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Thüringens Landwirtschaftsministerin Susanna Karawanskij zu den Bauern-Protesten

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Thüringens Landwirtschaftsministerin Susanna Karawanskij und Ministerpräsdient Bodo Ramelow beim Bauernprotest in Erfurt, 8. Januar 2024
«Wir brauchen eine intensivere Debatte darüber, wie wir die Verhandlungsmacht gegenüber dem preisbestimmenden Einzelhandel stärken können und wie wir beim Bürokratieabbau in der Land- und Forstwirtschaft endlich ernsthaft vorankommen.» Thüringens Landwirtschaftsministerin Susanna Karawanskij und Ministerpräsdient Bodo Ramelow beim Bauernprotest in Erfurt, 8. Januar 2024, Foto: IMAGO / Paul-Philipp Braun

Aktuell protestieren deutschlandweit Landwirt*innen gegen den Abbau der Agrardiesel-Subventionen und für langfristig kalkulierbare politische Vorgaben. Auch in Thüringen, was seit Januar den Vorsitz der Agrarministerkonferenz inne hat, haben die Bauernverbände protestiert. Ministerpräsident Bodo Ramelow hat sich dabei solidarisch mit den Landwirt*innen erklärt. Hana Pfennig sprach mit Susanna Karawanskij (Die Linke), Ministerin für Infrastruktur und Landwirtschaft in Thüringen, über die Ursachen des Unmuts und notwendige politische Maßnahmen.
 

Hana Pfennig: Wie bewertest du die aktuellen Bauernproteste und welche konkreten Anliegen und Forderungen bringen die Landwirte dabei zum Ausdruck? Wer protestiert da aktuell und warum?

Susanna Karawanskij: Ich habe Verständnis für die Proteste der Landwirtinnen und Landwirte. Die Übernachtentscheidung der Bundesregierung, die Agrardiesel-Vergünstigung und die KfZ-Steuerbefreiung abzuschaffen, war nur der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Es bestätigte das zuvor bereits aufgestaute Gefühl vieler Landwirtinnen und Landwirte, dass sie Spielball kurzfristiger politischer Entscheidungen sind, die an ihrer Realität vorbei- und auf ihre Kosten gehen. Das empfinden sie als mangelnde Wertschätzung ihrer gesellschaftlich so wichtigen Arbeit.

Wir müssen uns immer vor Augen halten: Das sind die Menschen, die unsere Lebensmittel produzieren. Es ist wichtig, uns ihre Situation klarzumachen.

Vor dem Jahreswechsel kalkulieren die Landwirtinnen und Landwirte das kommende Wirtschaftsjahr mit Investitions- und Anbauentscheidungen. Da zählt zum Teil jeder Euro. Die wirtschaftliche Lage ist ziemlich kompliziert und mit vielen Fragen verbunden. Wie entwickeln sich die Ausgaben für Energie, Dünge- und Pflanzenschutzmittel, steigen die Bodenpreise weiter, mit welchen Preisschwankungen ist am Markt für Agrarrohstoffe zu rechnen und was wird der Lebensmitteleinzelhandel für die Agrarprodukte bezahlen? All diese Faktoren variieren stetig und werden zudem in der Wertschöpfungskette von Akteuren bestimmt, auf die die Produzentinnen und Produzenten unserer Lebensmittel mit ihrer strukturell begrenzten Verhandlungsmacht nur sehr begrenzten Einfluss haben. In dieser wirtschaftlich stets unsicheren Gemengelage des globalisierten Marktes sind planbare Faktoren besonders wichtig. Und diese Faktoren sollten die staatliche Unterstützung der Landwirtinnen und Landwirte sein. Seit einigen Jahren ist aus Sicht der Landwirtschaft darauf jedoch kein Verlass mehr. Obwohl die Landwirtinnen und Landwirte für diese Mittel erhebliche Leistungen für Umwelt-, Klima-, Ressourcenschutz und Tierwohl verlässlich erbringen und sie bürokratisch sehr aufwendig nachweisen müssen, verkürzt sich deren Haltbarkeit immer öfter. Das betrifft viele Aspekte der landwirtschaftlichen Produktion: sei es die Tierhaltung, der Einsatz von Dünger- und Pflanzenschutzmitteln, Betriebsbaumaßnahmen, Umweltauflagen, Bioenergievorgaben. Die Landwirtinnen und Landwirte sind meiner Erfahrung nach aufgeschlossen für sinnvolle, progressive Maßnahmen der betrieblichen Weiterentwicklung vor allem was Ressourcen- und somit Umweltschutz betrifft. Die natürliche Umwelt ist schließlich ihre wichtigste Produktionsgrundlage.

Sie passen also mit viel Aufwand und Investitionen ihre Produktionsabläufe an neue politische Vorgaben an, verlassen sich auf deren Haltbarkeit und zwei Jahre später gilt das alles nicht mehr, weil es wieder neue Vorgaben gibt. Das ist frustrierend, weil es an Sysyphusarbeit erinnert. Deshalb geht die Investitionsbereitschaft in der Landwirtschaft mittlerweile gegen Null.

Die Landwirtinnen und Landwirte haben kein Vertrauen mehr in die Nachhaltigkeit politischer Entscheidungen.

Dieses Misstrauen und der Frust darüber entlädt sich in den aktuellen Protesten. Es braucht wieder mehr Verlässlichkeit in der Agrarpolitik, damit Landwirtinnen und Landwirte wieder mehr Planungssicherheit erhalten.

Was den Frust zudem befeuert, sind die von der Bundesregierung geplanten Kürzungen der Förderung zur Entwicklung des ländlichen Raums im Bundesprogramm Gemeinsamer Agrar- und Küstenschutz. Bei den Menschen im ländlichen Raum verfestigt sich das Gefühl, dass vor allem sie von den Sparplänen in Berlin betroffen sind und sich der Staat aus der Fläche zurückzieht. Und das in einer Zeit des demografischen Wandels, der unsere ländlichen Räume vor immense Herausforderungen stellt, was die Absicherung von sozialer Daseinsvorsorge und somit das staatliche Versprechen gleichwertiger Lebensverhältnisse auf dem Land und in der Stadt betrifft. Dieser Abbau staatlicher Unterstützung in den ländlichen Regionen befördert eine Politikverdrossenheit, die sich in Protest kanalisiert, der insbesondere demokratiefeindlichen Parteien wie der AfD nutzt, weil sie deren Narrativ bedient.

In Thüringen unterscheidet sich die landwirtschaftliche Struktur durch viele LPG-Nachfolgebetriebe stark von westdeutschen landwirtschaftliche Betrieben. Wirkt sich dies auf die Beurteilung der Proteste und das Verhältnis zu den Bauernverbänden in Thüringen aus?

Es stimmt, dass sich die Agrarstrukturen in den west- und ostdeutschen Bundesländern historisch unterschiedlich entwickelt haben. In Ostdeutschland sind die landwirtschaftlichen Flächen im Durchschnitt wesentlich größer, die von einem Agrarbetrieb bewirtschaftet werden. Das ist ein Erbe der LPG-Strukturen. Nach der Wende entschieden sich viele LPG-Mitglieder anstelle der Gründung eines eigenen Betriebs für die Fortsetzung gemeinschaftlich organisierter Unternehmen in Form von Agrargenossenschaften, Kapitalgesellschaften oder Personengesellschaften. Zudem zeigt die ostdeutsche Agrarstruktur einen hohen Anteil von Betrieben mit spezialisierten Produktionsausrichtungen wie Marktfrucht- und Futterbaubetrieben.

Dennoch sind die ostdeutschen Agrarstrukturen von Vielfalt geprägt, was zum Beispiel die unterschiedliche Größe und Rechtsform der Betriebe, deren wirtschaftliche Ausrichtung, den ökologischen oder konventionellen Landbau betrifft.

Die Vielfalt der Landwirtschaft in Ost und West verlangt einen differenzierten und ausgeglichenen Ansatz von politischen Entscheidungen. Und es gilt, diese wertvolle Vielfalt zu bewahren. Wir sollten uns davor hüten, die einen gegen die anderen auszuspielen.

In Thüringen sind sowohl die großen Agrargenossenschaften wie die kleinen Betriebe strukturell und sozial eng mit ihren Regionen verbunden. Beim aktuellen Hochwasser in Nordthüringen halfen die großen und kleinen Betriebe freiwillig mit ihren Traktoren dabei, die Ortschaften vor der Flut zu schützen. Als oftmals einzige lokale Einkaufsmöglichkeit in den Dörfern werden Hofläden von kleinen und großen Betrieben unterhalten. Kleine und große Betriebe unterstützen ansässige Vereinsstrukturen, engagieren sich kulturell und sozial und schaffen lokale Arbeitsplätze. Kleine und große Betriebe produzieren unsere Lebensmittel. Für mich ist es wichtig, eine vielfältige Agrarstruktur in den Händen regional verankerter Landwirtinnen und Landwirte zu bewahren. Deshalb haben wir in Thüringen auch ein Agrarstrukturgesetz in den Landtag eingebracht, dass den Ausverkauf der Agrarstruktur an agrarfremde Investoren zu Spekulationszwecken verhindern soll. Aufgrund der größeren Betriebsstrukturen sind vor allem die ostdeutschen Bundesländer zunehmend als interessante Kapitalanlage für Investoren aus dem Einzelhandel oder von Immobilienkonzernen betroffen. Diese Investments treiben die landwirtschaftlichen Bodenpreise nach oben, die sich normale Agrarbetriebe kaum noch leisten können.

Hinzu kommt, dass wir in der Landwirtschaft vor einem Generationswechsel stehen und bislang nur etwa jeder dritte Betrieb eine gesicherte Nachfolge hat. Für Junglandwirte wird es immer schwerer, sich den Einstieg in die kapitalintensive Landwirtschaft zu leisten. Das vergrößert die Anlageoptionen für das Großkapital. Wir dürfen nicht vergessen, dass solche Investoren, sobald sie ein Unternehmen mit Landwirtschaftsfläche aufkaufen, aufgrund der Rechtslage ebenso von staatlichen Agrarzahlungen profitieren. Bei den riesigen Flächen, die von Investoren aufgekauft werden, kann es um Millionen von Euro an Agrarzahlungen zu Lasten der eigentlichen Bäuerinnen und Bauern gehen.

Für unsere bislang hauptsächlich regional geprägte Agrarstruktur ist das ein ungesunde Entwicklung, der wir mit politischen Maßnahmen begegnen müssen.

Die wirksamste Maßnahme gegen die Konzentration von Agrarland in den Händen von Großinvestoren sind jedoch wirtschaftlich stabile, regionale Agrarbetriebe.

Deshalb liegt es im Interesse linker Politik, Landwirtinnen und Landwirten verlässliche Rahmenbedingungen zu bieten, um deren wirtschaftliche Planungssicherheit zu gewährleisten. Es geht ganz klar um die Zukunftsfrage, wie wir uns Landwirtschaft und die Produktion unserer Lebensmittel vorstellen. Wollen wir, dass das weiterhin regional ansässige Menschen und Unternehmen machen, die Teil der sie umgebenden Gesellschaft sind und sich dort auch einbringen. Oder wollen wir eine Landwirtschaft, die von anonymen und renditeorientierten Großinvestoren gesteuert wird, die Landwirtinnen und Landwirte als Lohnarbeiterinnen und Lohnarbeiter anstellen, ihre Anbauentscheidungen mehr am Weltmarkt als an der Region orientieren und die Lebensmittelproduktion als ein Posten im Gesamtportfolio betrachten?

Gibt es vor diesem Hintergrund möglicherweise andere Einschätzungen zu den aktuellen politischen Entscheidungen bzw. inwiefern sind die landwirtschaftlichen Betriebe in Thüringen von den aktuellen politischen Entscheidungen betroffen?

Was die Kritik an überbordender Bürokratie betrifft, sind sich alle Agrarbetriebe einig. Wenn wir auf den geplanten Abbau der Agrardiesel-Vergütung schauen, sind die ostdeutschen Betriebe aufgrund ihrer größeren Flächen finanziell stärker von der Entscheidung betroffen. In den ostdeutschen Bundesländern bewirtschaftet ein durchschnittlicher Betrieb mehr als 200 Hektar, in den westdeutschen wesentlich weniger als 100 Hektar. Die geplanten Kürzungen der Bundesregierung machen etwa 25 Euro Verlust pro Hektar aus. Andere Änderungspläne, wie zum Beispiel die Direktzahlungen nicht mehr wie bisher nach Fläche auszuschütten, würden ostdeutsche Betriebe finanziell auch stärker treffen. Wenn sich die Einkommenssituation und somit die wirtschaftliche Lage ostdeutscher Betriebe weiter verschärft, wird das nicht dazu führen, dass sich Strukturen verkleinern und aus einem größerem Betrieb viele kleine Höfe entstehen, wie es sich manche ausmalen. Es würde im Gegenteil die weitere Konzentration von Agrarland in den Händen von agrarfremden Großkapital befeuern.    

Seit Januar hat Thüringen den Vorsitz der Agrarministerkonferenz übernommen. Welche spezifischen Akzente möchtest du als linke Ministerin in dieser Periode übernehmen?

Mit dem AMK-Vorsitz Thüringens setzen wir den Schwerpunkt, mehr Verlässlichkeit und Planungssicherheit für die Landwirtinnen und Landwirte zu schaffen. Mehr Planungssicherheit bei der weiteren nationalen Ausgestaltung der Gemeinsamen Agrarpolitik: anstatt erneut neue Regeln einzuführen, sollten die aktuellen auf ihre Wirksamkeit geprüft und verbessert werden. Hierbei liegt der Fokus besonders darauf, wie die Ökoregelungen so ausgestaltet oder erweitert werden, dass bis zum Ende der Förderperiode möglichst alle Mittel aus dem Europäischen Garantiefonds für die Landwirtschaft ausgeschöpft werden können.

Ein weiterer Schwerpunkt des AMK-Vorsitzes ist mehr Planungssicherheit für tierhaltende Betriebe. Wir müssen so die erforderlichen Investitionen ermöglichen und den tierwohlgerechten Umbau der Tierhaltung konsequent voranbringen. Einen weiteren Abbau der Tierhaltung können wir uns nicht leisten, wenn wir ökonomisch wie ökologisch sinnvolle geschlossene Wirtschaftskreisläufe in den Betrieben erhalten wollen. Hierzu liegen tragbare Konzepte von der Borchert-Kommission vor – nun gilt es, diese gute Vorarbeit aufzugreifen. Ich möchte erneut die Debatte um die auskömmliche Fördermittelausstattung der ländlichen Räume anstoßen, denn wir wollen soziale Infrastruktur und wohnortnahe Grundversorgung auf dem Land erhalten und weiter ausbauen. Und ich setze mich für mehr Planungssicherheit bei der Bekämpfung der Klimawandelfolgen in unseren Wäldern, der artenreichen Wiederaufforstung und somit des natürlichen Klimaschutzes ein.

Wir brauchen eine intensivere Debatte darüber, wie wir die Verhandlungsmacht gegenüber dem preisbestimmenden Einzelhandel stärken können und wie wir beim Bürokratieabbau in der Land- und Forstwirtschaft endlich ernsthaft vorankommen. Durch das Einstimmigkeitsprinzip der AMK sind das keine leichten Aufgaben. Ich bin jedoch zuversichtlich, dass auch aufgrund der aktuellen Proteste der Landwirtinnen und Landwirte der agrarpolitische Handlungsdruck steigt und Länder wie Bund stärker an einem Strang ziehen müssen.