Abtreibung legalisieren - jetzt!
Kämpfe um das Recht auf körperliche und reproduktive Selbstbestimmung spielen seit Jahrzehnten und in allen Teilen der Welt eine große Rolle. Aktuell läuft eine Kampagne in Deutschland, die sich für die Legalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen einsetzt. Dieser Schwerpunkt versammelt politische Analysen der historischen Entwicklung des Abtreibungsrechts und Interviews mit Aktivist*innen.
Über 75 Prozent der Bevölkerung in Deutschland sind für eine Legalisierung von Abtreibungen, wie kürzlich eine Studie des Bundesfamilienministeriums zeigte. Das steht in einem starken Widerspruch zur aktuellen Gesetzeslage, welche Abtreibungen nach Paragraf 218 des Strafgesetzbuchs kriminalisiert. Der Kampf gegen diesen Paragrafen zieht sich wie ein roter Faden durch die Geschichte der Frauenbewegungen in Deutschland.
Antifeministische Bestrebungen
In der Debatte um Abtreibungsrechte stehen sich seit jeher feministische Bewegungen und Stimmen aus dem konservativ-rechten Lager gegenüber: Letztere fürchten den moralischen Verfall der Gesellschaft und stellen den «Schutz des ungeborenen Lebens» über die Selbstbestimmung von Schwangeren. Ihre Scheinheiligkeit wird deutlich, wenn man bedenkt, dass sie sich mehr für den Schutz von Ungeborenen einsetzen, als sich für das Wohl von bereits geborenen Kindern stark zu machen. Viele von ihnen sind von Armut bedroht und leiden unter fehlenden Betreuungsangeboten. Die Argumentation von Abtreibungsgegner*innen dient gesellschaftlich dazu, Schwangerschaftsabbrüche weiterhin zu kriminalisieren und führt die Fremdbestimmung über die Körper von Frauen fort. Der starke Einfluss patriarchaler Strukturen und antifeministischer Kräfte macht deutlich, dass feministische Erfolge und Errungenschaften immer wieder verteidigt werden müssen.
Fristenregelung in der DDR und Wiedervereinigung
Bereits 1871 wurde in Deutschland der Paragraf 218 eingeführt, der Schwangerschaftsabbrüche im Strafgesetzbuch verankert. Schon damals gab es scharfe Kritik von Frauenrechtler*innen, Jurist*innen und Mediziner*innen. Trotzdem blieb der Paragraf über das Kaiserreich, die Weimarer Republik und den Nationalsozialismus hinweg mit unterschiedlichem Strafmaß bestehen. Eine progressive Entwicklung zeigte sich erst in der DDR. Dort wurde 1972 die sogenannte Fristenlösung eingeführt, welche Abtreibungen innerhalb der ersten 12 Wochen legalisierte. Zeitgleich gab es auch in Westdeutschland politische Aktionen zur Legalisierung, wobei eine Fristenregelung in der BRD nicht durchgesetzt werden konnte. Nach der Wiedervereinigung wurde eine einheitliche Rechtslage angestrebt, doch angesichts des Machtgefälles zwischen Ost und West stülpte der Gesetzgeber die im Westen geltende Rechtslage, die Ausdruck eines patriarchalen Geschlechtermodells war und ist, dem Osten über. Ostdeutsche Frauen verloren ihr Recht auf Abtreibung. Seither blieb der Paragraf 218 unberührt, lediglich das Werbeverbot nach Paragraf 219a konnte 2022 gekippt werden.
Abtreibungsrecht in Deutschland heute
In West-Deutschland stellt der Paragraf 218 Abtreibungen also seit über 150 Jahren unter Strafe. Straffrei bleiben Abtreibungen nur, wenn sie innerhalb der ersten zwölf Schwangerschaftswochen durchgeführt werden und eine verpflichtende Beratung mit anschließender Wartezeit stattgefunden hat. Dass diese gesetzliche Hürde Schwangere entmündigt und in risikoreiche Situationen zwingt, kritisieren Feminist*innen seit Jahrzehnten. Immer wieder gibt es neue Anstöße für Protestbewegungen, so auch aktuell. Die Kampagne «Abtreibung legalisieren – jetzt!» setzt sich dafür ein, dass der Paragraf 218 noch in dieser Legislaturperiode ersatzlos gestrichen wird. Die Forderungen lauten im Konkreten, dass Abtreibungen in Deutschland sicher, zugänglich und kostenfrei werden sollen – ein entsprechender Gesetzesentwurf wurde im Herbst 2024 vorgelegt. Doch wie es mit diesem Entwurf weitergeht, ist in Anbetracht der vorgezogenen Neuwahlen im März 2025 mehr als ungewiss. Nichtsdestotrotz muss der Kampf für die Legalisierung von Abtreibungen weitergehen!
Internationale Kämpfe
Wie umkämpft das Recht auf Abtreibungen weltweit ist, ließ sich in den vergangenen Jahren an Protesten in beispielsweise Argentinien, Polen, den USA und Brasilien sehen. Um das Recht auf reproduktive Selbstbestimmung dauerhaft zu verankern, müsste es gesetzlich etwa in das Grundgesetz oder die Verfassung aufgenommen werden – wie jüngst in Frankreich als erstem Land der Welt. Doch selbst innerhalb Europas gibt es große Unterschiede zwischen den Regelungen der Länder. So ist Polen weit von einer Legalisierung entfernt: Dort gilt eines der strengsten Abtreibungsgesetze in Europa. Die nationalkonservative Regierung hat vor vier Jahren das ohnehin restriktive Abtreibungsrecht noch weiter verschärft, seitdem gilt ein de-facto-Abtreibungsverbot. Deshalb hat sich in den letzten Jahrzehnten eine politisch starke, feministische Protestbewegung in Polen entwickelt, die den Zugang zu Abtreibung einfordert. Obwohl es aktuell eine liberalere Regierung in Polen gibt, erreichte sie keine Mehrheit für eine Reform.
Abtreibungsrecht für alle
Die Lage scheint sich aufgrund des antifeministischen Backlashs und des derzeitigen Rechtsrucks in absehbarer Zeit nicht zu verbessern, was feministische Forderungen drängender denn je macht. Daher braucht es eine Stärkung von linken Gegenkräften, die einen klassenpolitischen und intersektionalen Ansatz verfolgen, um ein tatsächliches Abtreibungsrecht für alle zu erreichen. Dieser Ansatz sollte reproduktive Rechte und soziale Gerechtigkeit verbinden, über den Schwangerschaftsabbruch hinaus gehen und die Diversität reproduktiver Interessen und Bedürfnisse marginalisierter Gruppen miteinbeziehen. Obwohl es in der Debatte extrem selten eine Rolle spielt, ist das Recht auf Schwangerschaftsabbrüche für alle Geschlechter relevant. Für eine zukunftsgerichtete Perspektive ist es also wichtig, von vergangenen feministischen Kämpfen zu lernen und diese in einem größeren Zusammenhang zu denken. Eine linke progressive Analyse der Kontinuitäten und Brüche des Kampfes um das Recht auf Abtreibung zeigt auf, dass es ein Zusammendenken von alten und jungen, ost- und westdeutschen Erfahrungen braucht, um reale emanzipatorische Wirkkraft zu entfalten.