Dokumentation https://www.rosalux.de/ Hier finden Sie unsere Dokumentationen. de Copyright Thu, 12 Dec 2024 10:31:34 +0100 Thu, 12 Dec 2024 10:31:34 +0100 TYPO3 Dokumentation https://www.rosalux.de/fileadmin/sys/resources/images/dist/logos/logo_rss.jpg https://www.rosalux.de/ 144 109 Hier finden Sie unsere Dokumentationen. news-52675 Tue, 26 Nov 2024 12:18:00 +0100 Monster verstehen https://www.rosalux.de/dokumentation/id/52675 Faschisierung, grüner Kapitalismus und Sozialismus In welcher Zeit leben wir? Wir erleben eine neue gesellschaftliche Situation, viele alternative Wege scheinen verschlossen, die Linke in den vielen Ländern in der Defensive. Zugleich ist die Situation umkämpft, viele Debatten verlaufen zunehmend polarisiert, manche gar gewaltförmig. Die gesellschaftlichen Widersprüche bleiben ungelöst, ein grüner Kapitalismus kann sich kaum durchsetzen und könnte ohnehin kaum ausreichend die kommenden Krisen und Katastrophen bearbeiten. Eine neue Blockkonfrontation, Krieg und Aufrüstung rauben die Ressourcen gegen die sich zuspitzenden sozialen, ökologischen, ökonomischen Krisen. Autoritäre Projekte und eine zunehmende Faschisierung verbreiten Ressentiments, Angst und alltägliche Gewalt, während viele linke Projekte zwischen überkommenen Spätneoliberalismus, blockierter ökologischer Modernisierung und der radikalen Rechten zerrieben werden.

Welches sind die entscheidenden Dynamiken in Zeiten von Krisen, Kriegen und Katastrophen? Wie entwickeln sich die gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse? Welches sind die gesellschaftlichen Szenarien möglicher Zukünfte? Welches sind die Blockaden einer progressiven Entwicklung? Welche Strategien und Alternativen einer sozialistischen Linken braucht es, um in diesen Zeiten der Transformation handlungs- und wirkungsfähig zu werden? Wir versuchen auf dieser Konferenz eine konkrete Analyse der konkreten Situation, verknüpft mit der Suche nach linken Strategien und (öko)sozialistischen Perspektiven. Dazu laden wir internationale Referent*innen ein, um uns gemeinsam Raum für eine Zeitdiagnose zu nehmen.

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news-52756 Tue, 19 Nov 2024 18:19:04 +0100 Facetten der Einwanderung https://www.rosalux.de/dokumentation/id/52756 Talking Points der Fachtagung zu Einwanderung, Einbürgerung und Staatsangehörigkeit In einer politischen Landschaft, in der der Einfluss von rechten Positionen stetig zunimmt und rassistische Einstellungen Einzug in parlamentarische Aushandlungsprozesse und Debatten nehmen, braucht es eine linke (Gegen-)Debatte, die konservativen bis rechtsextremen Fantasien eine Gesellschaft der Vielen entgegensetzt, in der Solidarität zur Grundlage des gesellschaftlichen Miteinanders wird. Jene Aushandlung gesellschaftlichen Zusammenlebens kristallisiert sich im politischen Geschehen nicht zuletzt in der Einbürgerungsdebatte.

Angestoßen durch die Ampelregierung, die bereits im Koalitionsvertrag von 2021 die Reformierung des Staatsangehörigkeitsrechts angekündigt hatte, werden hier Fragen der Teilhabe und Zugehörigkeit verhandelt. Der Ampel war es um einen «Neuanfang» in der Migrations- und Integrationspolitik gegangen, der einem modernen Einwanderungsland gerecht werde. Mittlerweile wurde jener «Neuanfang» in Form eines neuen Staatsangehörigkeitsgesetzes, des Chancenaufenthaltsrechts sowie des Fachkräfteeinwanderungsgesetzes, aber auch des verschärften Asylgesetzes eingeläutet.

Die von der Ampel angestoßenen Reformen resultierten insbesondere aus dem Mitte-rechts Spektrum. Mehr denn je braucht es daher eine linke Einbürgerungsdebatte, die jedoch nicht im permanenten Modus der Defensive verharrt, sondern proaktiv Forderungen erarbeitet, politische Handlungsmöglichkeiten auslotet und politische Entscheidungen mitgestaltet.

Aus dieser Notwendigkeit heraus fand am 11. April 2024 in Erfurt die Konferenz «Facetten der Einwanderung - Fachtagung zu Einwanderung, Einbürgerung und Staatsangehörigkeit» statt. Expert*innen aus Wissenschaft und Praxis fanden hier einen Raum, um sich zu vernetzen, Wissen auszutauschen und über Facetten der Einbürgerung und Einwanderung, kurz: «Wo bieten sich konkrete politische Interventions- und praktische Handlungs-möglichkeiten, um von links für Aufenthaltssicherung und Teilhabe zu streiten?» zu sprechen.

Einwanderung und Einbürgerung von links 

Während die Rechten die Gesellschaft, in der wir leben, als homogenes Nationalvolk imaginieren und die Neoliberalen alles daran setzen, Zugehörigkeit über das Kriterium der ökonomischen Verwertbarkeit zu verwalten, setzt eine linke Perspektive auf die Gesellschaft der Vielen, die auf der Anerkennung, Wertschätzung und Unterstützung aller basiert.

In einer nationalstaatlich strukturierten Welt konstituiert sich jene Anerkennung eben auch über die Staatsangehörigkeit, die es dem Einzelnen erleichtert, am demokratischen Willensbildungsprozess teilzunehmen. Insofern ist sie nicht nur ein Symbol von Zugehörigkeit, sondern eine demokratische Voraussetzung für die Aufrechterhaltung einer Gesellschaft der Vielen. Es braucht daher ein Staatsangehörigkeitsrecht, das auf die Anerkennung multipler Perspektiven und Verortungen hinauswill, um nicht in ein demokratisches Vakuum zu verfallen. Angesichts der massiven Infragestellung eben dieser Gesellschaft seitens rechtskonservativer aber auch vermehrt liberaler Akteur*innen, stellt sich für Linke die Frage, wie sich ein Einwanderungsgesetz im Sinne der Gesellschaft der Vielen erstreiten lässt, ohne dabei rassistische Narrative und Begründungen, wie die der vermeintlich «nützlichen» Migration (Stichwort Fachkräftemangel) gegenüber der vermeintlich «unnützen» Migrationsbewegung (Stichwort Flucht und Asyl) zu bedienen.

Gesetzeslage, Reformen, Neuerungen - eine kritische Betrachtung 

Werfen wir also zunächst einen Blick auf die aktuelle Gesetzeslage sowie Reformen und Neuerungen, die kürzlich aus jenen Debatten der Ampel hervorgegangen sind. Zentral ist hier natürlich die Reform des Staatsangehörigkeitsrechts zu nennen, die am 19. Januar 2024 mit deutlicher Mehrheit im Bundestag beschlossen wurde. Der Sachverständigenrat, der auf der Tagung mit Prof. Dr. Hans Vorländer vertreten war, veröffentlichte darauf ein Positionspapier mit einer kritischen Einschätzung. Wesentliche Änderungen der Reform sind etwa die Ermöglichung von Mehrstaatlichkeit sowie die Beschleunigung der Einbürgerung. Künftig sollen Menschen bereits nach fünf statt acht Jahren die deutsche Staatsangehörigkeit erhalten können. Bei «besonderen Integrationsleistungen» ist eine Einbürgerung bereits nach drei Jahren möglich.

Positiv anzumerken ist der Ansatz eines Abrückens vom ius sanguinis («Recht des Blutes»): Bisher fußte das deutsche Staatsbürgerrecht auf dem Abstammungsprinzip als zentraler Faktor in der Bestimmung bzw. Verleihung der Staatsbürgerschaft. Die Reform beinhaltet nun, allen in Deutschland geborenen Kindern ausländischer Eltern vorbehaltlos die deutsche Staatsangehörigkeit zu verleihen, sofern mindestens ein Elternteil seit mehr als fünf Jahren rechtmäßig in Deutschland lebt.

Jedoch, merkt Prof. Dr. Vorländer an, sieht das Staatsangehörigkeitsrecht keine Regelung für Staatenlose vor: «Man hätte Kindern von Staatenlosen auch die Staatsangehörigkeit automatisch verleihen können, wenn eben die Eltern fünf Jahre in Deutschland ihren Aufenthalt haben.». Das Versäumnis, eine Regelung für Staatenlose zu schaffen, sendet an diese Gruppe einmal mehr das Signal, dass sie durchs Raster fällt – und verstetigt somit eine eklatante Form struktureller Gewalt.

Ähnlich verhält es sich mit der Voraussetzung, den eigenen Lebensunterhalt bestreiten zu können. Tatsächlich lässt sich hier, so Vorländer, sogar «eine Verschärfung innerhalb dieser Personengruppen, die sich in prekären Lebenssituationen befinden», feststellen. Denn während Sozialhilfebezug zuvor einer Einbürgerung nicht im Wege stand, sofern die Betroffenen die Inanspruchnahme der Leistungen nicht zu vertreten hatten, gelten Ausnahmeregelungen nunmehr ausschließlich für «Gastarbeiter*innen», Vollzeitarbeitende und Ehepartner*innen einer*s Vollzeitarbeitenden mit minderjährigen Kindern. Wer nicht zu diesen Ausnahmen gehört, hat ausschließlich die Chance auf eine «Ermessenseinbürgerung» über die Härtefallregelung. Dies betrifft etwa Rentenbezieher*innen, Menschen mit Behinderung, Alleinerziehende und pflegende Angehörige. Faktisch bedeutet diese Neuregelung, dass einige Gruppen von Menschen ihr Recht auf Einbürgerung durch ökonomische Zwänge verlieren. Insofern stellt die Reform hier eine Verschärfung und aus einer linken Perspektive, die auf soziale Gerechtigkeit hinauswill, einen herben Rückschritt dar.

Das Chancen-Aufenthaltsrecht (auch «Spurwechsel») 

Eine weitere wesentliche Änderung wurde mit dem Chancen-Aufenthaltsrecht vorgenommen. Das Chancen-Aufenthaltsrecht bietet eine Brücke aus der Duldung in ein Aufenthaltsrecht.

Menschen, die sich bis zum 31. Januar 2022 seit fünf Jahren ununterbrochen geduldet, gestattet oder mit einer Aufenthaltserlaubnis im Bundesgebiet aufgehalten haben, konnten auf Antrag eine Aufenthaltserlaubnis auf Zeit beantragen. Innerhalb einer Zeit von 18 Monaten – und dieser Zeitraum ist nicht verlängerbar – sollen sie die fehlenden Voraussetzungen für ein Bleiberecht nach Paragraf 25a und 25b AufenthG erfüllen. Dazu gehören insbesondere die Lebensunterhaltssicherung, ein Identitätsnachweis sowie der Nachweis von deutschen Sprachkenntnissen. Die Beantragung für ein Bleiberecht nach Paragraf 25a und 25b kommt einem Rückzug des Asylantrags gleich – einem «Spurwechsel». Dies ist eine wesentliche Neuerung, da das Asylrecht bislang bei Rücknahme eines Asylantrags ein sofortiges Aufenthaltsverbot vorsah. In diesem Sinne ist das Chancen-Aufenthaltsrecht positiv zu bewerten, da Menschen nun die Chance bekommen, über den Eintritt ins Erwerbsleben auch ihren Status zu regularisieren. 

Problematisch ist dagegen, dass die sogenannte Stichtagsregelung viele Menschen ausschließt: wer sich bis zum 31. Januar 2022 noch nicht seit fünf Jahren ununterbrochen im Bundesgebiet aufgehalten hat, ist per se von einer Beantragung ausgeschlossen. Zudem sind selbst für diejenigen, die die Voraussetzungen erfüllen, die Bedingungen, ins Bleiberecht nach Paragraf 25a und 25b AufenthG zu wechseln, ausgesprochen hochschwellig. Das Credo lautet: Aufenthalt gegen Leistung. Grundlegende Teilhaberechte werden nach Kriterien der Nützlichkeit vergeben.

Daher ist auch eine wesentliche Argumentation, dass eine linke Einbürgerungsdebatte derlei Nützlichkeitsdiskursen ein Dispositiv entgegenhalten muss, das von utilitaristischen Prinzipien abrückt und stattdessen von der Idee der Menschenrechte getragen ist. 

Machbare Wege: Politische Interventions- und praktische Handlungsmöglichkeiten 

Gesetzgebung 

In einer demokratischen Gesellschaft konstituiert sich politisches Handeln letztlich in Gesetzgebung. Ein wichtiges Feld der Intervention ist somit die konsequente Nachbesserung vorhandener Regularien und Gesetzesrahmen. Mit Bezug auf das Chancen-Aufenthaltsrecht ließe sich etwa eine Entfristung des Gesetzes, die Aufnahme von undokumentierten Personen, die Abschaffung des Stichtages sowie die Umsetzung der schon angekündigten Einführung der eidesstattlichen Versicherung zur Identitätsklärung, anstelle der Anforderung der Ausstellung durch ausländische Behörden, die oft scheitert, einfordern.

Der Einbürgerungsprozess: «Damit sind wir schon beim Schwachpunkt»

Wie effektiv können Reformen faktisch umgesetzt werden? Diese Frage verweist auf die Verwaltung und den Einbürgerungsprozess. In seiner Rede verweist Bodo Ramelow auf die Diskrepanz zwischen Anspruch und Realität: «Damit sind wir schon beim Schwachpunkt. Versuchen Sie mal in Erfurt beim Ausländeramt einen Termin zu kriegen. […] wir leben in einer Gesellschaft, die sich jahrzehntelang aufgestellt hat auf Abwehr gegen Nichtdeutsche […].» (Bodo Ramelow)

Zunächst einmal verweist Ramelow hier auf den Umstand, dass die Einbürgerungsbehörden personell massiv unterbesetzt sind. Einbürgerungswillige warten zum Teil ein Jahr lang auf ihren Ersttermin, bei dem es sich lediglich um eine Erstaufklärung handelt. Insofern gilt es zunächst, die Behörden personell zu stärken, um die Reform des Staatsangehörigkeitsgesetzes überhaupt verwaltungstechnisch umsetzen zu können.

Zeitgleich kontastiert Ramelow auch die Haltung der Abwehr gegenüber Ausländer*innen. In dieser Haltung der Abwehr agieren zahlreiche Migrationsbehörden und -ämter. Jetzt seien sie, so führt Vorländer den Gedanken fort, darüber aufzuklären, dass es sich eben nicht um bloße administrative Vorgänge handele, sondern dass man «diskriminierungssensibel und einladend mit Personen umgeht, die um die deutsche Staatsbürgerschaft nachsuchen.» Bisher wird der Einbürgerungsprozess durch die Antragsteller*innen als massive psychische Belastung wahrgenommen, obschon die Einbürgerung doch per Definition eine inklusionsfördernde Maßnahme sein sollte. 

Wichtigkeit einer Willkommenskultur 

Nun sind Gesetzeslockerungen und ein erleichterter Einbürgerungsprozess sicher wichtige Schritte. Doch man kann die tollsten Gesetze schaffen und Teilhaberechte in Aussicht stellen  – wenn das gesellschaftliche Klima der AfD den Boden bereitet, wenn Menschen der blanke Rassismus entgegenschlägt und sie in der öffentlichen Wahrnehmung selbst nach Jahrzehnten, wenn überhaupt, als nützliche Gäste, nicht aber als Teil der Gesellschaft verstanden werden, dann ist das schlicht unattraktiv. Insofern ist das progressivste Einwanderungsrecht wirkungslos, sofern es nicht Hand in Hand geht mit antirassistischer Aufklärungsarbeit und der Bereitschaft, sich selbst als Einwanderungsland und Gesellschaft der Vielen anzuerkennen.

Sich gegenseitig stärken, Vernetzen 

Um entgegen regressiver Entwicklungen linke, progressive Visionen aufrechtzuerhalten und in politisches Handeln zu überführen, bleibt es zudem unerlässlich, sich gegenseitig den Rücken zu stärken, sich zu vernetzen und Wissen auszutauschen: «Dass man Begegnungsorte schafft, dass man Orte schafft, wo Menschen, die sich beispielsweise im ländlichen Raum sehr alleine engagieren, […]  sich mit anderen austauschen und vernetzen können, um sich gegenseitig zu stärken und auch noch mehr Menschen für solche progressiven Projekte zu gewinnen.» (Elif Eralp)

Genau diesem Zweck diente letztlich auch die Konferenz «Facetten der Einwanderung». 
 

Text: Marlene Hempel

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news-52719 Sat, 26 Oct 2024 19:00:00 +0200 Überausbeutung https://www.rosalux.de/dokumentation/id/52719 Marx-Herbstschule: Wie sind Ausbeutungsregime strukturell verbunden? Schon Marx stellte den Kapitalismus als einen Weltmarkt dar, in den aber nicht alle Länder auf gleiche Weise in die ökonomische Entwicklung einbezogen wurden. Entwicklungsunterschiede zwischen Ländern des sog. Globalen Nordens und Globalen Südens wurden im Folgenden vor allem durch Imperialismustheorien analysiert. Während Wertschöpfungsketten sich immer weiter globalisieren, nimmt globale soziale Ungleichheit seit Jahrzehnten weiter zu. Wie lassen sich diese globalen Differenzen im Lohngefälle und im Lebensstandard von Arbeiter:innen fassen?

Überausbeutung ist ein viel diskutiertes Konzept, das aufbauend auf dem Marx'schen Ausbeutungstheorem versucht, genau dieses Phänomen zu konzeptualisieren. Es wurzelt in der marxistischen Dependenzdebatte, die sich mit der Unterentwicklung der Länder des Globalen Südens nach dem formalen Ende des Kolonialismus befasst und versucht analytisch nachzuvollziehen, inwiefern unterschiedliche Ausbeutungsregime strukturell miteinander verbunden sind.

Mit Janina Puder und Bafta Sarbo
Moderation: Valeria Bruschi

Eine Veranstaltung in Kooperation mit Helle Panke e.V.

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news-52530 Thu, 19 Sep 2024 13:19:52 +0200 Diplomatie jetzt! https://www.rosalux.de/dokumentation/id/52530 Internationale Konferenz verabschiedet einen Appell für den Frieden in der Ukraine Das Blutvergießen in der Ukraine muss ein Ende finden. Wir stehen an der Seite der Menschen in der Ukraine und aller Opfer dieses Krieges. Sie alle brauchen so schnell wie möglich eine Perspektive von Frieden und Freiheit. Ohne Verhandlungen wird das kaum möglich sein. Lediglich 20 Prozent aller zwischenstaatlichen Kriege enden mit einem Sieg oder einer Niederlage, und dies oft erst nach vielen Jahren. Daher müssen wir jetzt alle Anstrengungen unternehmen, um den Weg für Friedensverhandlungen zu ebnen.

Auch wenn es wenig Signale aus dem Kreml gibt, dass Interesse an Verhandlungen besteht, die über Gefangenenaustausch und dergleichen hinausgehen: Verhandlungen lassen sich auch herbeiverhandeln. Es ist zu wenig, einfach nur darauf zu warten, dass sich die Regierungen in Kyjiw und Moskau aus eigener Motivation an einen Tisch setzen oder die Kriegsmüdigkeit der in diesem blutigen Abnutzungskrieg die Regierungen dazu zwingt. Wir wollen hier in Deutschland, Europa und dem Westen nicht mehr ausschließlich darüber diskutieren, welche Waffen als Nächstes geliefert werden sollen. Stattdessen wollen wir darüber diskutieren, wie die Regierungen des «Westens» Friedensgespräche ermöglichen, vereinfachen oder anstoßen könnten. Wer sind mögliche und notwendige Partner dabei? Wie können diplomatische Initiativen aus China, Brasilien, von Seiten der afrikanischen oder anderen Staaten genutzt werden, um gemeinsam Druck auf die Kriegsparteien auszuüben? Es braucht den Druck auf unsere Regierungen, die derzeit mehr mit der Systemkonfrontation mit China und Russland beschäftigt sind, als mit wirklicher Solidarität mit den Menschen in der Ukraine.

Mit internationalen Gästen, Wissenschaftler*innen und Politiker*innen aus der Ukraine, Russland, China, Brasilien, Südafrika, Indien und vielen europäischen Ländern diskutieren wir über Wege einer gemeinsamen neuen internationalen Initiative für Diplomatie. Auf der Konferenz am 31.8.2024 wurde ein Appell für Verhandlungen und Druck auf unsere Regierungen verabschiedet. Endlich soll nicht mehr nur in Waffen, sondern auch in Diplomatie zu investiert werden. Denn es geht um das Leben der Menschen, ihren Frieden und ihre Freiheit – und um die Frage, wie Frieden und Sicherheit in Europa künftig ohne weitere militärische Aufrüstung gesichert werden können und wie eine neue Blockkonfrontation verhindert werden kann, auch im Interesse anderer großer globaler Anliegen wie soziale Gerechtigkeit, Klima, Umwelt und demokratische Teilhabe.

Der Appell

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news-52326 Mon, 15 Jul 2024 15:48:00 +0200 50 Jahre Chilenisches Exil in Deutschland https://www.rosalux.de/dokumentation/id/52326 Archiv der Erinnerungen eröffnet Auf ihrer gemeinsamen Veranstaltung eröffneten das Berliner Rayuela-Kollektiv und die Rosa-Luxemburg-Stiftung am 20. Juni 2024 in Berlin das Archiv zu «Erinnerungen des Exils». Es wird fortan online abrufbar sein.

Weit über einhundert Menschen allen Alters nahmen an der Veranstaltung teil. Silke Veth (RLS) betonte eingangs das Engagement der Stiftung, migrantische Erinnerungsarbeit in Deutschland besser hör- und sichtbar zu machen, während Maitén Arns und Mauricio Lara die diesbezüglich seit 2018 vom Rayuela Kollektiv geleistete Arbeit präsentierten.

Auf dem anschließenden, von der Journalistin Ute Löhning moderierten Podium sprachen María Cristina Miranda und ihre Enkelin Emilia Berríos über generationenübergreifende Weitergabe von Erinnerungen. José Giribás und Petra Schlagenhauf beleuchteten konkrete chilenisch-deutsche Beziehungen in den facettenreichen Solidaritäts- und Widerstandsbewegungen in den Jahren der Diktatur. Schließlich reflektierten Nancy Larenas und Diego Aguirre über (auch sehr persönliche) Erfahrungen aus Situationen und den Perspektiven des Exils in beiden deutschen Staaten.

Die Eröffnung des Online-Archivs fand ganz bewusst im Rahmen des Weltflüchtlingstages 2024 statt, um einmal mehr auf das Menschenrecht auf Asyl wie auch darauf hinzuweisen, dass Flucht, Migration und Exil für alle Betroffenen existenzielle Erfahrungen sind!

Für die musikalische Begleitung des Abends sorgten – in Anwesenheit der chilenischen Botschafterin Magdalena Atria – Ximena Valverde und Lautaro Valdés. Um bereits vor Ort einen ersten Eindruck vom Archiv der Erinnerungen gewinnen zu können, wurde folgende Zusammenstellung von Stimmen zum Thema «Frauenbewegung in Chile und im deutschen Exil» gezeigt:

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news-52324 Tue, 25 Jun 2024 15:20:00 +0200 Erneuerbar, effizient, regional https://www.rosalux.de/dokumentation/id/52324 Potenziale von Großwärmepumpen als Teil der kommunalen Wärmeplanung in städtischen und verdichteten Räumen news-52240 Fri, 21 Jun 2024 11:41:39 +0200 Gaza: «Wir werden nicht schweigen und wir wollen uns gegen diesen Krieg wehren.» https://www.rosalux.de/dokumentation/id/52240 Knesset-Abgeordnete Aida Touma-Sliman im Gespräch mit Katja Hermann Die Knesset-Abgeordnete Aida Touma Sliman ist Mitglied von Chadasch, der demokratischen Front für Frieden und Gleichheit. Im Gespräch mit Katja Hermann, Leiterin Referat Westasien der Rosa-Luxemburg-Stiftung, spricht sie in Berlin zur eskalierenden Situation in Gaza und in der Region und über die Auswirkungen der Pläne der extrem rechten Regierung Netanjahu für einen andauernden Krieg und die Wiederbesetzung des Gazastreifens.

Touma-Sliman geht auf die zunehmende politische Unterdrückung der palästinensischen Bürger Israels im Zusammenhang mit dem Gaza-Krieg ein und berichtet über die gemeinsame jüdisch-arabische Antikriegsbewegung in Israel, die die Unterstützung der deutschen Friedenskräfte braucht.

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news-52204 Fri, 14 Jun 2024 16:47:38 +0200 Erfolgreich und sozial gerecht(er) – Einblicke in die finnische Bildung https://www.rosalux.de/dokumentation/id/52204 Bericht über eine Bildungsreise nach Finnland Unter diesem Titel hat sich eine Gruppe aus 28 bildungspolitisch Aktiven und Interessierten im Alter von 19 – 77 Jahren für eine Woche nach Helsinki aufgemacht. Wir wollten bei Schulbesichtigungen und Hospitationen, über Gespräche mit Verantwortlichen der Schulverwaltung und Lehrkräftebildung, mit Politiker*innen, Gewerkschafter*innen und Wissenschaftler*innen in Erfahrung bringen wie es Finnland seit Jahrzehnten gelingt, in internationalen Vergleichsuntersuchungen zu Kernkompetenzen (PISA, TIMMS etc.) überdurchschnittlich abzuschneiden und zugleich den Zusammenhang zwischen sozialer Herkunft und Bildungserfolg zu minimieren.

Dafür hatten Petra Linderoos, selbst als Lehrkraft und in der Lehrkräftebildung in Finnland aktiv gewesen, und Dörte Putensen, Historikerin, die viel zu Finnland gearbeitet hat, in Absprache mit mir ein vielseitiges und interessantes Programm erstellt.

Einen ersten Einblick in das Skandinavische Schulsystem hat uns der Film „Spitze – Schulen am Wendekreis der Pädagogik. Warum Schulen in Skandinavien gelingen“ von Rainer Kahl vermittelt. Obwohl sich seit Erscheinen des Films 2003 auch im Finnischen Schulsystem einiges verändert hat war doch erkennbar, wieviel Wert auf Bildung gelegt wird, dass die Kinder und ihre individuelle Entwicklung im Mittelpunkt stehen und ihnen hohe Wertschätzung entgegengebracht wird. Und dass sich der Finnische Staat seine Bildung einiges kosten lässt.    

Montag früh haben wir in der Deutschen Bibliothek Helsinki eine Einführung in die Finnische Bildung durch Petra Linderoos erhalten. Die Deutsche Bibliothek wurde im 19. Jahrhundert auf Privatinitiative deutschsprachiger Familien gegründet, deren private Bücher den Grundstock für die Bibliothek bildeten. Inzwischen beherbergt sie ca. 40.000 deutschsprachige Bücher und bietet auch Platz für Veranstaltungen – mitten im Herzen Helsinkis.

Für die Finnische Bildung sind vier Grundsätze zentral: Vertrauen, Gleichwertigkeit, Konsens und Kontinuität. Vertrauen meint in diesem Zusammenhang, dass es ein Grundvertrauen der Finn*innen in ihren Staat und seine Institutionen gibt. Das betrifft das Vertrauen in Bildung ebenso wie das in Schule und Lehrkräfte.

Gleichwertigkeit meint, dass der Start für alle Kinder gleich sein muss.

Konsens bedeutet, dass der Staat als Verhandlungsdemokratie, als Konsensgesellschaft anerkannt ist, in dem zwischen den Parteien ein Grundkonsens über die Bedeutung der Breitenbildung und deren Voraussetzungen hergestellt wurde.

Kontinuität wiederum meint die regelmäßige Überprüfung und Veränderung von bildungspolitischen Rahmenbedingungen (z.B. die regelmäßige Überarbeitung des nationalen Curriculums).

Diese vier Prinzipien finden in Finnland bereits sehr früh Eingang in die Bildungspolitik. So wurde bereits 1866 in der Volksschulverordnung das Recht ALLER auf Bildung verankert, die mit einer Bildungs- (nicht Schul-) Pflicht einhergeht. Um Unterschiede und ggf. Probleme in der frühkindlichen Bildung zu mildern bzw. zu beheben, wurde 1922 in Helsinki die Neuvola gegründet, die 1944 flächendeckend in Finnland eingeführt wurde. Diese kommunale kostenfreie Beratungsstelle wird de facto von allen Finn*innen genutzt, sie begleitet und berät Schwangere, stellt das Mutterschaftspaket (Erstausstattung für Neugeborene) zur Verfügung, leistet regelmäßige Untersuchungen der Babys und Kleinkinder und berät und unterstützt durch Dienstleistungen bei gesundheitlichen Problemen in der Familie.

Seit 1996 gibt es das Recht auf einen Kita-Platz nach dem Mutterschutz, für den gestaffelte Beiträge (bis max. 295,- €) gezahlt werden. Für die frühkindliche Bildung gibt es einen nationalen Rahmenplan und auch der Betreuungsschlüssel (1:4 für unter Dreijährige und 1:7 für über Dreijährige) ist landesweit festgelegt. In der Kita-Bildung steht das Wohl des Kindes im Zentrum, dafür werden individuelle frühkindliche Entwicklungspläne (Vasu) erstellt.

Vor der Einschulung in die Gemeinschaftsschule besuchen Finnische Kinder verpflichtend die Vorschule, die kostenlos (incl. Verpflegung) ist und die der Stärkung der sprachlichen und kulturellen Identität dient. Hier soll Lernen spielerisch erlernt und Lernschwierigkeiten frühzeitig begegnet werden.

Im Anschluss an die Vorschule gehen Finnische Kinder in die Gemeinschaftsschule (Klasse 1-9). Dieser Schultyp wurde ab 1972 auch gegen den Widerstand insbesondere von Gymnasiallehrer*innen eingeführt und gilt ab 1977 finnlandweit als die Regelschule. 1980 erfolgte mit einer Lehrplanreform die Abschaffung der Hilfsschulen, der Niveaustufen und der Klassen in den Oberstufen, die durch Kurse ersetzt wurden. In den Klassen 1-6 gilt das Klassenlehrerprinzip, d.h. die Kinder werden i.d.R. in allen Fächern von der*m Klassenlehrer*in unterrichtet. Noten werden spätestens ab Klasse 4 vergeben und Mehrsprachigkeit ist ein hohes Gut an Finnischen Schulen. Ab Klasse 7 werden die Jugendlichen durch Fachlehrer*innen in Fachräumen unterrichtet.

Nach Klasse 9 trennen sich die Wege: diejenigen, die bereits wissen, was sie beruflich werden wollen, gehen in eine berufliche (schulische) Ausbildung, die anderen verbleiben im gymnasialen Zweig der Bildung (ca. 60% eines Jahrgangs). Da das finnische Bildungssystem keine Sackgassen hat bedeutet eine Entscheidung für den beruflichen oder gymnasialen Zweig nicht ein Verzicht auf eine akademische Ausbildung, denn auch im Anschluss an den beruflichen Zweig ist der Besuch einer Hochschule oder Universität möglich.

Die Stärke des Finnischen Bildungssystems besteht darin, dass in ganz Finnland ein einheitliches Rahmencurriculum gilt, dass es kostenfrei (incl. Mittagessen seit 1943) ist, d.h. dass auch alle Lernmaterialien (Bücher, Hefte, Stifte etc.) gestellt werden, dass die Schulen sehr gut ausgestattet sind (sowohl mit digitalen Medien wie Laptops, Tablets und Smartboards, aber auch mit sehr gut ausgestattete Werkstätten, Küchen, Instrumenten und Materialien für Kunst) und dass viel Wert auf musikalische, künstlerische, fremdsprachliche[1] und lebensweltliche Ausbildung gelegt wird. Darüber hinaus existieren Förderlehrpersonal und Schullaufbahnberater*innen an jeder Schule, es gibt ein dreistufiges Fördersystem für Schüler*innen mit besonderen Bedarfen und eine Lernerbetreuung, die auch bei finanziellen und psychischen Problemen berät.

Ebenso wichtig ist eine regelmäßige und umfängliche Kooperation mit den Eltern, die aktuell über die App WILMA unterstützt wird.

Pauliina Kanervo vermittelte als Direktorin für Bildung und Kultur in der Kommune Siikalatva (Mittelfinnland), wie die Kommune die Vorgaben vom Ministerium für Bildung und Kultur und dem Zentralamt für Unterrichtswesen konkret für die Bildung an ihren Schulen umsetzt.

Prämisse für das Finnische Bildungssystem ist die Absicherung eines gleichwertigen Zugangs zu hochwertiger Bildung und Ausbildung für alle Menschen. Dazu arbeiten Ministerium, Zentralamt für Unterrichtswesen, Kommunen sowie Schulen und Kitas eng zusammen. Das Ministerium für Bildung und Hochschulen, das auch zuständig ist für die Hochschulen, ist für die Finnische Bildungspolitik zuständig, bereitet Gesetze vor und sichert die staatliche Finanzierung. Es entscheidet auch über notwendige Veränderungen in der Stundentafel: in Reaktion auf das Absacken Finnlands bei PISA hat das Ministerium entschieden, dass künftig wöchentlich 2 Stunden mehr Finnisch und 1 Stunde mehr Mathematik unterrichtet werden muss. Darüber hinaus steuert das Ministerium über (z.T. über vieljährige) Projekte relevante Schwerpunkte schulischer Bildung (z.B. Inklusion, Jugendarbeit, Entwicklung von Hobbys, innovative Lernumgebung oder Gleichstellung). Für diese Sonderprogramme stellen die Kommunen Anträge und entscheiden dann, welche Schule welche Mittel erhält.

Das Zentralamt für Unterrichtswesen ist zuständig für die Erstellung des nationalen Kerncurriculums, das Ziele für jedes Fach definiert, für Reformen und die Definition von Qualifikationsanforderungen, z.B. an Lehrkräfte. Dazu diskutiert es mit Experten, z.B. der Kommune in Teams.

Die Kommune wiederum ist zuständig für den Neu- und Ausbau von Kitas und Schulen, sie weist den Kitas, Vorschulen und Schulen (finnlandweit einheitlich) Mittel pro Kind in Abhängigkeit von Alter und Bedürftigkeit zu. Sie ist zuständig für die frühkindliche Bildung und der Beitragshöhe für Kitas, die Erstellung lokaler Lehrpläne entsprechend den nationalen Rahmenvorgaben, die Weiterbildung, die Bibliotheken, kulturellen und sportlichen Angebote und Dienstleistungen und die Jugendhilfe.

Kindergärten und Schulen wiederum entscheiden im Rahmen ihrer Budgets selbst über die Verteilung der Mittel.

Wichtig ist in diesem top-down-Prozess, dass zwischen den Ebenen viel Kommunikation und Abstimmung erfolgt und dass die jeweiligen Ebenen innerhalb des Rahmens bei auskömmlicher Finanzierung sehr viel Autonomie bei der konkreten Umsetzung haben.

Aktuell existieren aber auch in Finnlands Bildungspolitik Probleme, u.a. durch politisch definierte Einsparerfordernisse, die insbesondere im Sozialbereich erfolgen sollen. Dies führt u.a. zum Abbau von Schulsozialarbeit und bei Schulpsycholog*innen.

Jaana Tomar stellte uns die Aus- und Fortbildung von Erzieher*innen und Lehrkräften in Finnland vor, die an Universitäten erfolgt. Erzieher*innen erwerben mind. einen BA-Abschluss, das Interesse an einer Ausbildung als Erzieher*in übertrifft die Zahl möglicher Studienplätze um das 4fache.

Noch schwieriger ist es, einen Studienplatz für ein Lehramtsstudium zu erhalten. Da das Ansehen von Lehrer*innen in Finnland sehr hoch ist ist auch die Motivation für diesen Beruf sehr hoch. Für Lehrkräfte von Klasse 1-6 bewerben sich aktuell ca. 16mal so viele Jugendliche, wie es Plätze gibt, noch höher liegt die Anteil nur noch bei Sonderpädagog*innen, bei denen sich 20 junge Erwachsene auf einen Studienplatz bewerben. Irritierend ist diese Quote insofern, da lt. Tomar Erzieher*innen in der frühkindlichen Bildung, Lehrkräfte von Klasse 1-6, in der Sonderpädagogik, im Gymnasialzweig von 7-9 sowie im berufsbildenden Zweig dringend gesucht werden. Die Zahl und Struktur von Studienplätzen werden jedoch politisch entschieden.

Im Bewerbungsverfahren werden mind. 51% der Bewerbungen über Zeugnisse, 49% über eine schriftliche Aufnahmeprüfung vorausgewählt – das heißt, dass auch diejenigen eine Chance haben, deren Abiturnotenote nicht so gut ist! Diejenigen, die in die engere Auswahl gekommen sind, werden zu einem 10-15minütigen Interview via ZOOM eingeladen, in denen nicht die Noten, sondern die Motivation, die Kommunikationsfähigkeit und ein realistisches Bild vom Lehrerberuf zentral sind. Die zentralen Fragen, die sich jedes Jahr ändern, werden von Universitätslehrenden gestellt, die auch die Auswahl vornehmen.

Die Lehramtsausbildung erfolgt einphasig (das – unbezahlte – Referendariat wurde abgeschafft), den Universitäten werden für die verschiedenen Lehrämter Kontingente zugewiesen. Studierende finanzieren sich über Studiengeld und -kredite. Hauptziel der Ausbildung ist die Entwicklung von Kompetenzen für Kooperation und die Auseinandersetzung mit der eigenen Arbeit; Theorie und Praxis werden forschungsbasiert vermittelt. Neben Vorlesungen, Lerntagebüchern und dem Verfassen von wiss. Essays wird viel in Gruppen gearbeitet (in Gruppen für Fächer und in kleinen Hauptgruppen). Es erfolgen Beobachtungen und Analysen von Unterricht sowohl allein wie in der Gruppe, eigener Unterricht wird immer betreut und es gibt regelmäßig verpflichtendes Feedback. Die Ausbildung erfolgt fachlich zusammen mit Fachstudierenden am Fachbereich, am Lehrerausbildungsinstitut und an der Ausbildungsschule, die an die Universität angebunden ist. Für die Klassen 1-6 wird mehr als 50% erziehungswiss. Pädagogik, weniger als 25% ein Nebenfach (z.B. Sonderpädagogik, Sport oder Musik), weniger als 25% in den Hauptfächern der Grundschule (Finnisch, Mathe…) und ca. 10% Kommunikation studiert. Neu eingeführt wurden doppelt qualifizierte Lehrer*innen, die zusätzlich zur Ausbildung von Klasse 1-6-noch eine Fachlehrerausbildung absolvieren. Diese besteht über 50% aus einem Fach (Sprache, Musik, Sport, Mathe…), weniger als 25% aus erziehungswiss. Pädagogik, weniger als 25% aus Fächern in der Grundschule (Nebenfach) und ca. 10% Kommunikation. Fächer wie Philosophie, Psychologie, Soziologie und Themen wie nachhaltige Entwicklung oder Lernberatung werden innerhalb der erziehungswiss. Pädagogik gelehrt. Darüber hinaus werden auch Ein-Fach-Lehrkräfte ausgebildet und eingesetzt.

Die schulpraktische Ausbildung ist integraler Bestandteil der Lehramtsausbildung; im 2. Studienjahr findet ein 6-7wöchiges Vollzeit-Praktikum zur Erlangung wiss. Handwerkszeugs (Wahrnehmen, Einordnen, Interpretieren) statt. Zu Beginn des 4. Studienjahrs (nach dem BA-Abschluss), erfolgt ein Praktikum zur Unterrichtsplanung und -umsetzung, zum Üben von Evaluation und Feedback sowie zum Umgang mit Heterogenität. Zum Ende des 4. Studienjahres erfolgt ein vertiefendes Praktikum zur Reflexion eigener Interaktion mit Schüler*innen und Kolleg*innen, zu beruflicher Autonomie und Arbeit in Projekten. Alle Praktika folgen einem systematischen Aufbau. Die Studiendauer beträgt 5 Jahre, die meisten Lehramtsstudierenden benötigen jedoch 6-7 Jahre bis zum Abschluss.

Im pädagogischen Rucksack, mit dem Lehrer*innen an die Schulen gehen befinden sich das Wissen über eine positive Lernatmosphäre, das Vertrauen in die Lernmöglichkeiten aller Schüler*innen und darauf, dass jede*r irgendeine Fähigkeit hat, das Wissen darüber, wie Kompetenzen entwickelt und gefördert werden und wie man offen und respektvoll mit Schüler*innen umgeht.

Die Auswahl von Lehrkräften an Schulen erfolgt durch den/die Schulleiter*in. Bezahlt werden sie nach Tarif und von der Kommune, wobei Fachlehrkräfte etwas besser als Klassenlehrer*innen (Klasse 1-6) verdienen. Sie werden befristet, unbefristet oder über einen Lehrauftrag mit festgelegter Stundenzahl angestellt. 95% der Lehrkräfte sind in der OAJ (Lehrergewerkschaft) organisiert.

Wie die Oberstufe an Finnlands Schule aussieht, war Gegenstand des Vortrags von Petra Linderoos. Ab Klasse 10 teilt sich die Oberstufe in einen gymnasialen und einen berufsbildenden Zweig – für beide müssen sich Schüler*innen bewerben. Dabei ist der Schullaufbahnberater (Opo) zuständig dafür, dass jede*r Schüler*in einen der beiden Wege einschlägt. Unabhängig von der eingeschlagenen Schullaufbahn sind in beiden Zweigen Förderlehrpersonal, Schulbetreuer und Schullaufbahnberater tätig, die für die sprachliche Entwicklung und insbesondere für die Meisterung der Übergänge verantwortlich sind. Eine besondere Rolle nimmt der Lernerbetreuer ein; er ist für das Wohlergehen von Schüler*innen verantwortlich, das ein staatliches Ziel darstellt. Er steht in enger Abstimmung mit dem Lerner, auch bei Problemen mit Eltern etc.

Im Gymnasialzweig wird im Kurssystem unterrichtet; das Abitur kann innerhalb von 2-4 Jahren abgelegt werden, wobei der Durchschnitt dies nach 3 Jahren tut. Für Leistungen gibt es Punkte, keine Noten und der Abschluss von Lerneinheiten wird über Tests erreicht.

Notwendiges Lehrmaterial wird zur Verfügung gestellt, auch sind 5 Abiturprüfungen kostenlos (bei Interesse an weiteren Prüfungen müssen diese bezahlt werden). Das Abitur wird seit 2016 digital abgelegt, die dafür erforderliche Technik wird gestellt. Finnland verfügt seit 1852 über ein Zentralabitur: dieses wird nur über schriftliche (keine mündlichen) Prüfungen abgelegt, wobei die einzelnen schriftlichen Prüfungen auseinandergezogen und damit auf einen längeren Zeitraum verteilt werden können. Prüfungsfächer sind Finnisch sowie mind. weitere 4 Fächer, davon eines, das lange studiert wurde (Englisch oder Mathematik). Die Prüfung kann wiederholt werden, um sich zu verbessern.

Beim beruflichen Zweig erfolgt die berufliche Ausbildung als schulische Ausbildung in einer Reihe von Berufsfeldern, an beruflichen Oberschulen, Volkshochschulen oder auch Musikschulen.

Der Abschluss des beruflichen Zweigs, für den es kein Lehrlingsentgelt gibt, berechtigt ebenso wie das Abitur für die Aufnahme eines Studiums, das i.d.R. an Fachhochschulen absolviert wird.

Auch gibt es die Möglichkeit, das Abitur mit dem Berufsabschluss zu kombinieren, also beide Abschlüsse zu erwerben.

Eine zusammenfassende Beschreibung zur Entwicklung der Kompetenzen finnischer Schüler*innen und künftigen Herausforderungen für das Bildungssystem lieferte uns Juhani Rautopuro vom Finish Institute for educational research. Dieses ist das älteste Institut in Nordeuropa und wird über Projektmittel u.a. der EU gefördert. Rautopuros Forschungsteam befasst sich mit internationalen Vergleichsstudien wie PISA, TIMMS oder IGLU.

Während Finnland im Jahr 2000 Spitzenreiter bei PISA war, fällt das Land seit 2006 ab, insbesondere in Mathematik und Lesen. Damit folgt es dem Trend der meisten Staaten mit Ausnahme von Korea, Japan und Estland. Besonders dramatisch ist das Absacken bei den finnischen Jungen; das gender gap bei den Schulleistungen ist eines der größten innerhalb der OECD-Staaten. Als Ursachen für das schlechtere Abschneiden in Kernkompetenzen benennt Rautopuro die allgemeine Schulentwicklung, das nationale curriculum, die Lehrkräftebildung, die Zunahme der Migration und Nutzung digitaler Medien, die Vergrößerung der Klassenstärken, das phänomenbasierte Lernen sowie die Zunahme von Armut und psychischen Erkrankungen sowie den wachsenden Einfluss des Familienhintergrundes. Nach seiner Auffassung ist PISA nicht das beste Instrument für die Messung des Bildungserfolgs und einen internationalen Leistungsvergleich, da es die Veränderung der Lebenswelt und die Erfüllung des curriculums nicht einbezieht.

Im Unterschied dazu misst TIMMS die Ergebnisse bezogen auf curriculare Vorgaben.

Trotz des Absackens der Leistungen bei PISA und TIMMS sowie der Kritik an den Vergleichsuntersuchungen kommt Rautopuro zu dem Schluss, dass Finnische Schulen gut sind, die Differenzierung zwischen den Schulen (noch) gering ist, der Grad des Bildungshintergrunds allgemein abnimmt, insbesondere bei Kindern mit Migrationsgeschichte und der Einfluss des sozialen Hintergrundes steigt.

Nach bzw. parallel zu den einführenden Vorträgen zu wesentlichen Elementen des Finnischen Bildungssystems haben wir – in jeweils zwei getrennten Teilgruppen – insgesamt vier Schulen besichtigt, im Unterricht hospitiert und mit Lehrkräften und Schüler*innen gesprochen.

Ich habe zunächst die Mankkaa Schule in Espoo an Helsinkis Stadtrand besucht. Diese Schule ist eine kleinere (420 Schüler*innen) Schule von Klasse 7-9, die mit einer Grundschule kooperiert. Schon von außen fällt auf: der finnische Staat (bzw. die Kommune) lässt sich (Schul)Bildung etwas kosten. Die Schule ist in den 90er Jahren erbaut und inzwischen saniert, sie wirkt hell, freundlich und modern in ihrer Architektur.

Statt bekannter Flurschulen sind hier die Bereiche durch kleinere Flure, dazwischen verlaufende Treppenhäuser „unterbrochen“. Wir werden im Lehrerzimmer sehr herzlich empfangen und dann in den Kunstraum geleitet, wo Tytti uns ihre Schule vorstellt. Für diese stehen 33 Lehrkräfte und 2 Assistenzlehrkräfte zur Verfügung. Darüber hinaus gibt es Sozialarbeiter, einen Heilpädagogen und einen „remidial teacher“, der Abhilfe bei Problemen schaffen soll und für Kinder mit Einschränkungen speziell ausgebildete Lehrkräfte. Auch eine Schulkrankenschwester gehört zum Team. Für Schüler*innen, die (noch) nicht Finnisch sprechen existiert eine spezifische Fördergruppe, in der sie bis zu 12 Monaten verstärkten Sprachunterricht erhalten und dann sukzessive (zunächst in Kunst und Musik) in Regelklassen integriert werden. Auch Kinder, deren Einschränkungen so stark sind, dass sie nicht in Regelklassen lernen können, werden in einem spezifischen Areal der Schule in der Gruppe gefördert. Aber wo immer es möglich ist, wird eine Integration versucht. Darüber hinaus gibt es 3 Klassen für besonders Mathematikinteressierte. Die Klassenstärke reicht von 8 bis 23 Schüler*innen pro Klasse und die Schule hat ein studentisches Wohlfahrtssystem. Der Unterricht beginnt frühestens um 8:30 und endet spätestens um 15:55 Uhr. Unterrichtet findet in 90 min.-Slots statt. Zwischen Ethik und Religion kann gewählt werden, Politik gibt es nicht als Unterrichtsfach, sondern nur Geschichte und Sozialwissenschaften. Die Mitbestimmung von Schüler*innen wir großgeschrieben: es gibt eine Schüler*innen-Vertretung, Schultutoren, Pausen- und Sportaktivitäten. Jedes gerade Jahr werden die Schüler*innen, jedes ungerade Jahr die Eltern zur Zufriedenheit mit der Schule befragt; die öffentliche Auswertung zeigt, wo die Schule steht. Gibt es Probleme, versucht die Schule selbst, diese zu beheben. In der Diskussion mit Tytti hat sie deutlich gemacht, dass sie sehr gerne in ihrem Lehrer*innen-Team arbeitet, dass es keine Probleme mit Mobbing o.ä. gibt. Allerdings verschlechtert sich die Situation auch an Finnischen Schulen: die Regierung übt Druck auf die Schulen aus, die Klassenstärke zu erhöhen, wogegen sich die Lehrkräfte zur Wehr setzen. Auch werden Vorschriften, was Lehrkräfte zu tun haben, als sehr bürokratisch wahrgenommen, es ginge vor allem darum, nach außen gut dazustehen. Auch die Konflikte mit Eltern nehmen zu und die Bezahlung wird als schlecht empfunden. Rassismus ist ein wachsendes Problem und der Umgang mit identitätspolitischen Debatten ist nicht bei allen Lehrkräften offen. Dennoch versuchen die meisten, sich mit aktuellen Herausforderungen und Themen zu befassen und sich hier durch Trainings z.B. zum Umgang mit Rassismus fit zu machen. Das Verbot für Lehrkräfte, sich politisch zu äußern und ihr Neutralitätsgebot macht es für diese (wie auch für Gewerkschafter*innen) schwierig, sich aktiv zur Wehr zu setzen – diese Erfahrung haben wir mehrfach machen müssen.

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news-52322 Fri, 14 Jun 2024 12:03:00 +0200 600 Tote vor Pylos – das Verbrechen ein Jahr danach https://www.rosalux.de/dokumentation/id/52322 Expert*innen informieren über die Verbrechen der griechischen Küstenwache und den Stand der juristischen Aufarbeitung news-52186 Tue, 11 Jun 2024 14:23:34 +0200 Nach links abbiegen – Spurwechsel für eine gerechte Mobilitätswende https://www.rosalux.de/dokumentation/id/52186 Gemeinsame Erklärung zur sozial-ökologischen Transformation der Mobilitätsindustrien Der Ausbau des öffentlichen Verkehrs ist unerlässlich, ebenso wie eine sozial-ökologische Industriepolitik, um die entsprechenden Fahrzeige und Infrastrukturen zu produzieren. Um dies zu leisten bedarf es massiver Investitionen. Die Schuldenbremse in ihrer jetzigen Form blockiert dabei den Weg in eine Transformation für die Zukunft. Um diese zu realisieren, sollten auch die einkommensstärksten Haushalte wieder mehr an der Finanzierung des Gemeinwesens beteiligt werden, etwa über eine Vermögenssteuer und/oder konsequentere Übergewinnsteuern.

Dies ist der Gegenstand einer gemeinsamen Erklärung anlässlich des Ratschlages zum Umbau der Mobilitätsindustrien in Kassel Ende Mai 2024. Unterzeichnet haben zahlreiche Betriebsräte aus der Automobil- und Schienenfahrzeugindustrie, Gewerkschafter*innen aus IG Metall, EVG und ver.di, Vertreter*innen aus Umweltverbänden und Klimaaktivist*innen sowie Mitglieder der Linken und aus der kritischen Wissenschaft. Unter ihnen sind die stellvertretende Bundesvorsitzende von Ver.di, Christine Behle, der Soziologe Klaus Dörre, die Co-Vorsitzende der Linken, Janine Wissler, sowie der Betriebsratsvorsitzende von VW-Kassel/Baunatal, Carsten Büchling. Die Unterzeichner*innen erklären ihren Willen, künftig gemeinsame Initiativen und Aktionen zu organisieren, Ressourcen zu bündeln, um ihrem Anliegen mit Durchsetzungskraft zu verleihen.

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