6. Dezember 2017 Diskussion/Vortrag Kritische Theorie, populistische Praxis? Zur Kritik und Ambivalenz rechts- und linkspopulistischer Krisenreaktionen

Information

Veranstaltungsort

TU Dresden, Hörsaalzentrum
Bergstr. 64
01069 Dresden

Zeit

06.12.2017, 18:30 - 20:30 Uhr

Themenbereiche

Neonazismus / Rassismus, Kapitalismusanalyse

Zugeordnete Dateien

Mit Felix Schilk (TU Dresden) und Dr. Tino Heim (Sozialwissenschaftler)
Eine gemeinsame Vortrags- und Diskussionsreihe des Referates politische Bildung (StuRa der TU Dresden) und der RLS Sachsen
 
Die sich zuspitzenden multiplen Krisenkonstellationen haben in den letzten Jahren EU-weit zu einem Anwachsen rechter und linker Protest- und Empörungsbewegungen geführt. Entgegen aller Hoffnungen, dass Gesellschaftskritik damit endlich wieder eine unmittelbare Relevanz für praktische Kämpfe gewinnen könne, bietet aber gerade auch der Linkspopulismus kaum adäquate Perspektiven der Analyse, Bearbeitung oder gar Überwindung der Krisenursachen. Er erweist sich vielmehr selbst als Ausdruck tiefgreifender gesellschaftlicher Widersprüche und Krisen. Das geteilte Problem eines hier sichtbar werdenden Verfalls des gesellschaftskritischen Denkens soll in der letzten Sitzung der Reihe aus zwei verschiedenen und teilweise kontroversen Perspektiven sondiert und gemeinsam diskutiert werden.

Felix Schilk: Der weltweite Aufstieg des Rechtspopulismus wird in der Regel durch zwei Motive erklärt: Als identitätspolitische Strategie und als Besetzung der sozialen Frage von rechts. Dieser Transformation der politischen Topographie versucht der Linkspopulismus, meist unter Berufung auf seine prominente Vordenkerin Chantal Mouffe, nicht zuletzt mit agonalen Feindbildern und affektiver Sinnstiftung zu begegnen. Im Vortrag sollen Gemeinsamkeiten des linken und rechten Populismus aufgezeigt, ihre sozialen und sozialpsychologischen Ursachen benannt und anschließend einer Kritik unterzogen werden. Dabei wird deutlich, dass die demagogische Form des linken Populismus politische Ohnmacht und soziale Unmündigkeit reproduziert, anstatt die Ursachen für gesellschaftliche Krisen aufzuklären.

Tino Heim: Gesellschaftskritik ist gegenwärtig mit einem doppelten Generalvorwurf konfrontiert. Zieht sie sich auf wissenschaftliche Analyse zurück, erscheint dies als Flucht in elitäre Spezialdiskurse, die die Nöte der ‚einfachen Menschen‘ einer autoritären Anrufung von rechts überlassen. Mischt sie sich aktiv in gesellschaftliche Kämpfe und in Artikulationen diffuser Unzufriedenheiten ein, steht sie in Verdacht selbst populistisch zu agieren und die Muster rechter Anrufungen zu reproduzieren. Beide Vorwürfe sind oft berechtigt, erweisen sich aber letztlich als zwei Seiten desselben Problems einer fortschreitenden Trennung von Theorie und Praxis der Kritik. Dies stellt vor einige Fragen: Können praktische Kämpfe ohne Affekte auskommen und können an sie dieselben Kriterien angelegt werden wie an wissenschaftliche Analysen? Gibt es Momente eines ‚Linkspopulismus‘, die in Inhalt und Form vom Rechtspopulismus unterscheidbar wären? Und (nicht zuletzt) können theoretische Analyse und praktische Kritik wieder in ein anderes, wechselseitig reflexives Verhältnis gebracht werden?

 
Zur Reihe:
In der Weltwirtschaftskrise 2007/2009 konstatierte selbst der gesellschaftstheoretische In der Weltwirtschaftskrise 2007/2009 konstatierte selbst der gesellschaftstheoretische Mainstream eine grundlegende Krise des Kapitalismus. Neue Krisenausprägungen sind hinzugekommen, alte haben sich verschärft. Die damit eng zusammenhängende wachsende politische Polarisierung und der Aufstieg rechtspopulistischer Parteien und Bewegungen geben Anlass, Ursachen und Wesen der Gesellschaftskrise zu hinterfragen. Dabei bedarf auch die Krise der Kritik selbst, das Fehlen eines Aufschreis kritischer Intellektueller und eines wirksamen Streitens um kulturelle Hegemonie, der Aufarbeitung. Warum fehlen in der Parteienlandschaft wie in den Gewerkschaften bei allem wachsenden Krisenbewusstsein Positionen, die eine dezidiert linke Kritik am gesellschaftlichen Status Quo verbalisieren? Warum bleibt die Kritik in aktuellen sozialen Bewegungen oft oberflächlich und begriffslos? Wie lassen sich verschiedene Krisenausprägungen auf adäquate Begriffe bringen? Wo kann eine der gegenwärtigen Krise entsprechende Neubestimmung der theoretischen Grundlagen von Kritik an Klassiker der kritischen Gesellschaftstheorie - von Marx über Gramsci und die Frankfurter Schule bis zu Foucault - anknüpfen und wo sind neue Ansatzpunkte linken Denkens erfordert? Pierre Bourdieu hatte eine „ökonomische Alphabetisierungskampagne“ gefordert. Diese tut dem sozialwissenschaftlichen Denken, dass die Reflexion auf die strukturellen Bedingungen vieler sozialer Phänomene in den kapitalistischen Produktionsverhältnissen oft über Bord geworfen hat, heute ebenso Not, wie eine sozialwissenschaftliche Alphabetisierung der Ökonomie erfordert wäre, um 'Marktgesetzte' nicht als unabwendbare Naturgesetze zu begreifen, sondern als Ausdruck, historisch gewordener und damit veränderbarer gesellschaftlicher Verhältnisse. Krisen sind immer auch der Beginn von etwas Neuem und können als Chancen und Aufbruchssignale wirken. Ob und wie solche Chancen in konkreten gesellschaftlichen Kämpfen genutzt oder verspielt werden hängt nicht zuletzt von den Fähigkeiten zur Reflexion auf die Ursachen und Wirkungszusammenhänge der Krisen und auf die möglichen Bedingungen anderer Formen der Vergesellschaftung ab.

 

Standort