Nachricht | Div. (Hrsg.) Staat und Revolution bei Georg Lukács; Baden-Baden 2023

Staat, Demokratie, Recht und Revolution bei Georg Lukács

Information

Der 2023 erschienene Sammelband ist der mittlerweile 173. Band der Reihe Staatsverständnisse, in der bereits auch andere empfehlenswerte Bücher zu linken Theoretiker:innen und linken Themen erschienen sind: Zum Beispiel zu Marx, Gramsci, Poulantzas, Franz L. Neumann, Rosa Luxemburg, oder über die Diktatur des Proletariats, Wolfgang Abendroth, Joachim Hirsch sowie das Staatsprojekt Europa oder den Austromarxismus.

Das vorliegende Buch umfasst neben einer knappen und informativen Einleitung der Herausgeber 13 Beiträge, die auf die Oberthemen Demokratie, Diskursüberschneidungen und politische Praxis aufgeteilt sind. Die von den Herausgebern eingangs festgestellte Komplexität und Vielfältigkeit des Werks wird über die verschiedenen Beiträge hinweg überdeutlich: der reine Fokus auf Geschichte und Klassenbewusstsein wird dem Gesamtwerk des ungarischen Philosophen (1885-1971) nicht gerecht, wenngleich es sich als zentral herausstellt und dessen Lektüre für die Nachvollzug der hier vorliegenden Beiträge unbedingt zu empfehlen ist. Zum Tragen kommt außerdem, dass Lukács als Volkskommissar und Politiker in die politisch-gesellschaftlichen Auseinandersetzungen und revolutionären Bestrebungen aktiv involviert war, bis hin zu Erschießungen, die er befehligte. Lukács war weit mehr als ein Philosoph und seine Themen umfassen auch Fragen von Demokratie, Recht, Räte u.v.m.

Wie bei Sammelbänden häufig festzustellen ist, bewegen sich nicht alle Beiträge auf dem gleichen Niveau, was sich mitunter auch auf die Lesbarkeit bezieht: Gregor Schäfer versucht, die politische Aktualität Hegels in Lukács Denken darzustellen und schreibt kaum verständlich, verrätselt, unnötig kompliziert. Auch Christian Lotz´ Überlegungen zu Lukács und die gegenwärtigen Krisentendenzen in Westlichen Demokratien bleiben hinter den Erwartungen zurück: Die hervorgebrachten Beobachtungen zu den Krisentendenzen sind unsystematisch und oberflächlich, die reichhaltige kritische Literatur zum Thema bleibt weitestgehend unerwähnt. Was hingegen mitgenommen werden kann, ist Lukács Feststellung, «dass Demokratie zum Existenzinteresse der Menschen werden» müsse – wie dies allerdings angesichts der gegenwärtigen Umstände umzusetzen ist, wird nicht näher ausgeführt. Sehr viel gelungener ist der vorhergehende Text von Paula Alves und Dominik Nagl, die Lukács Denken über Demokratie über sein gesamtes intellektuelles Leben hinweg betrachten.

Hervorstechend sind auch die Beiträge von Frank Engster, der auf die fehlende Berücksichtigung des Geldes bei Lukács aufmerksam macht (was dieser mit anderen Theoretiker:innen wie Hanna Arendt teilt, und was demnach ganz prinzipiell eine große Lücke in der Ideen- und Theoriegeschichte zu Fragen von Staat und Demokratie ist), Michael Rudlofs Betrachtungen der Rechtstheorie von Lukács, Alexander Neupert-Dopplers Vergleich von Lukács und Jürgen Habermas und Marianas Teixeiras Darstellung der Rezeption von [Max] Webers Darstellung der Rationalisierung der modernen Welt. Auch Dannemanns Nachvollzug der Leitmotive der politischen Theorie Georg Lukács ist gewinnbringend, werden so Kontinuität und Diskontinuität der Lukács‘schen Staatsphilosophie eindringlich vor Augen geführt.

Insgesamt werden viele Aspekte und innere Zusammenhänge von Leben und Werk beleuchtet und zueinander in Beziehung besetzt: die frühen, vormarxistischen Texte, der Übergang zum Marxismus, Lukacs´ Verwicklungen in die politischen-ideologischen Auseinandersetzungen, sein Eintreten für die Rätedemokratie, wobei immer wieder auf die Leerstellen, Pauschalisierungen, innere Widersprüche hingewiesen wird. Gerne hätte man auch erfahren, wie seine Schüler:Innen zu all diesem standen.

Zwischen den einzelnen Beiträgen gibt es, auch typisch für Sammelbände, kaum einen Zusammenhalt. Staat und Demokratie bilden die losen Klammern, Bezüge untereinander werden kaum hergestellt. Dessen ungeachtet erweist sich der Band als Fundgrube, um das facettenreichen Werk Lukács aufzuschlüsseln und darüber die eigene Lektüre gezielter vorzunehmen. Die Vorfreude auf die im Entstehen befindliche Lukács-Biografie von Patrick Eiden-Offesteigt, in der hoffentlich all die verschiedenen Fäden zusammengeführt werden.

Im Übrigen würde ein sorgfältigeres Lektorat das Lesevergnügen steigern: an zu vielen Stellen fehlen Anführungszeichen und Gedankenstriche werden nur als einfache Bindestriche dargestellt. Irritierend ist auch, dass mit Fußnoten gearbeitet wird, dort aber nur der Autorname und das Erscheinungsjahr genannt werden, womit man gezwungen ist, immer wieder auf das jeweilige Literaturverzeichnis am Ende der Beiträge zublättern, um Näheres zum zitierten Titel zu erfahren: die Nennung eines Kurztitels wäre hier gewinnbringend gewesen, ansonsten könnte man gleich auf Endnoten setzen.

Rüdiger Dannemann, Gregor Schäfer, Hans-Ernst Schiller (Hrsg.): Staat und Revolution bei Georg Lukács, Nomos Verlag, Baden-Baden 2023, 293 Seiten, 69 Euro