Bürgerversicherung - Modelle
Viola Schubert-Lehnhardt
Bürgerversicherung im Gesundheitswesen
– Schlagwort bei verschiedenen Parteien und Organisationen – zu Unterschieden und Gemeinsamkeiten vorliegender Konzepte
Nahezu 90% der deutschen Bevölkerung sind in der gesetzlichen Krankenversicherung versichert. Deren Einnahmen gehen jedoch seit Jahren vor allem durch die steigende Massenarbeitslosigkeit, Lohndumping, prekäre Beschäftigungsverhältnisse und „Verschiebebahnhöfe“ zulasten der gesetzlichen Krankenversicherung zurück. In der Vergangenheit wurde durch mehrere Regierungen versucht, dieses Finanzproblem vor allem durch Beitragserhöhungen (die Krankenkassenbeiträge stiegen von 1960 auf das Doppelte, auf 14%) und einseitige (Zu)Zahlungen seitens der Versicherten (Praxisgebühr, Streichung von Leistungen aus dem Leistungskatalog etc.) zu lösen. Weiterhin wurde versucht, dieses Einnahmeproblem als Problem gestiegener Gesundheitskosten, d.h. als Ausgabenproblem (Stichwort „Kostenexplosion im Gesundheitswesen“) und darzustellen.
Auch im Rahmen der Debatten um „den Standort Deutschland“ wurde zusammen mit der Argumentation um die „zu hohen Lohnnebenkosten“ auf die zu hohen GKV-Beiträge auf Unternehmerseite verwiesen und begonnen, andere Modelle für eine moderne Krankenversicherung zu entwickeln. Die Überlegungen dazu beinhalten- die Ausweitung der Bemessungsgrundlage (z.B. Anhebung der Beitragsbemessungsgrenze)
- Ausweitung des versicherten Personenkreises (z.B. Anhebung der Versicherungspflichtgrenze oder Bürgerversicherung)
- einkommensunabhängige Gestaltung der Beiträge (z.B. Kopfpauschalen)
- Veränderung der paritätischen Finanzierung (z.B. „Einfrieren“ das Arbeitgeberanteils auf 6,5% der Lohnkosten)
- Ausweitung von Selbstbeteiligung und Leistungsausschluss (z.B. im Krankenhaus, bei ambulanter Behandlung, Ausschluss von Zahnersatz)
- teilweise Verlagerung der Finanzierung auf Steuern.
Zu den Unterschieden im Modell „Bürgerversicherung“:
Wer soll versichert werden?
Im Modell der PDS sollen ab dem Datum der Einführung alle BürgerInnen, auch Beamte, PolitikerInnen und Selbständige versichert werden. Dadurch wird in diesem Modell die private Vollkrankenversicherung überflüssig, es entfiele auch die Versicherungspflichtgrenze . Damit würde weiterhin sofort die jetzt übliche „Rosinenpickerei“ (Auswahl der sog. „guten Risiken“ durch die privaten Kassen und Zuweisung der „teuren Patienten“ an die gesetzlichen Kassen) entfallen. Jede Kasse wäre verpflichtet, alle Menschen als Mitglieder aufzunehmen.
Die PKV könnte als Träger für Zusatzversicherungen für Leistungen außerhalb des Leistungskatalogs weiter bestehen bleiben.
Im Modell von SPD sowie dem von Bündnis 90/Grüne sollen zunächst nur alle neuversicherten BürgerInnen verpflichtet werden, in die Bürgerversicherung einzutreten. Bereits versicherte BürgerInnen hätten die Wahlfreiheit. Damit blieben zum einen GKV und PKV nebeneinander bestehen. Zum anderen verzögert sich der angestrebte finanzielle solidarische Effekt bis weit über 2050 hinaus.
Unterschiedliche Positionen gibt es auch zur Beitragsfreistellung:
Im PDS-Modell sind Kinder und Jugendliche bis 27 Jahre ohne eigenes Einkommen, sowie erziehende und pflegende Familienangehörige beitragsfrei mitversichert, Erwerbslose und Sozialhilfe Empfangende sind durch Sozialleistungsträger versichert.
Die SPD möchte das individuelle Arbeits- und Vermögenseinkommen für eine Beitragsfreiheit zugrunde legen; Bündnis 90/Grüne wollen einen Freibetrag für Erwerbslose, Ehegattensplittung und Freistellung von erziehenden und pflegenden Familienangehörigen.
Welche Einkommensarten werden in die Berechnung einbezogen?
Die Finanzierung soll bei allen Vertretern auf 2 Säulen beruhen – zum einen die Einkünfte aus Erwerbstätigkeit, zum anderen auf den weiteren Einkünften. Dieser Ansatz berücksichtigt folgende Entwicklung seit den 80er Jahren: die Höhe der Lohnquote am Volkseinkommen in Deutschland ist rückläufig bzw. stagniert, der Anteil anderer Einkommensarten ist demgegenüber gestiegen. Weiterhin mindert dieser Ansatz die Abhängigkeit der Krankenversicherung von der konjunkturellen Entwicklung und dem Beschäftigungsgrad – am konsequentesten im Modell der PDS (s. Wertschöpfungsabgabe). Unterschiedliche Standpunkte gibt es dann jedoch zu beiden Säulen. Bezüglich der ersten Säule (Einkünfte aus Erwerbstätigkeit) betreffen diese die Höhe bzw. die generelle Beibehaltung einer Beitragsbemessungsgrenze . Im Modell der PDS soll diese zunächst angehoben werden (auf 5100 €) und dann sukzessive wegfallen. SPD und Bündnis 90/Grüne wollen sie erhalten, gestritten wird über deren Höhe. Zur zweiten Säule existieren unterschiedliche Standpunkte dahingehend, welche anderen Einkünfte in die Berechnungen einfließen sollen. PDS und Bündnis 90/Grüne wollen konsequent alle weiteren Einkünfte (Zins-, Miet-, Pacht- und weitere Kapitaleinkünfte in die Berechnung einbeziehen. Für Kleinsparer soll dabei ein Freibetrag berücksichtigt werden. Im Gegensatz will die SPD Miet- und Pachteinnahmen wegen „Schwierigkeiten bei der Berechnung“ nicht berücksichtigen. In allen Modellen würde dadurch der prozentuale Beitragssatz sinken – auf Grund der unterschiedlichen Eintrittsdaten der neu zu versichernden BürgerInnen liegen hierzu eine Vielzahl von Berechnungen vor. Auf deren Darstellung soll hier jedoch verzichtet werden.Beteiligung der Unternehmen
Im PDS-Modell ist hierfür die Berechnung nach einer Wertschöpfungsabgabe des Unternehmens vorgesehen (gegenwärtig orientiert sich die Beitragsbemessung der Unternehmen an der Bruttolohnsumme. Dadurch haben kapitalintensive gegenüber personalintensiven Unternehmen bei der Finanzierung der Krankenversicherung Vorteile. Mit dieser Orientierung auf eine Wertschöpfungsabgabe soll gleichzeitig der Abbau von Arbeitsplätzen „aus Gründen der Lohnnebenkosten“ verhindert werden). Die SPD möchte eine paritätische lohnbezogene Finanzierung beibehalten; das Modell von Bündnis 90/Grüne sieht eine Deckelung der Arbeitgeberbeiträge auf 6,5% der Lohnkosten vor.Leistungskatalog und Zuzahlungen
Die PDS will den Leistungskatalog neu bestimmen, für SPD und Bündnis 90/Grüne gilt der von der jeweiligen Krankenkasse beschlossene Leistungskatalog als das „medizinisch Notwendige“.Finanzierungsprinzip
Die PDS setzt sich für die Rücknahme der 10 € Praxisgebühr, SPD und Bündnis 90/Grüne wollen diese beibehalten. Übereinstimmung besteht in allen Modellen zur Beibehaltung des Sachleistungsprinzips. Einig sind sich wiederum alle Propagandisten des Modells Bürgerversicherung, dass die Finanzierungsreform in der Krankenversicherung mit weiteren Strukturreformen im Gesundheitswesen verknüpft werden muss – hierzu sei auf das rls- Standpunktepapier zum Thema „Mehr Qualität, mehr Effektivität und mehr Patientenrechte – Vorschläge zu notwendigen Strukturreformen im Gesundheitswesen“ verwiesen.
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