Publikation Ungleichheit / Soziale Kämpfe - Arbeit / Gewerkschaften - Kämpfe um Arbeit Hände weg von Koalitionsfreiheit, Tarifautonomie und Streikrecht!

Über das Gesetz der Bundesregierung zur Tarifeinheit. Analyse von Detlef Hensche.

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Reihe

Analysen (Archiv)

Autor

Detlef Hensche,

Erschienen

Dezember 2014

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Wie bereits im Koalitionsvertrag vereinbart und mehrfach angekündigt, hat die Bundesregierung am 11. Dezember 2014 den Entwurf eines Gesetzes zur Regelung der Tarifeinheit vorgelegt. Das Gesetz soll verhindern, dass in den Betrieben unterschiedliche Tarifverträge mit – ganz oder zum Teil – gleichem Geltungsbereich anzuwenden sind. Konkret: Haben mehrere Gewerkschaften Tarifverträge mit divergierendem Inhalt abgeschlossen, die die gleichen Gruppen von Arbeitnehmern erfassen, soll im Interesse einheitlicher und gleicher Arbeitsbedingungen betrieblich nur ein Tarifvertrag anwendbar sein. Der Gesetzentwurf entscheidet sich nach dem Mehrheitsprinzip für den Tarifvertrag der im Betrieb mitgliederstärksten Gewerkschaft. Der Tarifvertrag der Minderheitsgewerkschaft soll ohne rechtliche Wirkung bleiben.

Das Gesetz verletzt die Koalitionsfreiheit der Gewerkschaft, deren Tarifvertrag die rechtliche Geltung versagt wird. Der Gesetzgeber entzieht der Gewerkschaft das Recht, die Arbeitsbedingungen ihrer Mitglieder nach eigenen Vorstellungen mit dem Arbeitgeber auszuhandeln und in verbindlichen, nicht unterschreitbaren Tarifverträgen festzulegen. Die Mitglieder verlieren den Schutz des Tarifvertrags. Damit wird eine der wichtigsten gewerkschaftlichen Funktionen, die Tarifautonomie, beseitigt. Überdies zielt der Gesetzentwurf auf das Streikrecht der Minderheitsgewerkschaft. In der Gesetzesbegründung spricht die Bundesregierung die Erwartung aus, dass die Gerichte Streiks um Tarifverträge untersagen, die mangels Mehrheit verdrängt werden, also nicht gelten. Unabhängig davon wird in der Praxis die Streikfähigkeit der Gewerkschaft in dem Maße schwinden, in dem ihre Mitglieder befürchten müssen, dass der durchzusetzende Tarifvertrag nicht gilt, also am Ende nicht mehr wert ist als das Papier, auf dem er geschrieben ist. Unabhängig von der Verfassungswidrigkeit schürt der Gesetzentwurf neue Konflikte und verbreitet Unfrieden auch zwischen solchen Gewerkschaften, die bisher in geordneter Weise miteinander auskamen.

Das Gesetz zielt nach Inhalt und Begründung unübersehbar auf die Aktivität streikfähiger und streikbereiter Berufsverbände. Sie sollen rechtlich diszipliniert und ruhiggestellt, ja um ihre Existenzberechtigung gebracht werden. Auch wer Berufsverbände und ihre tendenziell
exklusive Interessenverfolgung für den falschen Weg hält und für das einheitsstiftende Organisationsmodell und Selbstverständnis der Industriegewerkschaften eintritt, kann den Gesetzentwurf nicht gutheißen. Die verfassungsrechtlich «für jedermann und für alle Berufe» verbürgte Koalitionsfreiheit ist unteilbar. Die Entscheidung der Arbeitnehmer für einen gewerkschaftlichen Zusammenschluss, gleich welcher Organisationsform, ist frei. Der Staat hat sich jeglicher Zensur, Gängelung und Beschränkung zu enthalten. Überdies wird das Gesetz die Konkurrenz zwischen allen Gewerkschaften verschärfen und Dumpingtarifverträgen den Weg ebnen. Mit dem Auswahlprinzip der betrieblichen Mehrheit spielt der Gesetzgeber zu allem Überfluss dem Arbeitgeber die Schlüsselrolle zu, mit dem Betriebszuschnitt die gewerkschaftlichen Größenverhältnisse zu beeinflussen und einer ihm genehmen Gewerkschaft zur Mehrheit zu verhelfen.

Das Gesetz ist abzulehnen.

Tarifeinheit herzustellen ist ausschließlich Aufgabe der Gewerkschaften; treten mehrere Gewerkschaften auf, sind Abstimmungen und Tarifgemeinschaften bewährte Instrumente, um sicherzustellen, dass einheitliche Tarifnormen gelten. Auch dies gehört zur Tarifautonomie, aus der sich der Staat zurückzuhalten hat.

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