kommunikationsstruktur, der Kooperations- und der Rezeptionsformen ergeben können, wie in einer die HKWM-Nutzung des Internets prüfenden Ad-hoc-Werkstatt diskutiert wurde. Die Abschlussdebatte über einen von Werner Goldschmidt und Bob Jessop vorgelegten Entwurf rückte mit der Frage nach der Funktionsweise der ökonomischen, politischen und ideologischen Formen der „Klassenherrschaft“ und nach deren Artikulation in den Klassenkämpfen eine Ebene ins Blickfeld, die in Form konkreter Brennpunkte in allen vorangegangenen Veranstaltungen immer schon angezielt war. Ausgehend von Überlegungen von Marx, Engels, Gramsci und Poulantzas wird kapitalistische Klassenherrschaft dadurch gekennzeichnet, dass sie ihren Klassencharakter zu verschleiern sucht. Die Art und Weise der Übersetzung ökonomischer Klassenkämpfe in politische Kämpfe bringt spezifische institutionelle Formen des liberalen, interventionistischen usw. Staates hervor. Die transnationale Restrukturierung der kapitalistischen Produktionsweise ruft allerdings neue Klassenkräfte auf den Plan. Inwieweit verändert dies die Ausübung der Klassenherrschaft in den Nationalstaaten, fragten sich die beiden Autoren. So kann man nicht nur in antikapitalistisch auftretenden Ideologien, wie etwa dem Islamismus, gleichfalls eine Verschleierung von Klassenherrschaft feststellen – im kapitalistischen Führungsstaat, den USA, herrscht eine weitgehend sich offen darbietende Klassengesellschaft, die von der Privatmacht im Mediensektor über private Armeen bis zur Elitenreproduktion auf kurzem Weg zwischen Großkonzernen und Staatsapparat reicht. Die XI. Internationale Tagung des InkriT war eine Praxis des Lernens und der Analyse. Aktuelle gesellschaftliche Brennpunkte und Kampffelder wurden analysiert und die Mittel marxistischer Analyse geprüft und weiterentwickelt. Von Rosa Luxemburg ist die Perspektive zu lernen, die die Arbeitsweise bestimmt: „Ich meine, die Geschichte macht es uns nicht so bequem, wie es in den bürgerlichen Revolutionen war, dass es genügte, im Zentrum die offizielle Gewalt zu stürzen und durch ein paar oder ein paar Dutzend neue Männer zu ersetzen. Wir müssen von unten arbeiten, […] dass wir die Eroberung der politischen Macht nicht von oben, sondern von unten machen müssen.“ („Unser Programm und die politische Situation“, zum „Gründungsparteitag der Kommunistischen Partei Deutschlands vom 30. Dezember 1918 bis 1. Januar 1919 in Berlin“, GW 4, 510)