Documentation »Grüner Kapitalismus«

Gesellschaftliche Naturverhältnisse im 21. Jahrhundert; Wietower Sommerschule

Information

Event location

Solarzentrum MV
Dorf Mecklenburg
23966 Wietow

Date

13.06.2008 - 15.06.2008

Themes

Jugendbildung

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„…und das dort drüben ist unser Oloid!“

Der Ingenieurwissenschaftler Ditmar Schmidt schwenkt den Kopf in Richtung einer der beiden kleinen Seen, die direkt hinter dem Solar-Zentrum in Wietow liegen. Im Wasser schwimmt ein kleines Gerät, was von Zeit zu Zeit Wasser in wellenförmige Bewegung setzt: „Dieser solar betriebene Roboter, den Ihr in der Mitte des Sees sehen könnt, bewegt sich, wenn vermehrt Sonnenlicht auf ihn fällt. Durch die Schwingungen, die er damit auf der Wasseroberfläche erzeugt, wird dem See Sauerstoff zugefächelt, so dass der See sich trotz großer Hitze weiterhin wohl fühlt“. Das drahtige Genie erklärt unserer 18-köpfigen Seminargruppe bei der Führung durch die Tagungsstätte auf Wunsch jedes technische Detail des rundum solarbetriebenen, energieautarken ehemaligen Gutshauses, was wir zunächst nur mit Faszination und Staunen aufnehmen können - ein derartiges technisches Solarwunder hat tatsächlich noch niemand von uns zuvor gesehen.

Zusammen mit seiner Frau Brigitte Schmidt, die wie er Ingenieurin ist, betreibt er das Solar-Zentrum Mecklenburg-Vorpommern (externer Link in neuem Fenster folgtwww.solarzentrum-mv.de) in Wietow bei Wismar für den 45–Mitglieder starken gemeinnützigen Verein “Solarinitiative MV e.V.“, der sich die nachhaltige Förderung des Klimaschutzes und die Schaffung innovativer Arbeitsplätze durch die Nutzung regenerativer Energien regional und weltweit zum Ziel gesetzt hat.

Dabei steht die Entwicklung des Projekts im engen geschichtlichen und sozial-politischen Kontext der Region. Nach der Wende kam es zu einem kompletten Umbau der Landwirtschaft in den ostdeutschen Gemeinden und die Energieversorgung wurde zu wesentlichen Anteilen an die beiden Energie-Konzerne Vattenfall und REW abgegeben. Das Problem dabei war, dass im Zuge dieser Entwicklungen drastisch Arbeitsplätze abgebaut und dann zuvor geplante Bau-Projekte nicht mehr durchgeführt wurden, so dass immer mehr Arbeitslosigkeit in der Region entstand und die Einwohnerinnen und Einwohner sich immer häufiger dazu entschlossen, abzuwandern.

Die Einwohnerzahlen sanken. Indem die Energie- und Wasserversorgung an die überregionalen Energiekonzerne abgetreten wurde, flossen die Einnahmen daraus nicht mehr wie bislang an die Gemeinden, die bisher immer re-investiert hatten. Eine Folge davon war der Abbau von Infrastruktur, was wiederum ein Grund für Anwohnerinnen und Anwohner war, ihre sieben Sachen zusammenzupacken, um die Existenzgrundlage anderswo zu bestreiten. Der Ort Wietow ist deshalb heute geradezu vom „Aussterben“ bedroht. „Wenn du die Jugendlichen hier fragst, was sie einmal werden wollen, sagen sie als Berufswunsch „Ich werd´ Hartz IV“, die sehen keine Perspektive mehr“, erklärt Ditmar Schmidt.

Um auf beide Probleme zu reagieren hat sich Ende der 90er Jahre die Solarinitiative MV e.V gegründet. Die Idee war, mit der Schaffung regionaler Projekte im Bereich der solaren Energietechnik die Wietower wieder an der eigenen Energieversorgung zu beteiligen und zugleich Arbeitsplätze für “die Wietower“ zu schaffen.

Wie stark das Ökologie-Thema mit Sozial- und Wirtschaftspolitik bzw. mit einer Politik der Ungleichheit und der Organisation der Produktionsverhältnisse verschränkt ist, wurde an dem Wochenende in Wietow weiterdiskutiert. Unter dem Titel „Leitbild Grüne Marktwirtschaft“ ging das Seminar der Frage nach, wie der moderne Kapitalismus sich derzeit ökologisch modernisiert, wo die Grenzen dieser Modernisierung liegen und unter welchen Bedingungen, also auch zu welchen und auf wessen Kosten dies geschieht. Ein Aspekt, der im Seminar als eine Tendenz der aktuellen ökologischen Modernisierung heraus gearbeitet wurde, ist die Ökonomisierung von Natur, kurz: das Messen der „Dienstleistungen der Natur“, in Geld. Der Berliner Wirtschaftsjournalist Stephan Kaufmann zitierte beispielhaft das Magazin Der Spiegel, der in einem Artikel („Marktplatz der Natur“, Ausgabe 21/2008) vorrechnet, dass der Wert des weltweiten Fischbestandes bei 58 Mrd. Dollar liegt, da Fischer die Eiweißversorgung für ein Sechstel der Menschheit sichern. Bestimmte Pflanzen hätten als Rohstoff für pflanzliche Naturheilmittel einen Marktwert – zum Beispiel der „Rote Fingerhut“ etwa 43 Mrd. Dollar. Ähnliche Berechnungen gibt es im Bezug auf das Klima, hier allerdings wird der Schaden, der durch Unterlassung verursacht wird, in Geld berechnet. Berichte wie der mittlerweile berühmte Stern-Report oder aber auch die Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, in denen die Kosten des Klimawandels aufsummiert werden, fassen den Wert der natürlichen Umwelt als geldwerte Leistungen für die Gesellschaft bzw. als die Kosten, die der Gesellschaft im Falle von Umweltzerstörung entstehen. Die Ökonomisierung der Natur wird dabei als eine Strategie nachhaltiger Entwicklung präsentiert, nach dem Motto: Nur wenn man der Gesellschaft vorführt, wie teuer die Umweltzerstörung ist, lässt sie sich für Umweltschutz mobilisieren. Die Seminarteilnehmerinnen und -teilnehmer fanden dies wenig überzeugend. Kaufmann bestätigte das Unbehagen: „Nach der Logik der Wirtschaftlichkeit, die sich durch den gegenwärtigen Diskurs zieht, erscheint all das als schützenswert, was in Wert gesetzt werden kann, also alles was einen betriebs- oder volkswirtschaftlichen Nutzen hat.“ Dies aber bedeute im Umkehrschluss, dass alles, was in dieser Logik nichts wert ist, auch nicht als schutzbedürftig gilt. Der Maßstab, nach dem eine belebte Materie hier bewertet wird, sei daher sehr fragwürdig und werde die Logik kapitalistischer Naturvernutzung nur sehr selektiv einschränken.

Ein weiterer Kritikpunkt, der in den Vorträgen und Debatten zu Tage trat, war die Behandlung des Klimathemas in der Öffentlichkeit. Kai Kaschinski, Mitglied im Beirat der Rosa-Luxemburg-Initiative, Verantwortlicher für den rls-Club Bremen und Redakteur der externer Link in neuem Fenster folgtalaska - Zeitschrift für Internationalismus, arbeitete heraus, dass der Klimawandel zwar kein neues Phänomen sei, aber erst in den letzten Jahren von den Medien, den Politikern und der Öffentlichkeit ernst genommen und seitdem zu einem katastrophistischen Ereignis stilisiert werde. Darüber hinaus werde der gegenwärtige Klimawandel als Naturkatastrophe dargestellt und nicht als das, was er sei: das Ergebnis einer bestimmten Produktionsweise und Herrschaftsform.

Transformation der gesellschaftlichen Naturverhältnisse im Kapitalismus

Die Gründe für die Renaissance des Themas Ökologie und Umweltzerstörung sind vielfältig: Mit dem Niedergang des Realsozialismus und des Blockgefüges um 1989 sind weltweit neue Konkurrenz- und Verteilungskämpfe ausgebrochen. Mit dem Aufstieg der „G5“ (China, Brasilien, Indien, Mexiko und Südafrika haben ähnlich wie die Industriestaaten der G8 eine informelle Interessensgemeinschaft gebildet, was Welthandelsfragen angeht) und anderer „Schwellenländer“ ist auch der globale Ressourcenbedarf unaufhaltsam gestiegen und steigt weiter, mit allen bereits aus den Industrieländern bekannten destruktiven Folgen für Mensch und Natur nun auch global. Wer es sich leisten kann bzw. wo es sich lohnt, wird vor diesem Hintergrund auf klimafreundliche Technologien gesetzt. Gerade Länder, die ihren Entwicklungsstand nur unter Bedingungen von Umweltzerstörung und Ressourcenaufzehrung erreicht haben, singen jetzt das Hohelied der klimafreundlichen Technologien. Nicht ganz uneigennützig: Diese Technologien bringen gute Profite für die Konzerne, die sich nun in einem neuen Wirtschaftszweig spezialisieren können. Vor allem die Bundesregierung verspricht sich von den weltweiten Klimaschutzbemühungen große Gewinne für die in ihrem Land produzierenden und Steuern zahlenden Betriebe. Schließlich sei Deutschland Weltmarktführer auf dem Geschäftsfeld der Erneuerbaren Energien. Im global boomenden Leitmarkt der regenerativen Energieerzeugung halten deutsche Unternehmen laut „Umwelttechnologieatlas Deutschland 2007“ des Bundesumweltministeriums einen Weltmarktanteil von 30 Prozent, allein die Unternehmen dieses Segments erwarten ein Umsatzwachstum von 27 Prozent bis zum Jahr 2009. Branchen wie Energieerzeugung, Energieeffizienz, Rohstoff- und Materialeffizienz, Kreislaufwirtschaft, nachhaltige Wasserwirtschaft und Mobilität hatten laut Umwelttechnologie-Atlas im Jahr 2005 ein Weltmarktvolumen von etwa 1 000 Milliarden Euro. Bis 2020 werde sich der Umsatz der Umweltindustrien voraussichtlich auf 2 200 Milliarden Euro mehr als verdoppeln. Die Einschätzung lautet: Deutsche Unternehmen dürften davon überproportional profitieren, da sie in allen Segmenten des Marktes stark vertreten sind. Besonders stark sieht sich die deutsche Wirtschaft in den Bereichen Solar- oder Windenergie - Deutsche Unternehmen erwirtschaften hier derzeit mehr als ein Drittel der globalen Umsätze. Fast jedes zweite Windrad und jede vierte Solarzelle weltweit stammt aus deutscher Produktion. Das Geschäft mit dem Klimawandel lockt große Konzerne, vor allem die Energie-Riesen. So haben RWE (RWE Innogy), Eon (Eon Climate & Renewables) oder BP (BP Alternative Energy) eigene Töchter für dieses Geschäftsfeld gegründet und investieren hier jährlich Milliarden Euro.

Mittlerweile gehen Unternehmen, die sich auf erneuerbare Energien spezialisieren, an den Aktienmarkt. So hat die Deutsche Börse neben dem Deutschen Aktienindex (Dax) einen ÖkoDax gegründet, der den Kursverlauf der Aktien von HerstellerInnen Erneuerbarer Energien misst. Wie sehr sich dieses Geschäft lohnt, zeigt die Entwicklung dieses Index: Während der Dax in den vergangenen drei Jahren „nur“ 54% gestiegen ist, hat sich der ÖkoDax verdoppelt. Aktien von Firmen wie Solarworld, Repower oder Phönix Solar kommen auf Kurssteigerungen zwischen 500 bis 12.000% seit ihrem Börsenstart.

Zur selben Zeit vergrößert sich die Kluft zwischen den Bewohnerinnen und Bewohnern des reichen Nordens und den Ländern des Südens. Letztere sind schon jetzt viel stärker betroffen von den Folgen der bewusstlosen Ausbeutung der Natur (Hungersnöte, Überschwemmungen). Und nur, wer es sich leisten kann, sorgt vor. Bei Klimakatastrophen, wie dem Tsunami in Südostasien, sind immer wieder die Ärmsten der Armen am schlimmsten betroffen. Ihre Lehmhäuser und Wellblechhütten werden von den Fluten hinweggespült. Aussicht auf Unterstützung gibt es für sie kaum bis keine. Zum selben Zeitpunkt können die im globalen Vergleich supperreichen Mittel- und Oberschichten in den Niederlanden mit dem Bau schwimmender Einfamilienhäuser auf eine Verschärfung des Klimawandels reagieren, bevor sie selbst unmittelbar betroffen sind. Wer ein schlechtes Gewissen gegenüber denjenigen hat, die am meisten unter den Folgen des Klimawandels leiden, hat die Möglichkeit, den nächsten Urlaubsflug einfach mal klimaverträglich zu buchen. Der Öko-Ablaß besteht in einem kleinen Aufpreis der sich zum Beispiel im `greenmiles´-Kalkulator aus dem unverträglichen CO2-Ausstoß meines Fliegers errechnet. „Beispiel Frankfurt-London: einfache Entfernung 650 Kilometer. Schon mit einer Spende von 9,10 Euro können Sie den von Ihnen produzierten CO2-Ausstoß ausgleichen. Für Hin- und Rückflug muss der doppelte Wert berechnet werden“, so auch die Logik des WWF. Der ausgleichende Betrag wird einfach an ein entsprechendes Umweltprojekt nach Nepal gespendet, auch CO2-neutral Autofahren soll auf diese Weise möglich sein, nach dem Motto, hier abschneiden und dort dran kleben.

Generell funktioniert die Umweltbranche derzeit nach den gleichen Regeln wie alle anderen Bereiche kapitalistischer Ökonomie: Konkurrenz, Privatisierung, Neoliberalismus, Selbstverantwortung, Privateigentum, Ausbeutung fremder Arbeit und natürlicher Ressourcen. Im Zuge ökologischer Modernisierung treten geopolitische Verschiebungen auf, die die Fragmentierung der Erde in unterschiedliche Zonen und die sozialen und ökonomischen Herrschaftsverhältnisse zwischen Metropolen, Peripherie wie auch innerstaatlich fortschreiben. Die damit einhergehenden Konflikte und die politischen Kämpfe und Strategien der diversen beteiligten und betroffenen Fraktionen und Klassen konstituieren das öko-koloniale Verhältnis. Die neoliberale Ideologie der ökologischen Konsumentensouveränität und der nachhaltigen Anreizökonomien entpuppt sich als die Vision vom „Marktplatz der Natur“. Die Transformation der gesellschaftlichen Naturverhältnisse im Kapitalismus aber ändert nichts am krisenhaften Fortdauern genau der Produktionsweise, die prinzipiell auf die Vernutzung von Mensch als Arbeitskraft und Natur als Quelle materieller Ressourcen angewiesen ist.

Fazit

Unter diesen Bedingungen – und darin waren sich die Seminarteilnehmerinnen und -teilnehmer einig – ist es längst nicht ausgemacht, ob es dem Gegenwartskapitalismus wirklich gelingt, sich ökologisch zu modernisieren. Nicht nur der gesellschaftlich umstrittene Bau neuer Kohlekraftwerke zeigt, dass die Modernisierung nicht widerspruchsfrei von statten geht. Um so wichtiger wird das Politikfeld `Ökologie´ als Möglichkeitsraum linker Intervention: Die Intervention beispielsweise auf dem Feld der Klimapolitik bietet die Chance zur Delegitimierung der ökologischen Modernisierung als Re-Regulierung von Herrschaftsverhältnissen und verweist auf eine alternative Strategie nachhaltiger Entwicklung, bei der soziale Ungleichheiten, ebenso wie die ungleiche Verteilung der von Menschen verursachten Umweltrisiken hinterfragbar werden. Auf dem Feld der Klimapolitik kann der globale politische Widerstand ausgeweitet und stärker vernetzt werden. Hier stellt sich auch die Frage eines linken Verständnisses von „Solidarität“ insbesondere mit dem globalen Süden neu. Das Wochenendseminar im Solarzentrum in Wietow bot einen Raum regen Austausches und der gegenseitigen Bildung, angefangen bei theoretischen Fragen zu Wirtschaft und Demokratiepolitik bis hin zum Informationsaustausch, wie beispielsweise zum geplanten Klimacamp 2008, das Ende dieses Sommers in Hamburg stattfinden wird.

Bei allen Kontroversen, die in den Diskussionen unter den Seminarteilnehmerinnen und -teilnehmern ausgetragen wurden, ist eines Konsens geblieben: Die Analyse der ökologischen Modernisierung steht noch ganz am Anfang und auf dem Feld der praktischen Klimapolitik gibt es für Linke (noch) viel zu tun.

Ann-Katrin Lebuhn, Markus Euskirchen, Sabine Nuss

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Folien

Link für Dateidownload folgt »Hitzefrei!« Klima und Nord-Süd-Verhältnis: offene Fragen in der linken Debatte (PDF, 6,3 MB)
Kai Kaschinski, Redakteur Alaska und Dozent für Politische Ökologie

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