Die freie Meinungsäußerung ist stets bedroht oder nicht vorhanden, am meisten durch Krieg und Nationalismus. Deshalb gründete vor rund 100 Jahren, im Oktober 1921, die englische Schriftstellerin Catherine Amy Dawson Scott das PEN INTERNATIONAL, eine Autorenorganisation, die sich für das freie Wort einsetzt. In unserer durch Migration und Flucht stark geprägten Zeit ist Ende der 1990er Jahre im PEN das Writers-in-Exile-Programm entstanden. Unter uns leben Verfolgte aus vielen Ländern, aus Uganda, Syrien oder Belarus.
Geschichten von Fliehenden ähneln den Botenberichten des klassischen Dramas: In ihnen verdichten sich planetarische Konflikte, gestern wie heute. Bereits Bertolt Brecht, der vom sowjetischen Wladiwostok im Juni 1941 den Pazifik überquert hatte und im kalifornischen Santa Monica angekommen war, sah «auf dem letzten Boot» eine neue «Landschaft des Exils», so der Titel seines Ankunftsgedichts, in dem er sich und seinesgleichen als «Boten des Unglücks» bezeichnete. Als solche sind Flüchtlinge nicht nur Seismographen einer Epoche, die von jeher durch historische Ereignisse und Unglücke gekennzeichnet ist, sondern sie prägen zunehmend die Erinnerungskulturen in den großen Städten, die dem Turm von Babel ähneln. Oft flieht man dorthin, wohin andere zuvor ausgewandert sind.
Die bisherigen Veranstaltungen der Reihe «Seismographen des Wandels» sind auf unserer Website dokumentiert: Teil 1 | Teil 2 | Teil 3 | Teil 4 | Teil 5 | Teil 6.
Belarus ist in unseren Breiten ein für viele unbekannter Staat, obwohl er geographisch gesehen in der Mitte Europas liegt. Er gehört zu Sarmatien, so nannte man in der Antike das weite Land zwischen Ostsee und Schwarzem Meer. Es ist auch das Traumland des Dichters Bobrowski, ein Gebiet, «in dem alle Völker und Religionen Platz fänden, hätte nicht die Geschichte alles eins ums andere Mal umgepflügt». Mit einer Dichterin von dort, die aber im Exil in Deutschland leben muss, betrachten wir die Region, aus der man immer wieder fliehen muss.
Die Region ist durch den Krieg in der Ukraine und der dadurch ausgelösten Weltkrise, die bis zum Atomkrieg eskalieren kann, präsent. Ein- und Ausblicke in diese neue Mitte der Welt werden gegeben.
- Volha Hapeyeva, viel übersetzte Autorin, Mitglied des PEN-Zentrums Belarus, Stipendiatin des Writers-in-Exiles-Programms, liest Gedichte aus ihrem aktuellen Gedichtband «Mutantengarten» (Edition Thanhäuser) und Prosa aus «Camel-Travel» (Droschl). Wir sprechen mit der promovierten Sprachwissenschaftlerin über die Verteidigung der Poesie in Zeiten dauernden Exils, so der Titel ihres prägnanten Essays, für den sie den renommierten Wortmeldungspreis 2022 erhielt.
- Astrid Vehstedt, international tätige Regisseurin und Autorin, Vizepräsidentin vom PEN-Zentrum Deutschland, erzählt aus der Geschichte vom PEN und erläutert ihre Arbeit als Writers-in-Exile-Beauftragte.
- Achim Engelberg, Publizist und Buchautor, führt durch den Abend und liest eine Passage aus seinem aktuellen Buch «An den Rändern Europas» (DVA/Penguin Random House) über Flüchtlinge gestern und heute.
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Dr. Uwe Sonnenberg
Referent für Zeitgeschichte und Geschichtspolitik, Rosa-Luxemburg-Stiftung
E-Mail: uwe.sonnenberg@rosalux.org
Telefon: +49 30 44310 425