News | Antisemitismus (Bibliographie) - Linke und jüdische Geschichte - Theorie des Antisemitismus Voigt: Der Judenhass. Eine Geschichte ohne Ende?, Stuttgart 2024

Ebenso solide wie verständlich

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Bernd Hüttner,

Der Zeithistoriker Sebastian Voigtschreibt in seiner neuen Publikation treffend, «die Existenz von Antisemitismus und der Umgang damit sagt etwas über die Gesellschaft aus». Er möchte mit seinem Buch «eine kompakte Einführung» (S. 11) vorlegen und einen «verständlichen Zugang zu einem komplexen Thema» (ebd.) eröffnen. Er hat, so viel kann vorausgeschickt werden, eine ebenso solide wie verständliche Geschichte des Antisemitismus verfasst. Sein Buch richtet sich beabsichtigt nicht an ein akademisches Publikum, es kommt mit wenigen Literaturangaben und ohne Fußnoten aus.

Inhaltlich wird die Geschichte des Judenhasses seit der Antike geschildert: Vom Christentum und Mittelalter über die beginnende bürgerliche Gesellschaft bis hin zum Nationalsozialismus. Bis zum Beginn der Moderne nennt Voigt das von ihm beschriebene und kritisierte Phänomen «Judenhass», erst für die Zeit seitdem spricht er von Antisemitismus. Nun habe sich der nunmehr: moderne Judenhass mit (völkischen) Rassetheorien verbunden und zu einer neuen Form gefunden. Antisemitismus habe nichts mit dem realen Verhalten von Juden und Jüdinnen zu tun. Er beruhe vielmehr, so Voigt, auf einer «falschen, wahnhaften Projektion», komme aus allen politischen Richtungen und dränge in aller Regel zur Gewalt.

Dieser historische Abschnitt für die Jahre ab circa 1870 bis zur Gegenwart nimmt dann auch den Großteil des Buches ein (S. 58-225). Voigt nennt darin viele historische Ereignisse und skizziert ebenso ideologische Entwicklungen. Erhellend ist es zu lesen, wie Antisemitismus in Deutschland in den Jahrzehnten nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges immer wieder zu verschiedenen Anlässen sichtbar wurde, vom Umgang mit den jüdischen Displaced Persons(DPs), über die Verjährungsdebatten, die Walser-Bubis-Debattebis zum FDP-Politiker Jürgen Möllemann und später die AfD.

Der Autor schreibt in einer verständlichen Sprache und vermeidet allzu lange Sätze, was die Lektüre erleichtert und der Qualität keinen Abbruch tut. Das Buch wurde vor dem Hamas-Massaker des 7. Oktober 2023 abgeschlossen, für die - schnell verkaufte - erste Auflage hatte Voigt nur ein kurzes Nachwort einfügen können. Mittlerweile ist die zweite Auflage ausgeliefert.

Offen muss bleiben, ob der bloße Appell an Aufklärung, der Ruf nach «staatliche(r) Repression gegen AntisemitInnen» (S. 224), womit vermutlich strengere Strafverfolgung gemeint sein dürfte, oder nach einer Stärkung der historischen Urteilskraft und nach mehr historischem Wissen wirklich für die Bekämpfung von Antisemitismus ausreichend ist.

Dass der Kampf gegen Antisemitismus «keine jüdische, sondern eine zentrale gesamtgesellschaftliche Aufgabe» (S. 225) sein sollte, versteht sich von selbst. Voigt leistet mit seinem Buch einen Beitrag dazu. Sein Text bietet einen fundierten Überblick. Über Strategien gegen den allgegenwärtigen Antisemitismus muss weiter gestritten werden, denn Aufklärung reicht in einer kulturindustriell beherrschten Gesellschaft nicht aus, zumal, wie Voigt selbst schreibt, dieser auch eine starke psychologische Funktion für die AntisemitInnen hat.

Sebastian Voigt: Der Judenhass. Eine Geschichte ohne Ende?, Hirzel Verlag, Stuttgart 2024, 230 Seiten, 25 Euro