Publikation Bildungspolitik Neue Lehrkräfte braucht das Land

Herausforderungen und Handlungsempfehlungen für die Lehrkräfteausbildung in Deutschland 2024

Information

Reihe

Buch/ Broschur

Autor

Mark Rackles,

Erschienen

Februar 2024

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Cover der Studie "Neue Lehrkräfte braucht das Land"
Foto: IMAGO/Westend61

Um den Herausforderungen eines eklatanten und anhaltenden Lehrkräftemangels in Deutschland zu begegnen, bedarf es mutiger Reformen in der Lehramtsausbildung: Das universitäre Privileg in der Lehramtsausbildung muss zugunsten der Hochschulen für Angewandte Wissenschaften beendet werden. Die zersplitterte Lehramtsausbildung braucht erheblich mehr Steuerung auf allen Ebenen. Die Zweigleisigkeit einer Ausbildung mit Staatsexamen und einer Ausbildung nach dem Bachelor-Master-Modell sollte zugunsten des letzteren aufgelöst werden. Die Lehramtsstudiengänge sollten sich nicht mehr an Schularten, sondern an den Schulstufen orientieren. Die Vorgaben der Kultusministerkonferenz (KMK) für die Fachwissenschaften und Fachdidaktiken sind so zu ändern, dass grundsätzlich lehramtsbezogene Lehrveranstaltungen die Regel sind.

Diese und weitere Handlungsempfehlungen sind das Ergebnis dieser Studie. Vor dem Hintergrund des sich verschärfenden Lehrermangels und der wachsenden Kritik an der Bildungspolitik von Bund und Ländern hat Autor Mark Rackles nicht nur sechs konkrete Problemfelder identifiziert, in denen er dringenden Veränderungsbedarf sieht, sondern auch zehn konkrete Handlungsempfehlungen formuliert und ein visionäres Modell der Lehrkräftebildung beschrieben.

Mark Rackles war von 2011 bis 2019 Staatssekretär für Bildung in Berlin. Seit 2019 ist er freiberuflicher Berater und Publizist im Bereich Bildungswesen.

«Ein Hauptproblem ist die fehlende ländereinheitliche universitäre Lehrkräfteausbildung in Deutschland», sagt Mark Rackles. Dies führe zu deutlichen Unterschieden in den Anforderungen und im Curricula. Dabei könnte der Bildungsföderalismus laut Studie durchaus auch Chancen bieten. «Dazu müssten aber die dokumentierten Sonderentwicklungen in den Ländern für die notwendige Reform der Lehrkräftebildung nutzbar gemacht werden.» Rackles verweist auch auf die zu geringe Studienerfolgsquote, obwohl die Zahl der Lehramtsstudierenden in den letzten zehn Jahren um 14 Prozent gestiegen sei und auch der Anteil an allen Studierenden insgesamt stabil bei 13 Prozent liege. So liege die Studienerfolgsquote in einzelnen Bundesländern wie Niedersachen teilweise unter 50 Prozent.

Helmut Holter, Bildungsminister des Freistaates Thüringen, hat bereits begonnen, einige der in der Studie empfohlenen Maßnahmen umzusetzen. «Beispielsweise startet zum Wintersemester 2024/25 an der Universität Erfurt in Kooperation mit dem Freistaat ein dualer Studiengang für das Regelschullehramt“, so Holter im Vorwort. «Dabei sind die Studierenden studienbegleitend und praxisintegriert an einer staatlichen Regelschule beschäftigt und können so ihren Lebensunterhalt selbst finanzieren. Ab dem dritten Semester sind sie zwei Tage an der Schule und besuchen an den anderen drei Tagen wissenschaftliche Seminare an der Universität.»

«Mit der heute vorgestellten Studie setzt die Rosa-Luxemburg-Stiftung ihre Arbeit zu bildungspolitischen Themen fort», so Katrin Schäfgen, Referentin der Rosa-Luxemburg-Stiftung. Bereits im Dezember 2022 war eine Studie zum strukturellen Lehrkräftemangel und Steuerungsmöglichkeiten der Länder erschienen. Darin wurde insbesondere eine bundesweite Ausbildungsoffensive sowie der Abschluss eines Staatvertrages zur Absicherung kapazitätsdeckender Lehramtsausbildung als Antwort auf den Lehrkräftemangel gefordert. «Denn ohne eine bedarfsdeckende Anzahl qualifizierter Lehrkräfte, aber auch Erzieher*innen, Sozialarbeiter*innen und weiterem pädagogischem Personal, wird es nicht gelingen, unseren Kindern in der Schule die Kompetenzen zu vermitteln, die sie für ein selbstbestimmtes Leben benötigen. Und erst recht wird es nicht möglich sein, die in Deutschland besonders ausgeprägten herkunftsbedingten Ungleichheiten abzumildern oder zu beheben.»

Einleitung

Die Ausbildung von Lehrkräften wird in Deutschland seit Jahrzehnten kritisch diskutiert, wobei die Debatte Züge einer Endlosschleife trägt. Trotz einiger substanzieller Veränderungen vor 20 bis 30 Jahren (etwa der Umstellung auf universitäre Ausbildung sowie die Bologna-Reform zur gestuften Master-Ausbildung) hat der politische Wille zu strukturellen Reformansätzen in den letzten 10 bis 15 Jahren ganz offensichtlich abgenommen. Daran hat auch die achtjährige Projektförderung in Höhe von 500 Millionen Euro im Rahmen der aktuell auslaufenden «Qualitätsoffensive Lehrerbildung» des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) kaum etwas geändert (vgl. Aufschnaiter 2023).

Das Verharren im Status quo wäre kein Problem, wenn die Lehrkräfteausbildung in Deutschland ihrem Auftrag und ihrer Zielbestimmung effektiv nachkommen würde. Dies ist jedoch in einem zunehmend öffentlich wahrnehmbaren Umfang nicht der Fall: Die Lehramtsausbildung in Deutschland ist seit längerer Zeit sowohl in qualitativer als auch quantitativer Hinsicht unter Druck.

Die Kritik richtet sich seit Jahren gegen das unstimmige Verhältnis von Theorie und Praxis (Vorwurf einer hohen Theorielastigkeit bei unzureichendem Professionsbezug; vgl. Monitor Lehrerbildung 2023: 6 f.), gegen die sich verschlechternden Leistungsergebnisse der Schüler*innen (zuletzt IGLU 2021, TIMMS 2019, PISA 2022, IQB Bildungstrend 2022) sowie gegen die unzureichende Fähigkeit, sich an neue Ausbildungsinhalte und -methoden wie Inklusion, Ganztagsbeschulung, Sprachbildung oder Digitalisierung anzupassen (vgl. Pasternack et al. 2017: 333 f.).

Seit etwa 2015 ist zudem eine quantitativ ausgerichtete Kritik in den Vordergrund getreten, die sich gegen die mangelhafte Bedarfsdeckung durch das bestehende Ausbildungssystem wendet. Neben Fragen der fehlerhaften bzw. fehlenden Kapazitätsplanung durch die Länder steht hier insbesondere die Effizienz des Systems der Lehramtsausbildung im Fokus: Bezogen auf die Eingangszahlen (Studienanfänger*innen) kommt es im bestehenden System zu einem erheblichen Verlust an potenziellen Lehrkräften (vgl. Stifterverband 2023b).

In den letzten beiden Jahren hat sich die Debatte um die Lehramtsausbildung deutlich verschärft, wobei sich die bedarfsgetriebene Diskussion um den Lehrkräftemangel und Maßnahmen zur Abhilfe (z. B. durch Öff9 nung weiterer Wege zum Lehramt) unmittelbar mit qualitativen Fragen der Lehramtsausbildung verbindet. Die regelhafte universitäre Ausbildung gerät durch die neuen alternativen (und in der Tendenz verkürzten und vereinfachten) Wege ins Lehramt auch qualitativ unter Druck: Konstitutive Elemente der Lehramtsausbildung wie das Prinzip der Ausbildung in zwei Fächern, die zweiphasige Ausbildung mit nachgelagerter Praxis oder die hohe Fachwissenschaftlichkeit werden in Zeiten des anhaltenden Mangels und des ansteigenden Unterrichtseinsatzes von Assistenzkräften, Seiteneinsteiger*innen und Bachelor-Absolvent*innen verstärkt öffentlich infrage gestellt.

Im Jahr 2023 wurde eine Reihe von prominenten Stellungnahmen und Reformvorschlägen vorgelegt, die vor dem Hintergrund des Lehrkräftemangels und des unterschiedlich begründeten Reformbedarfs in der Lehramtsausbildung auch strukturelle Vorschläge zu einer Neuausrichtung in der Lehrkräftebildung formulierten. Wichtige und diskussionsbestimmende Beiträge dieser Art waren umfangreiche Vorlagen unter anderem der Ständigen Wissenschaftlichen Kommission (SWK) der Kultusministerkonferenz (KMK) im Januar und Dezember 2023, des von Stiftungen getragenen Monitors Lehrerbildung (Juni 2023), des Wissenschaftsrats (Juli 2023), der Hochschulrektorenkonferenz (HRK) sowie des Stifterverbands (November 2023). Parallel hierzu entwickelten die Länder 2023 immer mehr bedarfsgetriebene Anpassungsmaßnahmen für Wege ins Lehramt, die zum Teil deutlich von den bestehenden KMK-Vorgaben und vom ländergemeinsamen Rahmen der Lehramtsausbildung in Deutschland abweichen.

Die vorliegende Arbeit geht der Frage nach, wo im bestehenden System der Lehramtsausbildung Veränderungsbedarf besteht. Fokussiert wird die universitäre Phase als erste Phase der zweiphasigen Ausbildung. Die Expertise baut auf wissenschaftliche Vorarbeiten und einschlägige Fachveröffentlichungen auf (Stand: Januar 2024). Darüber hinaus wurde auf aktuelle Datenbestände der amtlichen Statistik zurückgegriffen. Ergänzend wurden Expert*innen-Interviews geführt. Die Ausführungen münden in problemorientierten Handlungsempfehlungen, die sich insbesondere an die Entscheidungsträger*innen in den Bildungs- und Wissenschaftsverwaltungen der Länder richten.

Inhalt

Vorwort

Einleitung

Die Lehrkräfteausbildung im Status quo

  • Ländergemeinsame Vorgaben der Kultusministerkonferenz
  • Das «deutsche Modell» der Lehrkräfteausbildung
  • Lehrkräfteausbildung in Zahlen

Die Praxis der Bundesländer

  • Ausgestaltung der lehramtsbezogenen Studiengänge
  • Sonderentwicklungen in den Ländern
  • Umsetzung Eigenbedarfsdeckung

Aktuelle Herausforderungen in der universitären Lehrkräfteausbildung

  • Das universitäre Ausbildungsprivileg
  • Institutionelle Fragmentierung
  • Die komplexe Studienorganisation
  • Der beschränkte Berufsfeldbezug
  • Die Zweiteilung in Phasen
  • Die fehlende Steuerung

Exkurs: SWK-Empfehlungen zur Lehramtsausbildung

Handlungsempfehlungen

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