Nachricht | Oswalt: Bauen am nationalen Haus. Architektur als Identitätspolitik; Berlin 2023

Über die interessengeleitete «historische Rekonstruktion» von Bauten

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Der 1964 geborene Philipp Oswalt gehört zu den profiliertesten Architekturkritiker*innen in Deutschland. Er lehrt seit 2006 als Professor für Architekturtheorie und Entwurf an der Universität Kassel. Ab 2009 bis 2014, als sein Vertrag nicht mehr verlängert wurde, war er Direktor der Stiftung Bauhaus Dessau. In den letzten Jahren hat er sich immer wieder in überregionale architekturpolitische Debatten eingebracht. In seinem neuen Buch Bauen am nationalen Haus. Architektur als Identitätspolitik geht es ihm zentral um eine Kritik an politischen Implikationen einiger überregional beachteter Bauwerke. Diese verfolgten ein geschichtspolitisches Programm, das die Revision deutscher Geschichte einfordert und aktiv mit befördert. Sie wurden aus dem rechten, nationalkonservativen bis rechtsextremen Lager angestoßen, über längere Zeiträume vorangetrieben, inhaltlich geprägt und teils sogar finanziert. In der Publikation sind nach einem längeren Vorwort (S. 15-41) fünf Texte versammelt, die «in guten Teilen auf früheren Veröffentlichungen» (S. 204) basieren, nun aber erweitert und aktualisiert wurden.

Oswalt problematisiert anhand vier Beispielen die «historische Rekonstruktion», also den Wiederaufbau von zerstörten und gleichwohl markanten Bauwerken in den letzten zwei Dutzend Jahren. Diese Rekonstruktionen waren allesamt auf starke Kritik gestossen. Mit seinen Beiträgen vertieft und konkretisiert er diese Kritiken. Dabei handelt es sich um die Garnisonskirche bzw. deren Turm in Potsdam, das Stadtschloss in Berlin, das ja vor allem durch das sog. Humboldtforum in die Schlagzeilen geriet, dann die sog. «Neue Altstadt» in Frankfurt/Main und, etwas anders gelagert, die Meisterhäuser des Bauhaus´ in Dessau. Im fünften Beitrag geht es um den bereits 1946 bis 1948 erfolgten Wiederaufbau der Paulskirche in Frankfurt/Main, die für die bundesrepublikanische Demokratiegeschichte eine große Bedeutung hat. Oswalt zeichnet in essayhafter Form und unterschiedlicher Länge die diesen Bauvorhaben innewohnende essentialistische Fiktion von Geschichte, Tradition und (nationaler) Identität nach.

An den Beispielen Potsdam und Berlin erzählt Oswalt den Verlauf dieser Rekonstruktionen chronologisch und relativ kleinteilig nach und äußert sich auch zu unklaren Geldflüssen. Er nennt Namen von AkteurInnen, die als Großspender oder gar als Initiatoren bei diesen beiden Bauten, Verbindungen ins rechtspopulistische Lager hatten, oder diesem politisch angehörten. Diese Verbindungen sind kein Zufall, geht es doch in Berlin und Potsdam bei der Wiederherstellung der im zweiten Weltkrieg zerstörten Bauten um die Idealisierung von Monarchie, Kolonialismus und Militarismus, samt dem dazu gehörenden Untertanengeist, Gehorsam und Nationalismus. Preußen und die Hohenzollernmonarchie sind die angerufenen Referenzpunkte, und nicht, wie es im 21. Jahrhundert erwartet werden könnte, Aufklärung, Emanzipation und Liberalität. Am Berliner Stadtschloss kommt noch hinzu, dass dieses genau auf der Fläche wiedererrichtet wurde, an dem vorher der 1976 eröffnete Palast der Republik stand. Dieses Symbol einer «modernen DDR» wurde, ungeachtet vieler Proteste, 2006 bis 2008 abgerissen. Seine Errichtung war wiederum in der DDR als Zeichen gegen den im 1950 gesprengten Schloss ausgedrückten Nationalismus und Militarismus des Kaiserreiches und der Hohenzollern gedacht gewesen.

Beim Beispiel der von einer schwarz-grünen Stadtregierung 2007 beschlossenen «Neuen Altstadt» in der Global City Frankfurt/Main wurde in einer Art Disneyland ein ganzes Quartier mit drei Dutzend höchstpreisiger Häuser samt Tiefgarage errichtet, deren Fassaden optisch nach hegemonialer Darstellung „wie Bürgerhäuser» aussehen sollen. Selbstverständlich kostete das Projekt doppelt so viel wie geplant, die öffentliche Hand zahlte die Hälfte der Kosten - und es entstand eben nicht nur der sterile Nachbau einer freien Bürgerstadt, sondern auch der des Krönungswegs der Kaiser des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation.

Max Czolleknennt in seinem Vorwort als Ziele dieser ambitionierten Projekte die Versöhnung mit der Geschichte und die Schaffung eines positiven Nationalbewusstseins. Diese Versöhnung könne es aber nicht geben, da eine «positive» deutsche Geschichte sich nicht von der Gewaltgeschichte trennen lasse.

Die politische Schlagseite der im Buch vorgestellten Debatten ist allerdings ebenso interessengeleitet wie eindeutig: Bauten aus der Zeit vor 1919 werden idealisiert, sie gelten grundsätzlich als gelungen, moderne Bauten aus den letzten 100 Jahren hingegen als gescheitert. Eine Beteiligung der Zivil- und Stadtgesellschaft war in Potsdam, Berlin und Frankfurt/Main nicht vorgesehen und dementsprechend allergisch und abwehrend wurde auf Kritik reagiert.

Oswalt, der für seine Texte mehrmals juristisch angegriffen wurde und sich erfolgreich dagegen wehren konnte, kann mit seinem lesenswerten Buch sehr gut zeigen, dass «der Rückbezug auf Geschichte kein objektivierbarer Vorgang (ist), sondern ein kultureller und geistiger Prozess, der sich auch architektonisch manifestiert und in den sich - gewollt oder ungewollt - die eigene Zeitgenossenschaft und Subjektivität einschreibt» (S. 196).

Philipp Oswalt: Bauen am nationalen Haus. Architektur als Identitätspolitik; Berenberg Verlag, Berlin 2023, 240 Seiten, 22 Euro