«Niemand hat das Recht zu gehorchen», sagte Hannah Arendt einst und dürfte damit im gegenwärtigen politischen Klima in Sachsen zur «Aufrührerin» erklärt werden. Um über «zivilen Ungehorsam» und «kollektiven Regelverstoß» zu diskutieren, kamen am 28. und 29. Januar 2012 rund 350 Menschen in die TU Dresden. Anlass war die internationale Konferenz «Ungehorsam! Disobedience!». Eingeladen dazu hatten unter Federführung der Rosa-Luxemburg-Stiftung und in Medienpartnerschaft mit taz, ak – analyse & kritik und Blätter für deutsche und internationale Politik unter anderem die Interventionistische Linke, attac, der Republikanischen Anwältinnen und Anwälteverein und das Komitee für Grundrechte und Demokratie. Gekommen waren Interessierte, AktivistInnen und WissenschaftlerInnen.
Ein Jahr nach der Besetzung des Tahrir-Platzes beleuchteten am Samstag Ola Shahba (Ägypten) und Aktham Abazzid (Syrien) die Rolle von Ungehorsam in den arabischen Bewegungen. Während Camila Vallejo über die Studierendenproteste in Chile berichtete, zeichnete Matthew Kearney (USA) die Bedeutung der Parlamentsbesetzung in Madison (Wisconsin) für die Entstehung der aktuellen Occupy-Bewegung in den USA nach. In Teach-Ins stellten AktivistInnen aus Frankreich, Griechenland, Italien, Stuttgart, dem Wendland und Dresden konkrete Projekte zivilen Ungehorsams vor. Theoretisch und aus verschiedenen Perspektiven näherten sich dem Thema Alex Demirovic, Andrea Pabst, Roland Roth, Eva von Redecker, Thomas Seibert und Ringo Bischoff.
Die Konferenz endete am Sonntag mit einer Debatte über die staatliche Repression nach der Blockade des Naziaufmarsches am 19. Februar 2011. Andreas Fisahn zeigte die Entwicklung des rechtlichen Umgangs mit «Ungehorsamsaktionen» auf, Bodo Ramelow, Anne Roth und Corinna Genschel problematisierten die entgrenzte Verfolgungspraxis der sächsischen Behörden, die beispielsweise durch Hausdurchsuchungen, die politisch motivierte Aufhebung der Immunität von Abgeordneten der LINKEN oder die massive Funkzellenabfrage gekennzeichnet sind. Unverständnis über die Kritik an dem polizeilichen und juristischen Vorgehen äußerte hingegen Alexander Schneider von der Sächsischen Zeitung, er verstehe die ganze Aufregung nicht. Die Videodokumentation wird hier fortgeführt.
Programm:
Samstag, 28.01.2012
Eröffnung. Keynote von Prof. Alex Demirovic, TU Berlin:
Podiumsdiskussionen:
Breaking The Rules - Erfahrungen aus Ägypten, Chile und Europa
Camila Vallejo, Vize-Präsidentin der Studentenvereinigung der Universität von Chile (FeCh) (Mehr zur Rundreise)
Beitrag von Camila Vallejo (deutsche Untertitel):
Ola Shaba, Youth for Justice and Freedom, Kairo:
Roland Roth, FH Magdeburg:
Alexis Passadakis, Attac:
Moderation: Heike Kleffner
15:30 - 17:30 Uhr: Ziviler Ungehorsam: Demokratisches Korrektiv oder radikales Transformationsprojekt?
- Thomas Seibert, Philosoph & Wissenschaftler, Interventionistische Linke
- Matthew Kearney, University Wisconsin
- Ringo Bischof, Ver.di Bundessekretär und Ver.di Jugend
- Moderation: Maike Zimmermann, ak - analyse und kritik
Vorträge:
Demokratie als konstituierender Prozess: Dissens statt Konsens
Thomas Seibert, Philosoph und Wissenschaftler:
- Assoziation, Transformation und Butlers Tugend: eine queer-feministische Perspektive auf zivilen Ungehorsam (Association, transformation and Butler's Virtue: a queer-feminist perspective on civil disobedience)
Eva von Redecker, Humboldt Universität Berlin
Workshops:
- Grenzübertritte: Antirassistische Aktionen an den EU-Außengrenzen
Hagen Kopp, Transact!
http://transact.noblogs.org/files/2011/11/transact-04-screen.pdf - Massenaktionen als Gesellschaftspolitik an den Beispielen Dresden/Warschau:
Dresden Input: FelS (Für eine linke Strömung), Berlin
http://www.fels-berlin.de - The Notion of «Civil Disobedience» (Zum Begriff des «Zivilen Ungehorsams»)
Andrea Pabst, Universität Trier
This workshop will be in English, if necessary with a translation into German - Arab revolt: opportunities and limits of civil disobedience (Arabische Revolten: Chancen und Grenzen von zivilem Ungehorsam)
Audio-Dokumentation auf Coloradio- Ola Shahba (Aktivistin, Kairo)
- Aktham Abbazid (Aktivist, Berlin)
- Elias Perabo (Moderation, Klima-Allianz)
Sonntag, 29.01.2012
Podiumsdiskussionen:
10:30 - 12 Uhr: Fabriken - Plätze - Bankenviertel. Ungehorsam in der Krise!?
- Input: Christina Kaindl, Rosa-Luxemburg-Stiftung
- Anna, Interventionistische Linke
http://www.dazwischengehen.org/ - Margarita Tsomou, Jounalistin, Aktivistin, Griechenland
- Moderation: Mario Candeias, Rosa-Luxemburg-Stiftung
14.30 – 16.30 Uhr: Die Pflicht zum Ungehorsam - Protest zwischen legitimer Aktionen und illegitimer Repression
- Bodo Ramelow, MdL DIE LINKE
- Anne Roth, Bloggerin, Journalistin
http://annalist.noblogs.org/ - Corinna Genschel, Komitee für Grundrechte und Demokratie
http://www.grundrechtekomitee.de - Prof. Andreas Fisahn, Uni Bielefeld
- Alexander Schneider (Sächsiche Zeitung)
- Moderation: Martin Kaul, die tageszeitung
Vorträge:
- Cyberspace und Protest
Constanze Kurz, Chaos Computer Club
Computersicherheit, Datenmissbrauch, Internet-Überwachung und Akte des zivilen Ungehorsams im Netz.
http://ccc.de/de/updates/2011/staatstrojaner - Grenzenlose Repression: europäische Kontrollregime gegen soziale Bewegungen
Matthias Monroy, Gipfelsoli
http://gipfelsoli.org
Zum Thema:
- Dresden im Februar 2011 – Eine Untersuchung von Demonstrationsrecht und sächsischer Praxis
Die «Untersuchungskommission 19. Februar» hat am 2.2.2012 in Berlin die Ergebnisse ihrer Recherchen zum sächsischen Umgang mit den Demonstrationen und Gegendemonstrationen im Februar 2011 der Öffentlichkeit vorgestellt.
Hrsg.: Komitee für Grundrechte und Demokratie
http://www.grundrechtekomitee.de/sites/default/files/Dresden-Bericht-30_01_2012.pdf - Die Lügen von Dresden
Die Diskussion über den Naziaufmarsch und dessen Blockade wird nicht ehrlich geführt. Ein Plädoyer gegen den Selbstbetrug von Antifaschisten und Behörden
Von Martin Kaul, die tageszeitung, 4.2.2012 - Schule des Ungehorsams
Bewegungslinke diskutieren über die Grenzen und Möglichkeiten kollektiver Regelbrüche
Von Ines Wallrodt, Neues Deutschland, 30.1.2012 - Rechtsstaat auf sächsisch
Zu den staatlichen Reaktionen auf die antifaschistischen Aktivitäten gegen den Neonaziaufmarsch in Dresden im Februar 2011. Standpunkte 1/2012 vom Vorstand des Republikanischen Anwältinnen- und Anwältevereins (RAV). - Dresden Speciale 2012
Sonderausgabe von Der Rechte Rand und ak - analyse und kritik zum Mythos Dresden