Nachricht | Europa - Sozialökologischer Umbau - Europa2024 - Klimagerechtigkeit «Klimaschutz und soziale Gerechtigkeit gehen Hand in Hand»

Carola Rackete über ihre politischen Prioritäten als EU-Spitzenkandidatin

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Carola Rackete,

Wie grün muss Sozialismus sein? 
Carola Rackete diskutiert beim Frühlingsfest de:lux mit Sarah-Lee Heinrich und Raul Zelik.Rosa-Luxemburg-Stiftung, Berlin, 2. März 2024, Foto: Andreas Domma

Bei der Wahl des EU-Parlaments tritt die Aktivistin Carola Rackete als Spitzenkandidatin der Partei Die Linke an. Wir sprachen mit Carola über ihre politischen Prioritäten in- und außerhalb des Parlaments.

 
Carola, du bist vor allem als Aktivistin sozialer Bewegungen bekannt. Warum kandidierst du jetzt auf der Liste der Partei Die Linke für das EU-Parlament?

Carola Rackete: Um Parteien und Regierungen zu Veränderungen zu bewegen, müssen soziale Bewegungen Druck auf der Straße erzeugen. Damit das besser funktionieren kann, brauchen Bewegungen Ansprechpartner*innen im Parlament. Ich möchte dort versuchen, Bewegungen aus Europa und dem globalen Süden dabei zu unterstützen, gehört zu werden.

Außerdem braucht es angesichts des aktuellen Rechtsrucks dringend linke Politik und linke Parteien in den Parlamenten, das möchte ich mit meiner Kandidatur verdeutlichen. Um die Klimakrise und das Artensterben aufzuhalten, müssen wir an den Kern der Ungerechtigkeit herangehen. Da sich keine andere Partei gegen den Kapitalismus stellt und bereit ist, über Enteignungen und Vergesellschaftung zu reden, ist Die Linke in meinen Augen die einzige Option.

Welchen Themen wirst du dich im Falle deiner Wahl als Abgeordnete widmen?

Ich bin Naturschutzökologin und arbeite seit Jahren in diesem Bereich, vor allem in zivilgesellschaftlichen Kampagnen zum Schutz von Umwelt und Menschenrechten. Als Abgeordnete werde ich die Arbeit zu den Themen Klimagerechtigkeit und Naturschutz/Biodiversität fortsetzen und auch die Landwirtschaft einbeziehen, in der diese beiden Problemfelder ja zusammentreffen. Dabei sollen soziale und globale Gerechtigkeit im Fokus stehen, denn wir müssen die Ursachen der ökologischen Probleme bekämpfen.

Drei konkrete Punkte sind in diesem Kontext: die Finanzierung der Transformation die Aufgabe; Energie und Wärme in Bürgerhand zu bringen; und die Umsetzung eines gerechten Ressourcenschutzes. Auf jeden Fall aber müssen wir den Einfluss von Lobbyist*innen öffentlich machen und uns für mehr Demokratie und Transparenz innerhalb der EU-Institutionen einsetzen.

Wie kann eine soziale Klimapolitik auf europäischer Ebene aussehen?

Um Klimaschutzmaßnahmen zu finanzieren und gleichzeitig soziale und Gerechtigkeitsfragen zu berücksichtigen, können wir die Steuerpolitik verändern. Wir müssen neue Steuern für transnationale und multinationale Konzerne einführen. Eine Finanztransaktionssteuer und eine Gesamtbesteuerung von Konzernen auf EU-Ebene durch die direkte Besteuerung von 25 Prozent der Unternehmensgewinne helfen, die Steuern in der EU zu harmonisieren. Dieses Geld muss auch in Maßnahmen für Klimagerechtigkeit und die Transformation dafür relevanter Bereiche, wie beispielsweise den öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV), fließen. Der ÖPNV muss kostenlos sein, aber wir müssen zugleich seine Infrastruktur massiv ausweiten, da mehr und besserer ÖPNV sowohl zu weniger Individualverkehr als auch zu mehr Mobilität für alle führt. Auch ein Umbau der Landwirtschaft kann durch Steuereinnahmen finanziert und abgesichert werden.

Der Ausbau der Erneuerbaren Energien ist ein weiteres Feld, wo sich politische Erfolge im Klimaschutz, aber auch im Geldbeutel der Verbraucher*innen bemerkbar machen. Es gilt daher, den Konzernen die gesamte Energie- und Wärmeproduktion zu entziehen und diese stattdessen genossenschaftlich oder staatlich zu organisieren, ohne Profite zu machen. Jede*r muss Zugang haben zu einer lokal produzierten, gemeinwirtschaftlich organisierten und preiswerten Energieversorgung durch Stadtwerke und Energiegenossenschaften mit sozial gestaffelten Preisen.

Eine reelle Chance haben wir nur durch den Aufbau von Bündnissen, die Gewerkschaften, Partei und soziale Bewegungen zusammenbringen.

Auch im Bereich Wohnen können Klimaschutz und soziale Gerechtigkeit Hand in Hand gehen. Dazu müssen wir allerdings die Einbeziehung des Gebäudesektors in den Europäischen Emissionshandel ablehnen, denn eine pauschale Bepreisung ist sozial ungerecht. Mieter*innen haben keinen Einfluss auf die Art der Heizung und Sanierung ihrer Wohnung. Der vorgeschlagene Klimasozialfonds ist daher im Grundsatz ein guter Schritt; er leidet jedoch an zu geringer finanzieller Ausstattung und bedarf der Aufstockung. Die dadurch zur Verfügung stehenden Gelder sollten in die Ausweitung des gemeinnützigen Wohnungssektors fließen, da dies für mehr Gerechtigkeit beim Wohnen sorgt.

Ein Ressourcenschutzgesetz sorgt für soziale Klimapolitik, indem zum Beispiel sauberes Trinkwasser überall zur Verfügung steht. Ganz grundsätzlich müssen wir unseren Bedarf an Ressourcen dringend deckeln und jährlich verringern, auch um die Ausbeutung des globalen Südens zu beenden und neokoloniale Strukturen abzubauen.

Wie können wir das, was klimapolitisch notwendig ist, gesellschaftlich durchsetzen?

Mit Ehrlichkeit und mit Gesetzen, die das Verbrennen der Fossilen verbieten, die Verursacher zur Kasse bitten und arme Menschen entlasten. Auf die freiwillige Umsetzung radikaler Maßnahmen zu setzen, auf die Eigenverantwortung der Konzerne, wird nicht funktionieren. Dazu ist der Lobbyismus zu stark. Zudem werden Konzerninteressen im Rahmen der bestehenden Strukturen regelmäßig begünstigt.

Dies unterstreicht: Es braucht Gesetze, aber letztlich eben auch eine andere Wirtschaftsordnung. Denn es gibt keinen «grünen Kapitalismus», der innerhalb der planetaren Grenzen bleibt. Wir müssen ehrlich sagen, wie dramatisch die Lage bezogen auf die Klimakatastrophe und auf die Verteilung von Vermögen ist und dass es nicht weitergehen kann wie bisher. Die Lösung liegt in radikaler Umverteilung und einer Änderung der Machtverhältnisse.

Eine reelle Chance haben wir nur durch den Aufbau von Bündnissen, die Gewerkschaften, Partei und soziale Bewegungen zusammenbringen. Dazu will ich mit meiner Kandidatur beitragen.

Seit Monaten halten Bauernproteste in Deutschland, aber auch in anderen Ländern Europas die Politik in Atem. Was muss sich denn in der Agrarpolitik ändern?

Ganz einfach: Landwirt*innen müssen von ihrer Arbeit leben können. Wir müssen verhindern, dass aufgrund des wirtschaftlichen Drucks immer mehr Bäuerinnen und Bauern ihre Höfe aufgeben, wodurch wiederum die Betriebsgröße immer weiter zunimmt, weil ihr Land dann von größeren Betrieben aufgekauft wird. Es muss für Junglandwirt*innen möglich sein, Land zu erwerben, um einen eigenen Betrieb zu gründen.

Man muss sich die erschreckende Tatsache vor Augen führen, dass 60 Prozent der Agrarflächen in Deutschland inzwischen gar nicht mehr Landwirt*innen gehören, sondern Investoren und Großunternehmen. Das hat zu einem erheblichen Preisanstieg geführt; innerhalb der letzten 15 Jahre haben sich die Preise für Agrarflächen verdoppelt. Land ist inzwischen auch zu einem Spekulationsobjekt geworden. Wir müssen Flächenobergrenzen einführen, damit Konzerne und teilweise landwirtschaftsfremde Investoren die Bodenpreise nicht in die Höhe treiben. Bei der Verpachtung von Land müssen sozialökologische Aspekte den Ausschlag geben – wir brauchen eine Gemeinwohl- statt eine Profitorientierung.

Mit der Auswahl, an wen das Land verpachtet wird, fällt die Entscheidung darüber, ob auch kleine und vielfältige Betriebe erhalten oder lediglich große, intensiv bewirtschaftete Betriebe gefördert werden. Somit haben Verpächter*innen ein mächtiges Instrument in der Hand, auch bezogen auf Klimaschutz.

Vor allem dürfen Subventionen sich nicht an der Fläche orientieren – sie müssen für soziale und ökologische Maßnahmen ausgezahlt werden. Es sind unsere Steuergelder, die in Form von Subventionen in die Betriebe kommen. Diese Subventionen sollten im Sinne der Gesellschaft eingesetzt werden, und die Gesellschaft will artgerechte Tierhaltung, vielfältige Bauernhöfe und nachhaltige Produktion, Wasserschutz, Klimaschutz. Bäuerinnen und Bauern können das umsetzen, sofern Agrarpolitik über den Hebel der Subventionen am Gemeinwohl ausgerichtet wird. Und die europäische Gemeinsame Agrarpolitik sollte Geld für die erforderlichen Transformationsprozesse in der Landwirtschaft, etwa für die Reduzierung von Tierzahlen oder den Anbau und die Vermarktung von Hülsenfrüchten, zur Verfügung stellen.

Haben die protestierenden Landwirt*innen denn überhaupt die gleichen Interessen wie die Bauernverbände?

Teilweise schon, aber oftmals agieren die Bauernverbände hauptsächlich im Interesse von großen Konzernen und industriellen Landwirtschaftsunternehmen. Aktuell profitieren von den EU-Zahlungen vor allem Betriebe mit großer Fläche, nicht aber ökologisch produzierende und flächenmäßig kleine Höfe.

Grundsätzlich wünschen sich die allermeisten Landwirt*innen, nicht von Subventionen zu leben, sondern vom Verkauf ihrer Produkte. Derzeit sind sie jedoch häufig gezwungen, unter dem Erzeugerpreis an die vier großen Lebensmittelhändler Edeka, Rewe, Aldi und Lidl, die über 75 Prozent des Marktes kontrollieren, zu verkaufen, weil sie etwa keine alternativen Weiterverarbeitungs- oder Vertriebsstrukturen nutzen können. In Frankreich oder Spanien ist der Verkauf unter Erzeugerpreis verboten, das könnte man auch EU-weit umsetzen.

Es gibt allerdings auch Landwirt*innen aus Familienbetrieben, kleinen und mittelständischen Betrieben oder Bio-Höfen, die verstehen, dass weitgehende Veränderungen aufgrund der Klimakrise – die sie tagtäglich auf ihren Feldern sehen – dringend nötig sind und die für mehr staatliche Unterstützung bei der Umsetzung protestieren. Ihnen geht es um andere Dinge als den Bauernverbänden: etwa um die regionale Vermarktung von Lebensmitteln, die Förderung des Ökolandbaus oder um die Finanzierung für Naturschutzmaßnahmen, die sie umsetzen wollen.

Ähnlich zeigen sich diese Differenzen, wenn es um die Regulierung der Gentechnik geht. Der Bauernverband begrüßt ausdrücklich aktuelle Vorschläge zu weniger Regulierung in diesem Bereich. Bio-Landwirt*innen hingegen laufen Sturm, da genmanipulierte Organismen in der gesamten Kette der Lebensmittelerzeugung die Bio-Produkte verunreinigen können: Samen von gentechnisch veränderten Pflanzen gelangen mit dem Wind oder über Tiere leicht aufs Nachbarfeld, eine (durchaus häufig praktizierte) gemeinschaftliche Maschinennutzung birgt ebenfalls Gefahren, in den Getreidemühlen oder im Lager könnte gentechnisch verändertes Getreide die Bio-Ernte verderben. Die Deregulierung des bestehenden Gesetzes wäre somit ein Problem für den ökologischen Landbau und wird von den Verbraucher*innen in Deutschland auch mehrheitlich abgelehnt.

Welche Rolle spielt denn die Agrarpolitik im Rahmen der Klimapolitik?

Für die Klimapolitik ist die Agrarpolitik von enormer Bedeutung. In Deutschland trägt die Landwirtschaft mit etwa 65 Millionen Tonnen Kohlenstoffdioxid-Äquivalenten 7,5 Prozent der deutschen Gesamtemissionen bei. Rechnet man noch jene Emissionen dazu, die bei der Entwässerung von Mooren zur landwirtschaftlichen Nutzung, dem Umpflügen von Grünland, der Verbrennung fossiler Energieträger in der Landwirtschaft und bei der Produktion von Pestiziden und Düngemittel entstehen, kommen weitere 43 Millionen Tonnen hinzu. Das entspricht sogar 12,5 Prozent der deutschen Emissionen.

Ohne eine Agrarpolitik, die sich auf den Klimaschutz fokussiert, haben Klimapolitik und Klimagerechtigkeit keine Chance auf Erfolg.

Agrarpolitik betrifft aber, neben diesen direkten Emissionen, auch das Wasser, dessen Nutzung und Verschmutzung, den Einsatz von Pestiziden und den Erhalt gesunder Böden. Diese Probleme wiederum sind alle mit der Tierhaltung verbunden. Ein Fünftel der landwirtschaftlichen CO2-Emissionen geht auf die Tierhaltung zurück. 30 Prozent der globalen Ackerfläche werden zum Anbau von Soja, Weizen und Mais für die Nutzung als Tierfutter verwendet. In der EU liegt dieser Wert sogar bei 60 Prozent. Die Massentierhaltung ist ein Treiber der Klimakatastrophe und des Artenverlustes.

Ohne eine Agrarpolitik, die sich auf den Klimaschutz fokussiert, haben Klimapolitik und Klimagerechtigkeit keine Chance auf Erfolg. Es gilt, global zu denken. Ein gutes Beispiel hierfür bietet das Mercosur-Abkommen: Der Handel soll für ebenjene Produkte erleichtert und damit gesteigert werden, die im Amazonas und anderen artenreichen Tropenwäldern zu Brandrodungen führen, zu Vertreibungen von indigenen Menschen und zu Menschenrechtsverletzungen. Die vorgesehenen Erleichterungen bei der Ausfuhr bestimmter Produkte aus der EU sind ebenfalls kritisch zu betrachten, denn dabei geht es beispielsweise auch um Pestizide europäischer Chemiekonzerne. Diese sind giftig und in der EU teilweise noch nicht einmal zugelassen. Der erleichterte Export und zunehmende Einsatz dieser Chemikalien beinhaltet hohe Gesundheitsrisiken für die Menschen vor Ort – und bedeuten katastrophale Auswirkungen auf die Natur. Dem möchte ich im EU-Parlament entgegenwirken.

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