Dass es sich derzeit im Osten unseres Kontinents um die nach Art. 51 der UN-Charta legitime Selbstverteidigung der Ukraine gegen eine bewaffnete Aggression handelt, wird kaum bestritten. Auf einer zweiten Ebene ist es indessen ein Stellvertreterkrieg, den die Ukraine für "den Westen", also die USA und die NATO, zwecks nachhaltiger Schwächung des Gegners gegen Russland führt - mit der ökonomischen Rivalität und dem sich anbahnenden geopolitischen Supermächte-Ringen USA-China im Hintergrund. (Auch die innerukrainische Vorgeschichte des Krieges ist wesentlich komplizierter als in den großen deutschen Medien suggeriert.)
Neben den einschneidenden ökonomischen und sozialen Folgen der Sanktionspolitik beunruhigt die Menschen in Deutschland berechtigterweise vor allem die Aussicht auf eine Ausweitung der Kämpfe hin zu einem großen Krieg zwischen Russland und der NATO mit direktem Einsatz westlicher Truppen und der realen Gefahr eines Atomkriegs in Europa. Da die EU und die in ihr zusammengeschlossenen Staaten, die unter den Verhältnissen des Krieges ständig an eigenem weltpolitischem Gewicht verlieren, von einer solchen Perspektive existenziell bedroht sind, während selbst das bloße Andauern des blutigen Stellungskriegs die stets drohende Eskalation als Möglichkeit in sich trägt, haben die Völker Europas ein eigenes Interesse, den Krieg, wenn auch nicht zu allen denkbaren Bedingungen, beendet zu bekommen.
Ähnlich wie Anfang der 1960er Jahre (mit der Doppelkrise um Berlin und Kuba) und rund zwei Jahrzehnte später (mit einer Reihe regionaler Konflikte samt der sowjetischen Intervention in Afghanistan, sowie dem verstärkten atomaren Wettrüsten, namentlich im Mittelstreckenbereich) könnte die jetzige Krise im günstigen Fall auch die Chance einer Umkehr zu friedlicher Koexistenz, internationaler Zusammenarbeit und institutionalisierter Gemeinsamer Sicherheit eröffnen, wenn der politische Druck stark genug wird. Die Konzepte sind in den 80er Jahren erarbeitet worden und fanden gegen Ende dieses Jahrzehnts und um 1990 teilweise schon Anwendung.
Referent: Prof. i. R. Dr. Peter Brandt (FernUniversität in Hagen)
Moderation: Dr. Inge Pardon
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