Kleinere Veranst. Projekt

Mythos «Mitte» oder: Die vergessene Klassenfrage

Information

Jahr

2018

Typ

Kleinere Veranst.

Träger, Projekt­verantwort­liche

Marion Liebhold

Förder­summe

500 €

Beschreibung

Am 02.07.18  im  Café Morgenrot in  Berlin
Politik, die von der Klassenfrage nichts wissen will, hat sich schon immer gerne auf die Mittelschicht oder gar den deutschen «Mittelstand» berufen. Die Mitte wird zum sozialen Sehnsuchtsort und zugleich zur politisch-moralischen Norm. Kein Wunder, dass es fast alle Parteien in diese Mitte drängt. Trotz der wachsenden sozialen Spaltung ist fast nirgends mehr von einer Klassengesellschaft die Rede. Sozialwissenschaften und Feuilletons sprechen lieber von
Ungleichheit und sorgen sich vorzüglich um die angeblichen und tatsächlichen Ängste einer gedankenlos beschworenen Mitte. Im Lichte solcher öffentlichen Diskurse verorten sich viele abhängig Beschäftigte in dieser «Mittelschicht» – ungeachtet der gemeinsamen Lohnabhängigkeit, die sie mit anderen als Klasse verbindet. Die eingeübte Selbsttäuschung hat eine lange Geschichte. In seinem Essay «Mythos Mitte» nimmt Ulf Kadritzke diese Mitte-Erzählung zunächst historisch in den Blick. In einem gezielten Rekurs auf Klassenanalysen über die Angestellten der Weimarer Zeit fragt er mit Siegfried Kracauer, Theodor Geiger, Carl Dreyfuss und anderen, was diejenigen, die damals als «neuer Mittelstand» bezeichnet wurden, als Teil einer übergreifenden Klasse ausmacht. Gemessen an ihren Lebensbedingungen und ihrem Beschäftigungsstatus war die Mehrheit der Angestellten eindeutig proletarisiert. Politisch und kulturell ordneten sich dennoch viele dem «bürgerlichen Stand» zu. Dieser und andere Widersprüche zwangen die Weimarer Soziologen dazu, den Begriff der Klasse differenzierter zu fassen und damit die realen Verhältnisse genauer zu deuten. Daran lässt sich heute anknüpfen. Ulf Kadritzke wird vor diesem Hintergrund seine Gedanken zur gegenwärtigen Klassengesellschaft umreißen und ein Gegenbild zu den Befunden einer «klassenvergessenen» Ungleichheitsforschung entwerfen.


Projektbetreuung: Landesstiftung Berlin: Helle Panke