Es wird alles andere als ein Begräbnis sein ...

Als am Dienstagabend im Goetheinstitut in Porto Alegre sich etwa jeder sechste oder siebte der gut zweihundert „deutschsprachigen“ TeilnehmerInnen am Weltsozialforum  als Medienvertreter outete – und zwar von der FAZ über das österreichische Fernsehen oder das ZDF bis zur Jungle World – wurde rasch vermutet, dass diesem Medienrush die Hoffnung zugrunde lag, an Beerdigungsfeierlichkeiten teilnehmen zu können. Das Ende des Projekts WSF  ist für viele schon lange eingeläutet. Die Dynamik der Lulapolitik ist dahin. Vor Ort, im Bundesstaat und in Porto Alegre selbst, wurde die PT abgestraft und abgewählt. Die Globalisierung des Projekts WSF hat immer noch trotz vieler Bemühungen buchstäblich Grenzen: Afrika, weite Bereiche Asiens, Russland, China, Osteuropa. Nicht von der Hand zu weisen sind klare Repräsentationsprobleme – auch das Netzwerk WSF ist keine sonderlich partizipatorische Angelegenheit… Das WSF 2005 findet auf der Straße und in Zelten statt. Über 2000 Veranstaltungen werden ab morgen angeboten, Hunderte weißer Zelte sind in der Stadt verstreut, dazwischen Hauptverkehrsstraßen, Übersetzungsanlagen, Mikrophone, Demonstrationen, Dauertrommeln, Losungspathetik. Der kognitive Gehalt muss sich unter recht komplizierten Bedingungen durchsetzen. Die neue Stadtregierung lässt massiv Polizeipferde drohlaufen, das ist anders geworden. Jetzt schon avisiert sind über 100 000 TeilnehmerInnen, es werden noch ein paar Zehntausend mehr werden. Ein paar Zehntausend sind schon in der Stadt – der Eröffnungswalk beginnt heute um 16 Uhr und mündet in eine lange Kulturnacht – ein Fortschritt gegenüber der offiziös-deklaratorischen Eröffnung auf dem letzten POA-Forum. Die Menge kulturell selbstverliebter Kleingruppen, die mit wichtigen Mitteilungen lauthals durch die Stadt stromern, nimmt von Stunde zu Stunde zu. Die Geopolitik der Veranstaltung ist experimentell: elf thematische Felder wurden geschaffen, die Dutzende –oder Hunderte - Veranstaltungen vergleichbarer Thematik am selben Ort / in derselben Region versammeln. Wer das eine Zelt verlässt, kann sich im nächsten kritisieren lassen. Die ganze Sache kostet über 3 Millionen Euro, davon bezahlen die TeilnehmerInnen gerademal so rund 7 %, der Rest kommt weit überwiegend vom brasilianischen Staat; es bleibt noch ein großer Brocken von Sponsoren („Eine andere Bank ist möglich!“) die zur Stunde ihre Stände am zentralen Platz am Gasometer gerade zusammenhämmern. Wer es ist, kann man auf der offiziellen (und im übrigen völlig partizipationsfreien) Website nachlesen. Vor allem ist interessant, wer sich dort nicht findet. Aber der simple Punkt ist: Ohne Staat kein WSF. Und: ein Projekt dieser Größenordnung mit einem solchen Betrag im Vergleich zur Normalwelt professioneller Eventbudgets natürlich total unterfinanziert, eine ungeheure Menge „ehrenamtlichen“ Engagements, der Mobilisierung von Eigenmitteln etc. ist notwendig und auch sichtbar. Das WSF mobilisiert weiterhin politische Power. Wo es aber zukünftig sein soll, darüber wurde eben tagelang gestritten im International Council. Porto Alegre ist vorläufig aus dem Geschäft. Es sollen 2006 dezentrale WSF-Veranstaltungen an vielen verschiedenen Orten auf dem Globus stattfinden, dann, 2007, wird das WSF in Afrika stattfinden. Ort und Zeit noch offen. Darüber und über 2008 wird bis April gestritten. Die Richtung geht deutlich auf Veränderung: der Rat wird neu zusammengesetzt, eine Menge VertreterInnen aus Asien und Afrika werden in den Rat kommen. Ein Solifonds wird eingerichtet werden. Es wird sich zeigen, ob diese Verabschiedung vom Mythos Porto Alegre eine kluge Entscheidung war. Die Rosa Luxemburg Stiftung fiel „bei Goethes“ auf. Während andere politische Stiftungen weniger präsent waren, ist sie vorhanden. Im Endeffekt macht sie an rund drei Dutzend Veranstaltungen mit. 76 Veranstaltungen bieten Organisationen und Initiativen aus Deutschland an, in einem gesonderten Programmheft mittlerweile zusammengestellt. Niemand weiss, was klappen wird. Begreifen kann man das Laboratorium nicht: es ist zu groß, um operativ zentral gesteuert und verstanden zu werden. Aber eines ist jetzt schon sicher, bevor das nun fünf Jahr alt gewordene Weltsozialforum beginnt: es wird alles andere als ein Begräbnis sein.