11. Juli 2019 Diskussion/Vortrag '… miei piacevoli progressi / Vanno mal tutti quanti.' Don Giovanni als Theater des Scheiterns

Tanja Schwan (Leipzig)

Information

Veranstaltungsort

Universität, Hauptgebäude
018
Universitätsplatz
18055 Rostock

Zeit

11.07.2019, 18:00 - 19:30 Uhr

Themenbereiche

Geschlechterverhältnisse

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Charismatischer Verführer, Womanizer und Latin Lover, libertino par excellence – in der Stofftradition des Don Juan markiert Mozarts Don Giovanni (1787) unbestritten den Höhepunkt. Was aber, wenn sich schon hier, in wiederholten Vereitelungen seiner Verführungsakte, jenes Scheitern des Libertin manifestierte, das für spätere Verkörperungen des Typus prägend wird?

Dass alle erotischen Manöver des „giovane cavaliere estremamente licenzioso“ ins Leere laufen, ist – so meine These – dem sprichwörtlichen ‚Altern‘ der Figur geschuldet. (Literar-)Historisch steht Don Giovanni genau da, wo seine Verführungsgewalt zugleich kulminiert und in ihr Gegenteil kippt. Musik und Text arbeiten dabei gegeneinander. Zehrt der Opernheld noch vom Freiheitspathos, dem er mit betörender Stimme Gehör verschafft, so ist ihm in Da Pontes Libretto kaum mehr geblieben als die überkommene Fama des Herzensbrechers. Dem beredten Zeugnis seines Alter Egos Leporello, wonach Don Giovanni die Frauen reihenweise zu Fall bringt, spricht die Handlung des dramma giocoso Hohn, enden die vergeblichen Verführungsakte doch allesamt auf der Flucht – ob die geplanten Stelldicheins nun von Dritten gestört oder gar nicht erst in Angriff genommen werden. So lautstark sich die Potenz Don Giovannis auch geltend macht, bleibt sie doch rein rhetorisch. Stimmgewaltig und tatenarm, treibt es ihn von einer Schönen zur nächsten. Je mehr amouröse Abenteuer er projektiert, desto weniger erfüllen sie sich; je virtuoser der Verbalerotiker sich vernehmen lässt, desto kläglicher scheitert er. Je glamouröser das Renommee, desto peinlicher das Versagen, wenn den geschliffenen Worten keine Taten folgen. Die gut geölte Verführungsmaschinerie ist derart überdreht, dass sie sich erschöpft und verbraucht hat, bevor sie erneut in Gang kommen kann.

Akt für Akt führt Don Giovanni ein Theater des Scheiterns auf, führt er sich selbst als Verführergestalt vor, die sich längst überlebt hat. In dem Maße, wie er den eigentlichen Akt verfehlt, wird er als Theaterfigur durchschaubar, als hohle Maske, die nach Belieben an- und abgelegt werden kann. Jene Entdonjuanisierung wird sich bei den intermedialen Erben Don Giovannis wie in einer Endlosschleife wiederholen. Ist der Ruf erst ruiniert, so lassen sich den vorhersehbaren Misserfolgen auf erotischem Parkett durchaus ironische Volten abgewinnen. Dies zeigen nicht nur neuere Inszenierungen des Don Giovanni, sondern auch die Auftritte seiner literarischen und filmischen Nachfahren, die einen Mythos, der zum Selbstläufer geworden und dessen Scheitern vorprogrammiert ist, in 1003 Variationen re-aktualisieren.

Bio

Tanja Schwan, Dr. phil., ist wissenschaftliche Mitarbeiterin an den Instituten für Romanistik und Germanistik der Universität Leipzig, wo sie 2008 mit einer Dissertation zu Geschlechterperformanzen im historischen Umbruch: Renaissance und Avantgarde promoviert wurde und derzeit ihre Habilitationsschrift vorbereitet (Arbeitstitel: „Papierne Passionen. Melodramatik und Metafiktionalität in Roman und Oper des 19. Jahrhunderts“). Frühere Stationen ihres wissenschaftlichen Werdegangs waren – neben Leipzig – das Institut für Romanistik der Universität Rostock (2016/17), das Zentrum für Interdisziplinäre Frauen- und Geschlechterstudien (ZIF) der Universität Hildesheim (2014-16), das Romanische Seminar der Universität Mannheim (2009-11) und verschiedene DFG-Projekte der Universität Siegen (Kulturwissenschaftliches Forschungskolleg „Medienumbrüche“, 2003-05; Metzler Lexikon Gender Studies/Geschlechterforschung, 2002). Forschungsinteressen und Publikationen im Bereich der literatur- und kulturtheoretischen Theoriebildung (Gender Studies, Performativitätskonzepte, Emotionsforschung, Intermedialität) sowie der Modellierung von Affekt, Körper und Gender in den romanischen Literaturen und Kulturen (Oper, Film, Performancekunst) von der Frühen Neuzeit bis zur Gegenwart.

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Stellv. Regionalbüroleiter Mecklenburg-Vorpommern, Rosa-Luxemburg-Stiftung Mecklenburg-Vorpommern

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