Tagung BANAL MILITARISM

Das ZENTRUM FÜR KONFLIKTFORSCHUNG an der Philipps-Universität Marburg und der BUND DEMOKRATISCHER WISSENSCHAFTLERINNEN UND WISSENSCHAFTLER (BdWi) waren am 15./16. Oktober 2004 Gastgeber einer Tagung über die Veralltäglichung und Banalisierung des Militärs bzw. des Militärischen.

Das ZENTRUM FÜR KONFLIKTFORSCHUNG an der Philipps-Universität Marburg und der BUND DEMOKRATISCHER WISSENSCHAFTLERINNEN UND WISSENSCHAFTLER (BdWi) waren am 15./16. Oktober 2004 Gastgeber einer Tagung über die Veralltäglichung und Banalisierung des Militärs bzw. des Militärischen. Die unter dem Titel BANAL MILITARISM stehende Veranstaltung zog WissenschaftlerInnen und Studierende unterschiedlicher Disziplinen aus dem In- und Ausland an. In ihrem Einleitungsbeitrag skizzierten Dr. Tanja Thomas (Lüneburg) und Fabian Virchow (Kiel/Berlin) den Grundgedanken des Tagungsthemas: Während unter Militarismus - etwa in seinen historischen Ausprägungen in Deutschland, Japan und Italien - gewöhnlich eine gesellschaftliche Konstellation verstanden wird, in der das Militärische eine bevorzugte Rolle in Staat und Gesellschaft spielt und/oder wo Soldaten ihren Beruf als den eines ‚besonderen Standes‘ begreifen, deren überlegene höherwertige Lebensform anerkannt und von Zivilisten nachgeahmt wird, geht es der Perspektive des Banal Militarism in Anlehnung an das von Michael Billig in seinen Nationalismusforschungen vorgeschlagene Konzept eines Banal Nationalism darum, die nicht-extremen und unspektakulären, dennoch nicht weniger wirkmächtigen gesellschaftlichen Prozesse zu untersuchen, über die Militär und Militärisches als Selbstverständlichkeit (re-)produziert werden bzw. Existenz- und Handlungslogik dieses Gewaltapparates banalisiert wird. Dass an solchen Prozessen nicht alleine militärische Akteure beteiligt sind, skizzierten die Vortragenden exemplarisch anhand der als dual-use-Produkte zu charakterisierenden Kriegsspiele für Computer, die aus einer engen Kooperation zwischen Software- und Spiele-Industrie sowie militärischen Stellen entstehen. Sie dienen nicht nur der Freizeitgestaltung, sondern auch als Mittel der Rekrutierung und der Ausbildung (Simulation). „Banal Militarism“ sollte – dies wurde eingangs nachdrücklich betont und im Laufe der Tagung durch die Bandbreite der präsentierten Themen im Rahmen der Panels aufgezeigt – keineswegs allein als ein von Militär und/oder Politik gesteuerter Prozess missverstanden werden. Im Gegenteil – es wurde vorgeschlagen, die Prozesse eines Banal Militarism als Elemente eines Wandels der politischen Kultur eines Landes zu diskutieren und auch die vielfältigen Prozeduren der Gewöhnung an und/oder Einübung von Denkmustern, Einstellungen und Verhaltensweisen in den Blick nehmen, die – mehr oder weniger – mit einem militärischen Habitus verbunden sind. Somit wurde zu Beginn der Tagung eingeladen, ein Forschungsfeld und zugleich ein Diskussionsforum zu eröffnen, in dem Fragen u.a. nach Formen und Darstellungsweisen des Militärs bzw. von Elementen des Militärischen (z.B. Uniformen, Waffen) in seinen (weitgehend) unspektakulären Ausprägungen und Erscheinungen, nach der Einbindung der staatlichen, semi-staatlichen oder privaten Akteure bzw. Akteursgruppen, den Interaktionen militärischer Einrichtungen mit anderen gesellschaftlichen/kulturellen Akteuren und Milieus sowie schließlich den Auswirkungen solcher Phänomene auf die primär nicht militärischen Teile der politischen und der Alltagskultur aufgegriffen und debattiert werden können. In einem weiteren Plenarvortrag entwickelten Dr. Volker Heins (Frankfurt/Main) und Jens Warburg (Giessen) Überlegungen zu einer Systematisierung der Unterscheidung von Militarismustypen. Sie legten eine vier-Felder-Matrix vor, deren Kombinationen durch die Dimensionen deep bzw. banal und Militarisierung bzw. Demilitarisierung gekennzeichnet waren. Dabei traten sie dafür ein, der Zivilisierung des Militärischen - zumindest jenes westlicher Industrienationen - gebührende Bedeutung beizumessen. Sie verwiesen auf die innere Widersprüchlichkeit des Begriffs vom banalen Militarismus und eröffneten somit den Einstieg in eine ertragreiche Debatte. Diese Debatte griffen auch die beiden Keynote-Speaker der Tagung, Prof. Dr. James der Derian (Brown-University) und Prof. Dr. Robin Andersen (Fordham University), auf; sie stellten Perspektiven und Ergebnisse aus der US-amerikanischen Forschung vor. James der Derian verdeutlichte nicht nur die zahlreichen Formen der Kooperation von militärischen Forschungszentren mit Universitäten und Unternehmen, sondern betonte auch die Deutungsmacht von Militärs, die während des Krieges gegen den Irak als Experten in den Redaktionen der TV-Sender meinungsbildend wirkten (‚embedding the military’). Zur Bekräftigung seiner ebenso engagiert wie fundiert vorgetragenen Kritik an medial vermittelten Entgegnungen auf Kriegspropaganda stellte er seinem Plenumsvortrag Ausschnitte aus einem studentischen Filmprojekt voran, das die Entwicklung medialer Berichterstattungsmuster in den USA seit dem 11.09.2001 thematisiert. Davon ausgehend skizzierte er seine Auffassung und die Entwicklungstendenzen einer US-amerikanischen Vorstellung eines ‚Virtuous War‘, die bereits vor 2001 seinen Anfang nahm und dessen medial vermittelte Auswirkungen aus Sicht der Derians gesellschaftlich zu einer Banalisierung des Militarismus führt. Robin Andersen, deren Buch ‚War and Media. Censorship, Propaganda and Myth in the Information Age‘ in diesen Tagen erscheint, spannte in ihrem facettenreichen Vortrag einen Bogen von einem allgemeinen Trend der ‚Entertainisierung‘ des Politischen bis zur konkreten Boulevardisierung der Kriegsberichterstattung und der Einlagerung militärischer Versatzstücke, Metaphern und Deutungsmuster in populärkulturelle Angebote. Sie plädierte nachdrücklich für eine intensive Diskussion weiterer Phänomene, die auch sie als ‚Banal Militarism‘ kennzeichnen will. In den parallel stattfindenden Panels sprachen Dr. Markus Euskirchen (Berlin) über Militärrituale und Dr. Anette Schröder (Hannover) über Militär und Krieg als Generatoren männlicher Tugenden. Während Katharina Wessely (Wien) die Thematisierung von Krieg und Militär im deutschsprachigen Theater der ersten tschechoslowakischen Republik darstellte und dabei auf die Spannung zwischen der mehrheitlich ablehnenden Präsentation des Krieges einerseits und der positiven Bewertung des Militärs verwies, machte Dorothea Flothow (Tübingen) in ihrer Arbeit über Krieg und Militär in englischen Kindergeschichten im Zeitraum 1870 bis 1914 deutlich, dass Krieg darin in der Regel als Abenteuer verharmlost und banalisiert wurde. Am zweiten Konferenztag verdeutlichte Dr. Tanja Thomas (Lüneburg) anhand der jüngeren Entwicklung in der Bundesrepublik Deutschland, wie im Zuge der Kooperation der Bundeswehr mit Musikbands, RadiomoderatorInnen und Comedians die Dienstleistung der Truppenbetreuung an Bedeutung gewinnt und Rückschlüsse auf eine Veränderung der politischen Kultur zulässt. Dass die Einbindung von Musikstars in militärische Strukturen im Kontext gesamtgesellschaftlicher Prozesse zu sehen ist, zeigte im Anschluss auch Katja Scherl (München), die der Veränderung der öffentlichen Darstellung von Elvis Presley nachspürte, dessen Bild sich mit dem Eintritt in die Armee vom ‚jugendlichen Rebellen‘ zum ‚Bürger in Uniform‘ wandelte. Während sich Eva Kingsepp (Stockholm) in der Tradition der kritischen Cultural Studies mit den in Computerspielen produzierten (mythischen) Bedeutungsproduktionen über den Nationalsozialismus und deren Aneignung durch Konsumenten befasste, fokussierte Carsten Hennig (Frankfurt/Main) auf die post-9/11 Filmproduktionen aus den USA, in denen vergangene Kriege in einer Art thematisiert würden, die die Überwindung der dabei erlittenen Traumata durch eine – dieses Mal heldenhaft siegreiche – Wiederholung nahelegten. Fabian Virchow (Kiel/Berlin) legte das Augenmerk auf die Entwicklung der Kooperation zwischen Sportverbänden und Bundeswehr, die im Bereich der Spitzensportförderung zu einer gestiegenen Abhängigkeit des Sports/der SportlerInnen von der Bundeswehr geführt hätten; zugleich werde der Sport zunehmend als Rekrutierungsmedium für zukünftige SoldatInnen eingesetzt. Unter einem semiotischen Blickwinkel standen die Überlegungen, die Eugen Januschke (Berlin) vorstellte: er kontrastierte die Verwendung von einzelnen militärischen Kleidungsstücken als modische Accessoires mit der Verwendung von kompletten Uniformen mit Dienstrangabzeichen durch Militärangehörige und erläuterte vor diesem Hintergrund die Bedeutung des Transfers von Zeichen in einen neuen Kontext. Bei diesem Vorgehen könne die Differenz als Unterschied zwischen banalem und klassischem Militarismus gelesen werden. Die große Spannbreite des bisher weitgehend vernachlässigten Forschungsfeldes ‚Banal Militarism’ machten zum Abschluss der Tagung noch einmal Dr. Michael Berndt (Habichtswald) und Kathleen Nawyn (Washington, DC) in zweierlei Hinsicht deutlich. Während Berndt einen theoretisch angelegten Interpretationsrahmen hinsichtlich der Herstellung von Akzeptanz zum Einsatz militärischer Gewalt anbot, suchte Nawyn nach historischen Erfahrungen der De-Militarisierung auf der Mikro-Ebene und stellte in diesem Zusammenhang ihre Forschungen zur Straßenumbenennung und zum Umgang mit Kriegsdenkmälern im US-verwalteten Baden-Württemberg 1945-1947 vor. Die Auseinandersetzungen mit dem Begriffskonzept, die Notwendigkeit einer historischen Kontextualisierung sowie eine Diskussion über Kontinuitäten und Brüche mit Blick auf den Begriff des ‚Militarismus’ und dessen gesellschaftliche Umsetzungen waren ein wichtiger gemeinsamer Bezugspunkt der Diskussionen unter ReferentInnen und TeilnehmerInnen. So ließ sich nicht allein unter den ReferentInnen weitgehend Konsens hinsichtlich der Produktivität des Konzepts des Banalen Militarismus erarbeiten, sondern es ist gelungen, auch WissenschaftlerInnen sowie insbesondere auch Studierende, die als TeilnehmerInnen gekommen waren, für dieses Forschungsfeld eingehender zu interessieren. Dies ist ein wichtiges Ergebnis dieser Tagung; der Vorschlag der Organisatoren Fabian Virchow und Dr. Tanja Thomas zur Gründung eines Arbeitskreises stieß auf reges Interesse, so dass weitere Forschungsaktivitäten und Veröffentlichungen erwartet werden dürfen. Die Tagung fand finanzielle Unterstützung bei der GEW Hessen, dem DFG/VK-Bildungswerk Hessen, der Rosa-Luxemburg-Stiftung (RLS) und dem Arbeitskreis Marburger Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler für Friedens- und Abrüstungsforschung (AMW). Eine Auswahl der Tagungsbeiträge, die das Forschungsfeld aus historischer, kunsthistorischer, soziologischer, politik-, literatur-, kultur- und medienwissenschaftlicher Perspektive ausleuchten, ist zur Veröffentlichung vorgesehen.