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Der Lange Fahrradmarsch durch China – Eine Reisereportage

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Postkarte vom Langen Fahrradmarsch
Postkarte vom Langen Fahrradmarsch

Seit Oktober 2023 fahren der Radreiseveranstalter und Reisebuchautor Volker Häring und der Schriftsteller Christian Y. Schmidt auf den Spuren des «Langen Marsches» der chinesischen Roten Armee durch China – auf E-Bikes. Der historische Marsch fand von Oktober 1934 bis Oktober 1935 statt. Die chinesischen Kommunisten wollten so der Belagerung durch die Nationalisten unter Chiang Kai-shek entkommen, die unter anderem von Generälen der deutschen Wehrmacht unterstützt wurden, die Hitler nach China entsandt hatte. Auf ihrem Gewaltmarsch legte die Rote Armee – die Angaben schwanken – zwischen 7.000 bis 11.000 Kilometer zurück. Dabei wurde sie nicht nur immer wieder in Kämpfe mit den Nationalisten verwickelt, sondern musste auch reißende Flüsse, tückische Sümpfe und bis zu 4.000 Meter schneebedeckte Berge überwinden.

Kein Wunder, dass der Marsch viele Opfer kostete. Von den rund 86.000 Soldaten, die im Süden gestartet waren, kamen nur zwischen 6.000 – 8.000 am Zielort Yan'an im Nordwesten Chinas an. Auch diese vielen Opfer trugen dazu bei, dass der Changzheng, wie der Lange Marsch auf Chinesisch heißt, zum wichtigsten Gründungsmythos der Volksrepublik wurde.

7.000 Kilometer auf dem Rad durch China

Häring und Schmidt machen im Moment eine zweimonatige Winterpause. Von den 7.000 Kilometer, die sie der historischen Marschroute folgen wollen, haben sie bis Mitte Dezember bereits mehr als 2.600 Kilometer hinter sich gebracht. Das entspricht in etwa der Strecke von Berlin bis Lissabon. Dabei haben sie rund 35.000 Höhenmeter überwunden; das Vierfache des Mount Everest. Am 1. März 2024 wird es weiter gehen, und Anfang Juni wollen sie ihr Ziel erreicht haben.

Aus den Erlebnissen auf der Tour, die von der Rosa-Luxemburg-Stiftung unterstützt wird, soll ein Buch entstehen, das im Herbst 2025 im Ullstein-Verlag herauskommt. Häring und Schmidt geben schon einmal einen kurzen Überblick, worum es ihnen bei diesem Projekt hauptsächlich geht.

Großvater mit Kinderwagen vor Roter Stern Skulptur in Ruijin. Links neben ihm steht Christian Y. Schmidt, rechts Volker Häring.

Die erste rote Hauptstadt

Der lange Marsch startete im so genannten Jiangxi-Sowjet, dem größten Gebiet in der Republik China, das die Kommunisten Anfang der Dreißiger Jahre kontrollierten. Hier wurde am 9. November 1931 die «Chinesische Sowjetrepublik» gegründet, aus der später dann die Volksrepublik China werden sollte. Die Kleinstadt Ruijin war damals die Hauptstadt dieses Guerillagebiets. Am 16. Oktober 1934 zog die Rote Armee von hier ab, um sich auf den Langen Marsch zu begeben.

Auch wir haben in Ruijin unsere 7.000 Kilometer-Fahrrad-Tour begonnen. Hier sieht man uns vor einem Monument im «Chinese Soviet Memorial Park» der Stadt, zusammen mit einem stolzen Großvater in der Mitte. In dem Kinderwagen liegt sein Enkel. Christian Y. steht links, Volker rechts von ihm.

Otto Braun Skulptur in Houchang Foto: Christian Y. Schmidt

Li, der Deutsche

Der einzige Ausländer, der den historischen Langen Marsch von Anfang bis zum Ende mitmachte, war der deutsche Kommunist und Berufsrevolutionär Otto Braun. Nachdem er von seiner Geliebten Olga Benario 1928 aus dem Gefängnis Berlin-Moabit mit Waffengewalt befreit wurde, floh er nach Moskau. Von hier aus wurde er Anfang der Dreißiger Jahre nach China entsandt, um die chinesischen Kommunisten militärisch zu beraten. Es spricht viel dafür, das Otto Braun, der in China als Li De («Li, der Deutsche») sehr bekannt ist, den Langen Marsch mitinitiiert hat.

Wir wollen auf dem langen Fahrradmarsch auch herausfinden, wie der Mann mit der spektakulären Biographie im heutigen China wahrgenommen wird. In den zahlreichen Lange-Marsch-Museen und Erinnerungshallen, die entlang der ehemaligen Route errichtet wurden, haben wir bereits jetzt so viele Zeugnisse zu Otto Braun entdeckt, das allein diese für ein eigenes Buch reichen würden.

Das zeigt eine Skulptur von Otto Braun zusammen Bo Gu (rechts), der bis Januar 1935 Generalsekretär der Kommunistischen Partei war, vor der Langen-Marsch-Gedenkhalle in Houchang (Provinz Guizhou).

Gruppe von Miao Frauen in Shidong Foto: Christian Y. Schmidt

Ethnische Minderheiten

Ein großer Teil des historischen Langen Marsches führte durch Gebiete, die mehrheitlich von ethnische Minderheiten bewohnt werden. Die Provinz Guangxi, nach Jiangxi und Guandong die dritte durch die Route führt, ist eine «Autonome Region» der Zhuang, die mit rund 20 Millionen Menschen die größte nationale Minderheit in China bildet.

Weitere Ethnien, die entlang der Route leben, sind Miao, Dong, Bouyei, Yao, She und Gelao. Alle diese Minderheiten zeichnen sich durch eine eigene Sprache und Kultur aus. Oft ist die Mehrheitsethnie in einem Dorf auch an ihrer spezifischen traditionellen Architektur zu erkennen, manchmal auch noch an den Trachten seiner Bewohner.

Dieses Foto zeigt eine Gruppe von Miao-Frauen in Feiertagstracht. Wir begegneten ihnen, als wir Mitte November ins Miao-Dorf Shidong im Südosten der Provinz Guizhou fuhren.

Longping: Dorf mit Rote Fahne Foto: Christian Y. Schmidt

Roter Tourismus

Die Gegenden, durch die Rote Armee zog, waren durchweg bitterarm. Das blieben sie vielfach auch noch zur Zeit der Volksrepublik. In den letzten Jahrzehnten hat sich das allerdings geändert, wie sich die Lebensverhältnisse auf dem chinesischen Land deutlich verbessert haben. Zum Teil profitieren die Dörfer und Kleinstädte allerdings auch direkt von der Tatsache, dass sie auf der Langen-Marsch-Route liegen. Auf der Strecke findet man inzwischen nämlich nicht nur monumentale Museen und sorgfältig restaurierte historische Gebäude, in denen auf dem Marsch die Führung der Roten Armee unterkam. Auch die Häuser der Landbewohner wurden entweder generalüberholt oder gleich ganz neu gebaut, oft im traditionellen Stil der jeweiligen Ethnie.

Zusätzlich wurden dort, wo entscheidende Konferenzen oder Schlachten auf dem Langen Marsch stattgefunden haben, imposante Monumente errichtet, wie diese große Rote Fahne hier im Dorf Longping, das im Nordwesten Guangxis liegt. Auf diese Weise will man nicht nur an die Geschichte des Langen Marsches erinnern, sondern auch einen innerchinesischen sogenannten «Roten Tourismus» generieren, den es vielerorts bereits ansatzweise gibt.

Menschen unterwegs

Bei unserer Tour soll es aber nicht nur um Historisches gehen, sondern auch um das heutige China. Wir beide kennen das Land bereits ziemlich gut. Christian Y. Schmidt hat knapp 20 Jahre in China gelebt, und Volker Häring studierte nicht nur in den Neunzigern in Peking, sondern hat auch unzählige Radreisegruppen durch die unterschiedlichsten chinesischen Regionen geführt. Beide haben wir auch schon einige Bücher zum Thema China geschrieben.

Deshalb interessiert uns auf unserer Reise auch besonders, wie sich das Land in den letzten Jahren verändert hat, vor allem durch und nach der Pandemie.

Gespräche ergeben sich auf einer langen Tour wie der unserigen immer wieder von ganz alleine. Wir haben bereits auf der ersten Etappe mit unzähligen Menschen geredet: Mit Wirt*innen – wie der in der Kleinstadt Taiping – und Hotelpersonal, Restaurantgästen und Inhabern von Fahrradwerkstätten und Handyladenbetreiber*innen. Ja, wir haben sogar mit einem pensionierten Oberst der Volksbefreiungsarmee ein langes Gespräch über Otto Braun geführt. Oft haben uns auch Leute am Straßenrand angesprochen, die erfahren wollten, was wir für komische Langnasen sind, die da zwei roten Rädern durch die chinesische Provinz fahren.

Volker Häring auf dem Rad neben Wasserfall Foto: Christian Y. Schmidt

Wildes China

Der generelle Vorteil einer Radtour ist, dass man ein unmittelbarerer Teil seiner Umgebung ist, als wenn man sich im Auto, Bus oder Zug fortbewegen würde. Man ist quasi Teil der Natur und gelangt auch in Ecken eines Landes, die man sonst allenfalls noch zu Fuß erkunden könnte. Wir sind durch Dörfer gekommen, in die sicher noch kein Nichtchinese einen Fuß gesetzt hat. Tatsächlich haben wir während der ganzen ersten zwei Monate unterwegs auch nur ein einziges Mal eine kleine Gruppe von europäisch aussehenden Ausländern gesehen, und selbst das nur aus der Ferne.

Erst auf dem Rad erfährt man auch die Landschaft, durch die man sich bewegt, wirklich. So waren wir immer wieder davon überrascht, wie anders doch das nächste Tal war, das sich hinter einem Pass auftat, als das, durch das wir zuvor geradelt waren. Besonders verblüfft hat uns der Waldreichtum von Provinzen wie Guizhou oder Guangxi, wobei man den meisten Bäumen ansah, dass sie erst in den letzten Jahrzehnten gepflanzt worden waren.

Auch angesichts dieser großartigen Naturerfahrungen freuen wir uns auf den zweiten, noch einmal deutlich längeren Teil der Tour. Er wird uns in noch viel wildere und abgelegenere Gegenden Chinas führen, unter anderem auf das tibetische Hochplateau, wo wir Pässe von über 4.000 Metern zu überwinden haben. Wir werden hier berichten, wenn wir heil in Yan'an angekommen sind.

Mehr Infos

Wer über den Langen Fahrradmarsch auf dem Laufenden bleiben will, während wir unterwegs sind – das hier sind unsere Sozialen Medienkanäle. Sie werden auch auf der Tour laufend aktualisiert.